Heinz Steinert - Die fünfte Fakultät: Strömungen in der Geschichte der Sozialwissenschaften an der Universität Frankfurt

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Entstehung und Entwicklung der fünften Fakultät

Mit der Gründung des „Instituts für Gemeinwohl“ 1890 durch Merton und der „Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften“ 1901, werden die beiden entscheidenden Ausgangspunkte für die Entstehung der fünften Fakultät gelegt. Während das Preußische Abgeordnetenhaus 1910 einen Universitätsstatus für Frankfurt noch ablehnt, weil sie die Einstellungen für zu linksdenkend einschätzen, erhält Frankfurt 1914 die staatliche Zulassung als Universität. Hierbei werden die Sozialwissenschaften nicht – wie seiner Zeit üblich – bei den Staatswissenschaften untergebracht, sondern firmieren mit den Wirtschaftswissenschaften zur fünften Fakultät.

Für die 'Gründerzeit' des Instituts kontrastiert Steinert zwei Zugangsweisen zu Gesellschaftlichem, die jeweils beide aus einem bürgerlichen Habitus entspringen. Erste agiert aus einem Ordnungsdenken heraus und befasst sich daher mit der Konstruktion von Gesellschaftsverträgen, die zweite nähert sich aus einem Befreiungsdenken den und der Sozialen Frage.

In der Folge werden den Frankfurter Sozialwissenschaften, in der Darstellung von Heinz Steinert, sowohl das Institut für Sozialforschung als auch einige Mitarbeiter (wie etwa Mannheim oder Tillich) mehr oder weniger stark aus Berlin aufgedrängt.

Zwei Konfliktlinien

Aus den beiden Zugangsweisen entwickeln sich zunehmend eigenständige Position, die mit einander in Konflikt stehen. Die einen widmen sich der Bewältigung von sozialen Problemen und dem Lösen von sozialen Benachteiligungen. Die anderen sind an einer professionellen Soziologie interessiert, die auf Werturteilsfreiheit aufbaut. Steinert bezeichnet die beiden Positionsgruppierungen als die der „Soziale-Probleme-Reformer“ bzw. der „akademisch Formalen und Wertfreien“ (S.23) Die zweite Konfliktlinie entsteht in einer Ausdifferenzierung des 'linken Flügels' der Frankfurter Sozialwissenschaften. Sie beginnt 1924 mit der Gründung des „Institut für Sozialforschung“ und erfährt zusätzlich eine Verschärfung als ebendieses Institut in die Philosophische Fakultät überführt wird. Hierbei bilden sich zwei Ansichten heraus, die Steinert mit der Doppelbezeichnung „Kathedermarxismus – akademisierter Hegel-Marxismus“ rubriziert. (S.26)

Sozialwissenschaften während des Nationalsozialismus

Obwohl die Sozialforschung marxistischer Prägung durch den Nationalsozialismus vertrieben wird verschwinden die Sozialwissenschaften damit nicht aus Frankfurt. Vielmehr wird sie nun empirisch und in erster Linie als Bevölkerungsstatistik betrieben. Dies spiegelt sich in der Gründung der „Gesellschaft für Sozialwissenschaften an der Universität Frankfurt“ 1936 wieder, die sich programmatisch auf die empirische Erforschung der Region ausrichtet. Die Gesellschaft wurde von Heinz Marr, einem Mitglied der Fakultät, der vom Kathedersozialismus zum Nationalsozialismus 'konvertierte', geleitet. Neben der Gesellschaft findet sich die empirische Ausrichtung auf demographische Studien in der Gründung des „Institut zur Erforschung des deutschen Volksaufbaus“ aus dem Jahre 1940 wieder. Dieses Institut wird von Ludwig Neundörfer gegründet und geleitet und 1945 in das „Soziografische Institut an der Universität Frankfurt“ umbenannt.


Den Typus, der während der nationalsozialistischen Diktatur in Frankfurt Sozialforschung betrieb, nennt Steinert „Statistiker und reinen Empiriker“ (S.30) und bescheinigt diesem Typus eine gewisse Nähe zum „Soziale-Probleme-Reformer“ aus der 'Gründerzeit' der Fakultät.


Steinert, Heinz 1989: Die fünfte Fakultät: Strömungen in der Geschichte der Sozialwissenschaften an der Universität Frankfurt. In.: Ders. (Hrsg.): Die (mindestens) zwei Sozialwissenschaften in Frankfurt und ihre Geschichte. Frankfurt: Studientexte zur Sozialwissenschaft. S. 17-36