Beziehung zu Leo Löwenthal

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Durch die vielen erhaltenen Briefe, die sich beide regelmäßig schrieben, vor allem da Löwenthal Anfang der Zwanziger Jahre aufgrund von einer Lungen´tuberkulose, des öfteren auf Kur fahren musste und später, Mitte der Zwanziger, nach der Hochzeit mit seiner Frau Golde Ginsburg, im Dezember 1923, in verschiedenen Städten arbeitete, läßt sich ein sehr authentisches Bild der Beziehung zwischen Leo Löwenthal und Siegfried Kracauer zur Zeit der Weimarer Republik bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933, abzeichnen.


Kennenlernen

Die erste Begegnung zwischen Leo Löwenthal und Siegfried Kracauer fand im Jahre 1920,in einem kleinen Café, dem Café Westend, welches sich schräg gegenüber der Frankfurter Oper (heutige Alte Oper) statt. Dieses Café, welches heute nicht mehr existiert, war nach dem Ende des Ersten Weltkriegs Treffpunkt für die Frankfurter Intellektuellen geworden. Wer genau die beiden miteinander bekannt gemacht hat ist leider nicht mehr zu rekonstruieren. Zum Zeitpunkt des Kennenlernens war Kracauer der 11 Jahre ältere Kracauer noch in einem Architektenbüro in Frankfurt tätig und Löwenthal studierte noch in Heidelberg. Die Treffen der beiden, vor allem in Löwenthals Ferien, sollten schnell zur Regelmäßigkeit werden und den Beginn einer lang anhaltenden Freundschaft markieren, wie Kracauer bereits 1921 in einem Brief bemerkte: „Daß unser Verhältnis immer inniger und freundschaftlicher geworden ist, beglückt mich mindestens ebenso, wie Sie, und ich glaube fest daran, daß wir uns in Zukunft noch viel sein werden.“ Aus ihrer persönlichen Beziehung sollten sich bald eine Reihe weiterer entwickeln. So lernte Löwenthal durch Kracauer unter anderem Theodor Wiesengrund (Adorno) kennen und später auch Max Horkheimer, dessen Bekanntschaft zu einem entscheidenen Meilenstein in seines Lebens werden sollte, da sie 1926 zu seinem Eintritt in das Institut für Sozialforschung führen sollte. Doch auch Kracauer lernte durch Löwenthal andere Intellektuelle kennen, so beispielsweise Ernst Bloch, aber auch den damaligen äußerst bekannten Rabbiner Anton Nehemias Nobel, in deren Kreis die beiden bald eintreten sollten. In dieser ersten Phase befaßten sie sich in ihren Diskussionen vor allem mit philosophischen und religiösen Fragen und den Schriften zeitgenössischer jüdischer Intellektueller, doch durfte auch hier natürlich der alltägliche Klatsch und Tratsch nicht fehlen.

Friedel und Leo

Siegfried Kracauer schrieb am 27.8.1922 für die "Frankfurter Zeitung" eine äußerst kritische Rezension zu Ernst Blochs Buch über Thomas Münzer. Dieser schien darüber so verärgert zu sein, dass er dem Autor in einem bitteren, sarkastischen und fast schon beleidigenden Ton antwortete. Als Folge dessen brach nicht nur Kracauer seine Freundschaft mit Bloch ab, sondern auch Löwenthal sah sichz dazu verpflichtet: „Es war eine selbstverständliche Reaktion zu sagen: wenn du meinen Freund beleidigst, bist du nicht länger mein Freund.“ Auch nach Martin Bubers bitterem Artikel, in welchem er Kracauer in fast schon geschmackloser Art und Weise abkanzelte, (ausgelöst durch Kracauers kritische Rezension von Martin Bubers und Franz Rosenzweigs „Die Bibel auf Deutsch“) brach Löwenthal sogar den Kontakt zu Franz Rosenzweig, mit einem Buber attackierenden Brief, ab. Es hatte sich bereits wenige Jahre nach dem kennenlernen eine intensive und feste Freundschaft entwickelte, in der man sich nicht nur über Gedanken, Ängste und Gefühle austauschen konnte, sondern auch in bemerkenswerter Weise hinter dem anderen stand.


Der Einfluss

Nachdem Kracauer 1921 dann endlich eine Festanstellung bei der Frankfurter Zeitung erlangt hatte, begann er sich fortan mit zunehmend weltlicheren Themen zu befassen. Rezensionen von verschiedensten Büchern, Berichte über diverse Ereignisse, doch Schritt für Schritt auch unterschiedlichste kulturelle und soziale Phänomene, bis hin zu tiefgründigen soziologischen Analysen. Doch sollte von dieser Weiterentwicklung auch der Freund beeinflusst werden; und so gelang es ihm letztlich Löwenthal von seinem „bloß spekulativen, idealistischen, hochtrabenden philosophischen Stil abzubringen und statt dessen zu konkretem Denken, ernster wissenschaftlicher Arbeit und kritischer Untersuchung gesellschaftlicher Fragen zu bewegen.“ Kracauer nahm so einen grundlegenden und weitreichenden Einfluss auf die intellektuelle Weiterentwicklung von Löwenthal.


Zurück nach Frankfurt

Nachdem Kracauer immer wieder dem Freund gegeüber äußerte, wie sehr er ihn vermisse und sich eine baldige Rückkehr löwenthals nach Frankfurt wünschte, sollte dies spätestens im Jahre 1926 in Erfüllung gehen. Aus diesen Jahren, in denen beide gemeinsam in Frankfurt lebten und arbeiteten, sind, bis auf eine Ansichtskarte vom Sommer 1926 keinen weiteren Briefe vorhanden. Erst mit Kracauers Versetzung nach Berlin müssen beide ihre Freundschaft wieder aufs Papier verlegen. Leider sind aus dieser, Kracauers Berliner, Zeit, kaum Briefe erhalten doch ist von einer intensiven Aufrechterhaltung jener Freundschaft auszugehen, in der man sich weiterhin, vor allem über private Arbeiten, aber auch über gesellschaftliche Veränderungen, sowie die eigene Beschaffenheit austauschte. Der Spiess solle sich nun umdrehen und nicht Kracauer, sonder Löwenthal fragte nun: „Kommst Du eigentlich nicht mal nach Frankfurt?“


In steter Freundschaft

So lautete die Widmung, die Kracauer dem Freund Löwenthal in sein Exemplar von "Ginster" schrieb. Ihre Freundschaft sollte auch über den Nationalsozialismus in Deutschland und Europa, hinaus bestand haben und so ist es letztlich Löwenthal zu verdanken, dass Kracauer nicht jenes Schicksal zustiess, wie etwa Benjamin oder zahlreichen anderen jüdischen Intellektuellen. Er setzte sich maßgeblich und letztlich erfolgreich dafür ein den 'alten Freund' (und auch dessen Frau Lili) die Einreise nach den Vereinigten Staaten zu organisieren und sollte ihm auch dort bei der Suche nach einem Broterwerb nicht im Stich lassen. Bis zu Kracauers Tod im Jahre 1966 sollten sie sich noch Briefe schreiben. So sagte Leo Löwenthal 1990 über den Freund Friedel: „Jüngst fragte mich jemand, wer denn der interessanteste Mensch war, dem ich je begegnet sein. Ohne auch nur einen meiner anderen Freunde kleiner machen zu wollen, muss ich gestehen, daß ich sofort ‚Friedel Kracauer’ geantwortet habe.“