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Version vom 23. Mai 2012, 11:55 Uhr


Die Chroniken...

  • gehören zu den erzählenden Quellen, genauer: den historiographischen Quellen.

Chroniken können als eine Art Weiterentwicklung der → Annalen gelten (mit denen sie einiges gemein haben), besitzen aber auch eigenständige Ursprünge. Sie...

  • sind meist zusammenhängend von einem Autor (oder mehreren Autoren nacheinander) verfaßt,
  • bieten nicht nur Fakten, sondern versuchen, deren Zusammenhänge zu erklären,
  • legen Wert auf sprachliche Gestaltung,
  • behalten zwar oft das annalistische Schema (Organisation nach Jahreseinträgen) bei; viele Chroniken sind jedoch auch stattdessen in „Bücher“ und „Kapitel“ eingeteilt und manchmal sogar mit einem Inhaltsverzeichnis versehen.

Wichtig zu beachten: Chroniken sind häufig Auftragswerke, die mit bestimmten (und oft bestimmbaren) Absichten verfaßt wurden.

→ Der formale Begriff „Chronik“ steht (als Sammelbegriff) tatsächlich für eine Vielzahl inhaltlicher Typen. (Goetz, Proseminar, 111)


Inhaltlich werden Chroniken meistens nach folgenden Systemen gegliedert:

  • nach dem Gegenstand (z.B. in Reichsgeschichte und Kirchengeschichte)
  • nach einer Institution (z.B. Hof-, Bistums-, Kloster-, Stadtchronistik)
  • nach dem Berichtshorizont (Welt-, Reichs-, Regional-, Lokalchronik)

Unter der Vielzahl verschiedener Typen sind insbesondere die Weltchroniken (Universalchroniken) hervorzuheben. Diese charakterisiert...

  • ihr ausgreifender Berichtszeitraum: Sie wollen die gesamte Geschichte von den Anfängen (d.h. von Schöpfung, Adam u. Eva oder Christi Geburt) bis zur Gegenwart erfassen.
  • ihr umfassender Inhalt: Sie behandeln sowohl Kirchen- wie Reichsgeschichte.
  • ihr räumlicher Horizont: Sie beginnen zwar meist sehr weit (beschreiben „Menschheitsgeschichte“, sind hier aber auf andere Quellen angewiesen), schrumpfen aber im zeitgenössischen Teil meist zu → Reichschroniken; einige enden gar recht kleinteilig (oft vor der Haustür des Verfassers).
  • ihre heilsgeschichtliche Ausrichtung: Menschliche Geschichte wird als Geschehen im göttlichen Heilsplan verstanden.

→ Hier setzt der für den Historiker wichtige Umstand an, daß viele Weltchroniken die Geschichte zu ordnen versuchen, in dem sie auf meist biblisch motivierte, im Mittelalter bedeutsame Systeme der Epocheneinteilung zurückgreifen, z.B.:

  • die sechs Weltalter (nach den sechs Schöpfungstagen zu je 1000 Jahren oder nach den sechs menschlichen Lebensaltern)
  • die vier Weltreiche (nach dem Buch Daniel): Babylonier, Perser, Griechen, Römer

[→ wichtig für das lateinische Kaisertum, Stichwort: Translatio imperii]


Weitere wichtige Typen von Chroniken:

  • Reichschroniken – Übergänge zu Weltchroniken oft fließend; Darstellung von Reichsgeschichte als Königsgeschichte oder Geschichte königlicher Dynastien)
  • Volkschroniken / origines gentium – erst in Zeiten eigenständiger (d.h. meist königlicher) Herrschaft verfaßt, verfolgen aber Geschichte des „Volkes“ (gens) bis zu den Ursprüngen (origines) zurück → daher auch Bezeichnung als origines gentium
  • Bistums- und Klosterchroniken – stark verbreitet; auf regionaler Ebene zu verorten; Bistumschroniken am Bistum und seinen Bischöfen, Klosterchroniken am Kloster und seinen Äbten orientiert; bei letzteren wichtig: der Gründungsbericht (fundatio)
  • Genealogien – interessieren sich für Familien und Abstammungsverhältnisse; Vorbild: Bericht zu biblischen Urgeschlechtern (Genesis); als Kataloge oder Stammbäume, oft auch in bildlicher Form; erscheinen selbständig oder als Teil anderer Quellen (v.a. Chroniken)
  • Hauschroniken – durch Erweiterung der Abstammungslisten um die Taten von Familienangehörigen ausgestaltet; da meist für fürstliche Familien entstanden, stehen sie in enger Verbindung zur Entstehung der Territorialstaaten; überliefern daher meist Familen- und Landesgeschichte → Übergang zur Landeschronik fließend
  • Landeschroniken – erst im Spätmittelalter entstanden; eng angelehnt an Territorialherrschaften; sind stark an Dynastie der Landesherren angelehnt (vgl. Reichschroniken) → Übergang zu Hauschroniken fließend
  • Stadtchroniken – stark verbreitet; in Italien im Hoch-, sonst erst im Spätmittelalter aufkommend; sehr unterschiedlich ausgestaltet; Ausdruck städtisch-bürgerlichen Selbstbewußtseins; binden Stadtgeschichte gerne in Weltgeschichte ein (Typ der „städtischen Weltchronik“); Frühformen an Bistumschroniken angelehnt; offiziöser Charakter: Chronisten meist Stadtschreiber oder Ratsherren, private Stadtchroniken seltener
  • Kriegs- und Kreuzzugschroniken – thematischer Sammelbegriff für unterschiedlich ausgestaltete Chroniken; manche legen nur Ausschnitte aus Reichsgeschichte vor (könnten also genausogut als Kapitel in anderer Chronik stehen), andere wiederum sehr eigenständig gestaltet; Kreuzzugschroniken teilweise mit Elementen von Reiseberichten verfaßt


Eine Besonderheit stellen die sog. Gesta dar. Dieser (im modernen Gebrauch eher formal zu verstehende) Begriff bezeichnet Chroniken einer Institution (z.B. Königtum, Bistum, Kloster), die im wesentlichen als Abfolge von Lebensbeschreibungen der einzelnen Amtsträger (Könige, Bischöfe, Äbte) ausgefertigt sind (lat. gesta = Taten).

Beispiele wichtiger (Welt-)Chroniken:

  • Weltchronik des Eusebius von Cäsarea (bis 325), von Kirchenvater Hieronymus ins Lateinische übersetzt und bis 378 weitergeführt
  • Weltchronik des Beda Venerabilis (†735)
  • Weltchronik des Regino von Prüm (†915)
  • Otto von Freising (†1158), Chronica sive historia de duabus civitatibus („Geschichte der zwei Reiche“ oder auch „Weltchronik des O. v. F.“)