Friedrich Tenbruck- Wie kann man die Geschichte der Sozialwissenschaften in den 20er Jahren schreiben

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Zusammenfassung von "Wie kann man die Geschichte der Sozialwissenschaften in den 20er Jahren schreiben?" und "Geisteswissenschaften zwischen Kaiserreich und Republik. Zur Entwicklung von Nationalökonomie, Rechtswissenschaft und Sozialwissenschaft im 20. Jahrhundert", hrsg. von Knut Wolfgang Nörr/Bertram Schefold/Friedrich Tenbruck, Stuttgart 1994: S. 23-46.

Man kann die Geschichte der Sozialwissenschaften und der Soziologie in den 20er Jahren als Fachgeschichte schreiben, d.h. nur unter Beruecksichtigung des sachlichen Selbstverstaendnisses der Wissenschaft, des eigenen Erkenntnisfortschritts, oder als eine Wissenschaftsgeschichte, d.h. das sachliche Selbstverstaendnis der Wissenschaft in seinen Zusammenhaengen und Bedingungen verstehen. In seinem Text „ Wie kann man die Geschichte der Sozialwissenschaften in den 20er Jahren schreiben“ versuchte Friedrich Tenbruck eine Wissenschaftsgeschichte der deutschen Soziologie fuer diesen Zeitraum zu schreiben.

Die deutsche Soziologie ist im geistigen Milieu der Nachkriegszeit ( 1. Weltkrieg) bei den Besiegten (Deutschland und Österreich) entstanden. Dieser Zeitraum wird von ihm als einer grundsätzlichen Reflexion der gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Grundlagen bezeichnet( Zwiefel an Fortschritt, Veraenderung der Gegenstaende der Wissenschaften, Diskussion um die Wertfreiheit und Wissenssoziologie. Da der 1. Weltkrieg ein Krieg der Ideen war, hat sich derselbe Kampf der Ideen auf wissenschaftlicher Ebene fortgesetzt.

Angesichts dieser Lage, hat sich die Soziologie in Deutschland im Unterschied zu der westlichen Soziologie (Frankreich, USA) auf eigentümliche Art und Weise als eigene Wissenschaft etabliert: im Kampf gegen die Geisteswissenschaften und durch den Streit zwischen Positivismus und Heumeneutik. Da die deutschen Geisteswissenschaften zur Jahrhundertswende in eine Krise gerieten und an ihre Erkenntnisgrenzen stossen, hat die Soziologie diese Fragen aufgenommen und die Schwächen der Geisteswissenschaften gezeigt. Die deutsche Soziologie in den 20er Jahren interessierte, was die Menschen bewegte. Die soziologischen Fragen waren existentielle Fragen der Gesellschaft selbst, die sich in einer Gegenwartskrise in den 20er befand. Da die deutsche Soziologie die historischen Fächer und die Wertvoraussetzungen der Geisteswissenschaften kritisierte, die den positivistischen Weg eingeschlagen haben, ist sie nicht nur als eine aktuelle, sondern auch als eine eigenartig historische und kritische Wissenschaft entstanden.

Die Soziologie in den 20er hatte eine besondere Stellung nicht nur „im geistigen Haushalt der Nation“. Die ersten Universitäten, an denen die Soziologie als eigene Wissenschaft institutionel etabliert wurde, waren Köln, Frankfurt als Stiftungsuniversität und Hamburg. Die Institutionalisierung der Soziologie wurde politisch und von einer ausseruniversitären Soziologieentwicklung unterstützt, weil man pädagogisches und krisenbewältigendes Potential in der Soziologie gesehen hat. Nach dem Kampf für die Institutionalisierung der Soziologie, begann der Kampf um die Soziologie, um ihren Wert als Orientierungsmacht mit dem Streit zwischen E. R. Curtius und Karl Mannheim, der von Curtius eröffnet wurde. Er hat Mannheims These kritisiert, dass „die Soziologie zu Zentralwissenschaft werde“ und ihm Soziologismus vorgeworfen. Diese Phase der Soziologieentwicklung in Deutschland wurde 1933 mit dem nationalsozialistischen Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums beendet.