Jürgen Habermas - Verpasste Chance für die Soziologie und Philosophie der Universität Frankfurt/M.

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Einleitung

Im Rahmen des Lehrforschungsprojekts „Soziologie in Frankfurt“, bearbeite ich die Fragestellung, ob es an der Universität Frankfurt aufgrund von politischen oder persönlichen Problemen mit Jürgen Habermas zu einer verpaßten Chance gekommen ist oder nicht. Die Philosophie und auch die Soziologie sind in Frankfurt geschichtlich eng mit dem Begriff der Frankfurter Schule und mit dem Namen Jürgen Habermas verbunden. Habermas begann seine akademische Laufbahn in Frankfurt und nahm sie in Frankfurt wieder auf, um auch heute noch zu den einflußreichsten intellektuellen Stimmen der Bundesrepublik zu gehören. Dennoch gab es im Laufe der Jahre immer wieder Wendepunkte, an denen sich die Wege der Universität und die von Jürgen Habermas trennten.

Die Werke des bis heute einflussreichen Philosophen und Soziologen wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und lösten disziplinübergreifende Kontroversen in Philosophie, Wissenschaftstheorie, Soziologie und Politologie aus. In Deutschland wurde Habermas, nachdem er bereits durch den Positivismusstreit und sein Werk „Erkenntnis und Interesse“ allgemein bekannt geworden war, nach der Veröffent¬lichung der „Theorie des kommunikativen Handelns“ zu einem der meistdiskutierten deutschen Philosophen der Gegenwart. Seit den 1980er Jahren erschien eine Reihe von Einführungen in sein Leben und Werk. Habermas publizierte zudem regelmäßig in zahlreichen deutschen Feuilletons, wie dem der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Süddeutschen Zeitung oder der Zeit.

Seit Anfang der 80er Jahre vernetzt sich Habermas stark international. John Rawls, Charles Taylor, Richard Rorty und Seyla Benhabib sind WeggefährtInnen. Internationale Anerkennung erfährt Habermas durch Auszeichnungen, wie den Kyoto Preis 2004. Auffällig ist, dass Habermas seine bekannten und einflussreichen Werke bemerkenswert oft nicht in den Jahren in Frankfurt verfasst hatte, sondern großteils in den Jahren dazwischen. Er konnte gerade in seiner Anfangszeit an der Universität Frankfurt nie richtig Fuß fassen. Habermas’ Zeit an der Frankfurter Universität ist durch Ambivalenz gekennzeichnet: zum einen nahm man in euphorisch auf und lehnte ihn gleichzeitig aber auch ab.

Welche Gründe dies gehabt haben kann und auf welche institutionellen, personellen und strukturellen Probleme er in Frankfurt immer wieder gestoßen ist, soll im Folgenden erarbeitet werden. Habermas’ Verortung in Frankfurt lässt sich in drei Phasen einteilen. Diese drei Teile stellen die Kapitel dieser Hausarbeit dar, wobei der Schwerpunkt in den ersten beiden Teilen zu sehen ist. Die erste Phase und somit der erste Teil bezieht sich auf die Jahre von 1956 bis 1959, seine zweite Phase in Frankfurt erstreckt sich über einen Zeitraum von 1964 bis 1971 und die dritte Phase beginnt 1983 und endet mit seiner Emeritierung 1994. Die erste Phase wird bestimmt durch das Verhältnis von Habermas zum damaligen Institutsleiter der Frankfurter Universität und Mitbegründer der „kritischen Theorie“ Max Horkheimer

Adorno und Horkheimer: Remigranten am neugegründeten IfS

Max Horkheimer, der 1933 im Zuge der Institutsschließung durch das Nazi-Regime in die USA ausgewandert war, verlegte den Sitz des Instituts in der Folgezeit von Frankfurt über Genf und Paris letztlich an die Columbia University nach New York. Da auch die Gelder der Stiftung rechtzeitig ins Ausland transferiert werden konnten, waren die wirtschaftliche Fortexistenz des Instituts als „Institute for Social Research“ (ISR) und die weitere Herausgabe der „Zeitschrift für Sozialforschung“, zuletzt fortgeführt als „Studies in Philosophy and Social Science“, vorerst gesichert.

Er entwickelte mit Theodor W. Adorno das gemeinsame Werk „Dialektik der Aufklärung“ ebenso wie im weiteren Verlauf die „Studies in Prejudice“ mit dem berühmt gewordenen Teil über die „Authoritarian Personality“.

Was für Adorno bereits feststand, nämlich nach Beendigung des National¬sozialistischen Regimes wieder nach Deutschland zurück zu kehren, war für Horkheimer ein Prozess, der sich über mehrere Jahre vollzog und nur mit der Bedingung einer weiterhin bestehenden US-Bürgerschaft verbunden war. Bereits 1946 warb die Stadt und die Universität um die Rückkehr des Instituts für Sozialforschung nach Frankfurt. Nach ersten Kontaktaufnahmen in den Folgejahren war es Max Horkheimer, der 1949 als erster wieder an das neu gegründete Institut

zurück kehrte und seinen damaligen von den Nazis abgeschafften Lehrstuhl für Sozialphilosophie besetzte, diesmal allerdings als Lehrstuhl für Soziologie und Philosophie deklariert. Der Forschungsbetrieb wurde Ende 1950 mit einer Studie, die an die bereits von Horkheimer und Adorno in den USA entwickelte Untersuchung „The Lessons of Fascism“ anknüpfte, wieder aufgenommen. Fünf Jahre später veröffentlichte man die Studie unter dem Titel „Gruppenexperiment“, eine empirische Untersuchung über das politische Bewusstsein der Deutschen.

Als das am stärksten aus der Untersuchung hervorgehende Resultat beunruhigte Horkheimer, dass der Antisemitismus in Deutschland immer noch weit verbreitet ist, insbesondere bei den Akademikern: „Das vorgelegte Material ermächtigt wohl zu dem Schluss,“ so eine Aussage aus der Studie, „dass zwar die nationalsozialistische Ideologie als in sich einheitlich organisierter Zusammenhang nicht mehr existiert, da ihr insbesondere durch den Misserfolg ihre stärkste integrierende Kraft entzogen wird, dass aber zahlreiche Einzelelemente des faschistischen Denkens, heraus gebrochen aus ihrem Zusammenhang und darum oft doppelt irrational, noch gegenwärtig sind und in einer veränderten politischen Situation wieder manipuliert werden könnten“ . Dieser Auszug aus einem der Ergebnisse stellt deutlich die sozialwissenschaftliche Bestätigung des Ausmaßes des Misstrauens seitens Horkheimer gegenüber seinem unmittelbaren Umfeld an der Universität dar.

„Der Remigrant Horkheimer hat es in nur kurzer Zeit unter den spezifischen Bedingungen der von den USA dominierend beeinflussten Nachkriegspolitik vermocht, seine alte Stellung vom Ende der Weimarer Republik wieder einzunehmen und darüber hinaus die höchste Stufe der universitären Karriereleiter zu erklimmen“ , denn im November 1951 wurde Horkheimer mit knapper Mehrheit zum Rektor der Frankfurter Universität gewählt und konnte nun einen direkten Einfluss auf die Berufungspolitik und der Errichtung von „Wiedergutmachungslehrstühlen“ nehmen. Ob sich das auf die Situation am IFS, die Entwicklung der Projekte und das Verhältnis zu Habermas auswirkte, der 1956 an das Institut gekommen ist, behandelt der nächste Abschnitt.

Situation am Institut für Sozialforschung in den 50er Jahren

Die Situation am Institut für Sozialforschung stellte sich als eine andere dar, als noch am alten Institut in den 20er und 30er Jahren. Ging man nach der Neugründung Anfang der 50er Jahre davon aus, dass Horkheimer als damaliger und erneut eingesetzter Institutsleiter darauf bedacht war, den alten Mitarbeiterkreis wieder für Arbeiten am IfS zu gewinnen, täuschte man sich. Wo die Kontakte zu den alten Mitarbeitern nicht gänzlich abgerissen waren, blieben sie vergleichsweise spärlich auf Erinnerungen und den Austausch von Informationen begrenzt. Selbst der Kontakt zu den engsten Mitarbeitern der Exilzeit - zu Felix Weil und Herbert Marcuse -, war durch stetig anwachsende sachliche und persönliche Entfremdung gekennzeichnet. Zwar wurden ab und zu alte Mitarbeiter zu Vorträgen eingeladen, aber es kam zu keiner institutionellen Zusammenarbeit.

Stattdessen entwickelten sich neue Allianzen mit dem einzigen Grund - welches zugleich auch bestimmendes Thema der 50er Jahre im „soziologischen“ Nachkriegsdeutschland bildete: mit den amerikanischen Reeducation-Programmen die Überwindung des Nationalsozialismus und die Herausbildung einer Zivilgesellschaft, die für den Faschismus nicht mehr anfällig ist. Auf der einen Seite gab es die alten Eliten, die sich am NS-Staat aktiv beteiligt hatten und nach seinem katastrophalen Scheitern nicht abgetreten sind und auf der anderen Seite standen all diejenigen, die in Politik, Bildung und Medien darauf drängten, dass der neue Staat nicht mehr in die Hände der alten Eliten fallen sollte. An ihrer Spitze standen Horkheimer und Adorno. So ist es auch zu erklären, dass ungeachtet intellektueller sowie auch persönlicher Differenzen Beziehungen zu Plessner, König oder Bergstraesser entstanden sind.

In „die intellektuelle Gründung der Bundesrepublik“ schreibt Clemens Albrecht über Horkheimers Institutspolitik, dass diese „aus der Perspektive der 60er und 70er Jahre seltsam anmutende Vermischung der intellektuellen Fronten ein Charakteristikum der 50er Jahre und eine wichtige Voraussetzung für die Wirkung des IfS, weil es sich durch diese Kontakte und Allianzen etablierte und eine anerkannte Ausgangsposition schuf. Im Bereich der Sozialwissenschaften lebte diese Zusammenarbeit, in der sich eine der wichtigsten Trägergruppen der Bundesrepublik formierte, von dem

Grundkonsens der 50er Jahre: Aufbau moderner Sozialwissenschaft nach amerikanischem Vorbild zur Stütze der Demokratie und Überwindung des Nationalsozialismus.“

Interessant erscheint mir auch, dass Horkheimer offenkundig darum bemüht war, einen Trennungsstrich zwischen dem neuen und dem alten Institut zu ziehen. Er versuchte sogar zu verhindern, dass irgendwelche möglicherweise Anstoß erregenden Arbeiten aus dem alten Institut wieder ans Tageslicht kamen. Man sprach auch von einer „zugenagelten Kiste im Keller des Instituts“, dem Giftschrank Horkheimers, in der die alten Zeitschriften für Sozialforschung (ZfS) aufbewahrt wurden. So war es auch nicht überraschend, dass Jürgen Habermas, der 1956 an das IfS gekommen war sagte: „Die Zeitschrift war inexistent, ich wusste gar nicht dass sie im Keller übrigens verschlossen war.”

Will man die Situation am Institut für Sozialforschung in den 50er Jahren verstehen, muss man die politisch gewordene Person Max Horkheimers im Kontext der sich entwickelnden Bundesrepublik sehen. So standen für ihn die „Wende zur Demokratie“ und der Bruch mit der kommunistischen Ideologie der 30er Jahre im Vordergrund. Folglich ist es auch nicht verwunderlich, dass er in der Folgezeit auf die politische Absicherung des IfS innerhalb der Wissenschaft und der politischen Öffentlichkeit bedacht war. Horkheimer versuchte erfolgreich Anfang der 50er Jahre das Institut für Sozialforschung und seine Belange durch Beziehungen mit politisch hochgestellten Amtsträgern abzusichern.

Die Situation in den 50er Jahren am Institut für Sozialforschung empfand Habermas als miserabel, „vor allem wegen Spannungen und Ressentiments zwischen Horkheimer, Adorno und Neumarck, die auf alte „vor 33er-Querelen“ zurückgingen“, erinnert sich Jürgen Habermas in einem Interview, das mit ihm im Februar 2008 per Fax im Rahmen des Lehrforschungsprojekts geführt wurde. „Mit dem Direktorat Horkheimer war das Institut der WISO-Fakultät weggenommen worden! Außerdem war in der WISO-Fakultät ein Ökonom einflussreich [...] von dem es hieß, er sei Nazi gewesen. Für mich blieben aber die Gründe für die gegenseitigen Affekte damals undurchsichtig, auch die Affäre der Berufung Golo Mann’s. Die Ausarbeitung und Koordinierung des Studiengangs erforderte schwierige Verhandlungen zwischen beiden Fakultäten, die später noch von Tenbruck und mir weitergeführt worden sind

Jürgen Habermas am Institut für Sozialforschung

1953 erregte Habermas zum ersten Mal öffentliches Aufsehen, als er in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine Rezension zu Heideggers „Einführung in die Metaphysik“ verfasste, die im selben Jahr erschienen war. Diese Vorlesung aus dem Jahre 1935 wurde samt ihres Vokabulars von der "inneren Größe und Wahrheit" des Nationalsozialismus ohne ein Wort der Erklärung wieder abgedruckt. Anders als viele seiner Altersgenossen reagierte Habermas auf diese Leugnung jeglicher politischer Verantwortung mit Empörung. Der kurze Aufsatz "Mit Heidegger gegen Heidegger denken" ist der Beginn seines politisch-publizistischen Engagements und gleichzeitig auch der Zeitpunkt an dem Adorno und Horkheimer das erste Mal auf ihn aufmerksam wurden.

Im Jahre 1954 promovierte Habermas in Bonn mit einer Arbeit über „Das Absolute und die Geschichte. Von der Zwiespältigkeit in Schellings Denken“ bei Erich Rothacker und Oskar Becker. Nach der Promotion betätigte er sich als freier Journalist für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, den Merkur, die Frankfurter Hefte und das Düsseldorfer Handelsblatt.

Jürgen Habermas kam mit einem Stipendium als Assistent Adornos und Mitarbeiter des Instituts für Sozialforschung 1956 nach Frankfurt. Nachdem mit Ludwig von Friedeburg ein junger, professioneller und für Gesellschaftskritik offener Empiriker ein Jahr zuvor ans Institut gekommen war, äußerte Adorno gegenüber Horkheimer, dem Leiter des Instituts, den ausdrücklichen Wunsch nach einem Soziologen, der theoretische Soziologie lehren konnte.

Das Verhältnis Horkheimer- Habermas

Bereits früh engagierte sich Habermas in der politischen Öffentlichkeit und trat im Zuge der Remilitarisierungsdebatte „Kampf dem Atomtod“ der Bundesrepublik am 20. Mai 1958 im Rahmen einer von unabhängigen Parteien, Gewerkschaften und der studentischen Bewegung organisierten Veranstaltung vor dem Frankfurter Römer als Redner auf. Mit der, kurze Zeit später in der studentischen Zeitung „Diskurs“ erschienenen Ansprache unter dem Titel „Unruhe erste Bürgerpflicht“, zog sich Habermas zum ersten Mal den Unmut des Institutsleiters auf sich.

In dem Artikel bringt er zum Ausdruck, dass man gegen die „Politik der Stärke“ protestieren müsse. Er endet damit, dass die “Universität als Korporation (…) ihre politische Neutralität wahren soll. Aber sie bleibt ein Hort der Gewissensfreiheit nur, solange ihre Bürger politische Gewissensentscheidungen öffentlich und mit den wirksamsten der rechtens zu Gebote stehenden Mittel bekunden. Einmal schon sind deutsche Universitäten zu lange Hort versäumter Gewissensentscheidungen ge¬blieben. Der Demonstrationszug vom 20. Mai richtet sich extra muros gegen die verantwortlichen Träger einer Politik der Stärke; intra muros aber richtet er sich nicht in erster Linie an die, die sich „für“ diese Politik schlagen, sondern an die, die sich, trotz besserer Einsicht, nicht ‚gegen’ sie schlagen. Wenn sich angstbereite Einsicht kompetenzfrei mit Unerschrockenheit gegenüber den Einflussreicheren verbindet, heißt man’s Zivilcourage. Heute steht sie unter Panikverdacht – muss das sein?“

Die protestantisch gehaltene Redensart und der Umgang mit der Neutralitäts¬wahrung der Hochschulen in dem Artikel, stellten den ersten Bruch mit Horkheimer und seinem weitgehend politisch neutral gehaltenem Universitätskurs dar.

Habermas erstes großes Projekt war das theoretische Vorwort der empirischen Studie „Student und Politik“ an der er mit Ludwig von Friedeburg, Christoph Oehler und Friedrich Weltz arbeitete.

Auf Grund dieser Studie kam es zum erneuten Konflikt mit Max Horkheimer, der die wiederholte unterschiedslose Übertragung des Revolutionsbegriffs auf die Gegen¬wart kritisierte. In der Einleitung hatte Habermas einen emphatischen Begriff von politischer Demokratie „als Maßstab der Interviewauswertung entwickelt, den Horkheimer als durchsichtige Verkleidung des alten Revolutionsbegriffs ansah.“

Die Einwände Horkheimers verzögerten das Erscheinen der Studie und führten letzt¬endlich dazu, dass sie nicht in der Reihe der „Frankfurter Beiträge zur Soziologie“, nicht einmal im gleichen Verlag erschienen ist. Horkheimer war es daran gelegen, als Institutsleiter, stellvertretend für das Institut, mit dieser Studie nicht in Verbindung gebracht zu werden. Er schrieb am 27. September 1958 einen Brief an Adorno, der eine neun Seiten umfassende schwerwiegende Kritik an Habermas enthielt und seinen im Laufe des Jahres gewachsenen Unmut widerspiegelt. Dies führte unter anderem dazu, dass sich die Lage für Habermas und seine bevorstehende Habilita¬tion in Frankfurt grundlegend änderte.

Für Horkheimer ist er „ein begabter, unablässig auf geistige Überlegenheit sich verweisender Mensch“. Er „trägt bei aller Gescheitheit Scheuklappen, es gebricht ihm an bon sens und an geistigem Takt“. Unverständlich sei es, dass Habermas, „der so viel von Empirie redet, heute zu Schriften sich bekennt, die auf der Ansicht beruhen, die Bourgoisie sei unfähig, noch lange die herrschende Klasse der Gesellschaft zu bleiben „und die proletarische Revolution in den Industrieländern noch für möglich hielten.

In der Sicht von Horkheimer hat diese Revolutionstheorie den Sozialismus in einem Land nur in die Verwandtschaft zum Nationalsozialismus geführt. Nicht die Revolution ist zu verteidigen, sondern vielmehr die Reste der bürgerlichen Zivilisation und die europäische Zivilgesellschaft. Wenn Habermas´ Denken den Geist des Frankfurter Instituts bestimmen sollte, dann „erziehen wir keine freien Geister, keine Menschen, die zu eigenem Urteil fähig sind, sondern Anhänger, die auf Schriften schwören, heute auf die, morgen vielleicht auf jene“. Abschließend schlug Horkheimer dann vor, sich von Habermas zu trennen, weil er zwar eine glänzende

Karriere vor sich habe, dem Institut aber großen Schaden bringen würde. „Lassen Sie uns zur Aufhebung der bestehenden Lage schreiten und ihn in Güte dazu bewegen, seine Philosophie irgendwo anders aufzuheben und zu verwirklichen“.

Habermas, der mit seinem Werk „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ keine Chance sah in Frankfurt zu habilitieren, trotz der intensiven Bemühungen von Adorno und Helmut Becker Max Horkheimer zu überreden das Habilitationsgesuch anzu¬erkennen, kündigte und machte sich auf die Suche nach einer neuen Habilitations¬möglichkeit. Seine Versuche mit dem „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ an anderen Universitäten habilitiert zu werden scheiterten jedoch zunächst, so dass sich Habermas gezwungen sah, seine journalistische Tätigkeit wieder aufzunehmen. Durch einen Zufall machte Spiros Simitis Habermas auf den bis dato für ihn unbekannten Wolfgang Abendroth von der Universität Marburg aufmerksam, welcher ihn daraufhin kurzfristig habilitierte.

Bereits 1961, noch vor Abschluss seines Habilitationsverfahrens, wurde Habermas nach Vermittlung von Gadamer außerordentlicher Professor an der Universität Heidelberg, wo er bis 1964 lehrte. In dieser Zeit entstanden zahlreiche Aufsätze, welche sich mit dem Positivismusstreit in der Soziologie auseinandersetzten und die sozialphilosophischen Studie „Theorie und Praxis“ (1963).

Habermas als Nachfolger Horkheimers – das zweite Mal in Frankfurt

1964 ging Habermas ein zweites Mal nach Frankfurt, wo er als Nachfolger Hork¬heimers den Lehrstuhl für Soziologie und Philosophie an der Universität übernahm. Bereits 1971 verließ er Frankfurt wieder, diesmal in Richtung Starnberg, um mit Carl Friedrich von Weizsäcker das Max-Planck-Institut zur Erforschung der Lebensbedin¬gungen der wissenschaftlich-technischen Welt zu leiten. Wie sich die Situation für Habermas und seine Arbeit in Frankfurt in diesen sieben Jahren dargestellt hat und welche Ereignisse und Entwicklungen in diesen Jahren maßgeblich dazu beigetra¬gen haben, dass er Frankfurt wieder verließ, stellt den zweiten Schwerpunkt dieser Arbeit dar.

Habermas als Akteur der Hochschulpolitik

Bereits in den 50er Jahren war Habermas für demokratische Reformen des Bildungswesens und der Hochschulen eingetreten und wurde so als Vertreter der Linken zu einem geistigen Anreger der Studentenbewegung 1967/68.

Habermas stellt in einer Rede auf einem Studentenkongress Anfang Juni 1967 - anlässlich der Trauerfeier des Studenten Benno Ohnesorgs, der eine Woche zuvor im Zusammenhang mit einer Anti-Schah-Demonstration vor der Berliner Oper von einem Polizisten erschossen worden war - sein Programm zur damaligen Hochschul¬politik vor.

Habermas versuchte in seiner Rede die politische Rolle der Studentenschaft in der BRD zu bestimmen. Er verteidigte den studentischen Protest und führt als Legitima¬tion an, dass jene Proteste oft erst zu Bewusstsein führen, was die offiziellen Instanzen „absichtslos oder auch mit Vorsatz aus dem politischen Bewusstsein ihrer Bürger aussperre und vielleicht sogar aus ihrem eigenen Bewusstsein verdränge“.

Er stellt weiterhin die These auf, dass die Studentenproteste eine „kompensatorische Funktion haben, weil die in einer Demokratie sonst eingebauten Kontroll¬mechanismen nicht oder nicht ausreichend arbeiten“.

Als Beispiel, bei denen studentische Proteste ein Missverständnis zwischen beanspruchter Legitimation und tatsächlichem Verhalten aufgezeigt haben bzw. die Gesellschaft für diese Problematik sensibel machten, führt Habermas den Vietnam-Konflikt an. Er stellt einen der Gründe für Studentenproteste dar, bei dem das offizielle Weltbild des Landes sensibel für ein politisches Thema gemacht wurde, so dass im weiteren Verlauf detaillierte Informationen zu diesem Konflikt fortlaufend an die Öffentlichkeit gedrungen sind.

Resümierend stellt Habermas auf dem Kongress in Hannover fest, die Aufgabe studentischer Opposition in der Republik sei, „den herrschenden Mangel an theoretischer Perspektive, den Mangel an Sensibilität gegenüber Verschleierung und Verketzerungen, den Mangel an Radikalität bei der Auslegung und Praktizierung unserer sozialrechtstaatlichen und demokratischen Verfassung, den Mangel an Antizipationsfähigkeit und wachsender Phantasie, also Unterlassung, zu kompen¬sieren“.

Dennoch lässt es Habermas nicht aus, auch auf objektive und subjektive Gefahren hinzuweisen, die sich im Bereich der Hochschule für den politischen Bewegungs¬spielraum der Studentenschaft ergeben können. Die Studenten müssen sich bewusst sein, dass „angesichts einer ungewöhnlich langen Durststrecke zwischen Theorie und Praxis und angesichts der für die Studentenrolle charakteristischen Spannung zwischen Berufsvorbereitung und politischem Engagement sowie zwischen einem positivistischen Wissenschaftsbetrieb, der Handlungsspielraum nicht mehr hergeben konnte, um dem Bedürfnis nach einer praktischen Gesamtorientierung gerecht zu werden“ .

Auch zu dem Thema der demonstrativen Gewalt äußert sich Habermas und macht deutlich, dass diese demonstrative Gewalt lediglich die Aufklärung als Ziel innehaben dürfe. Die Aufmerksamkeit, welche durch die Demonstrationen erreicht werden müsse, diene nur dem Zweck die eigenen „besseren“ Argumente zum Ausdruck zu bringen. Gewalt kann aber dem Ziel Diskussion zu erlangen, nicht dienen. „Wenn die studentische Opposition einen Vorzug hat“, meint Habermas, „dann kann es nur der sein: Dass sie Sensibilität für die Verletzung von Menschen und für deren Verletzbarkeit, einzelner Menschen wie ganzer Klassen, zu einer politischen Kategorie erhebt“ .

Zum eigentlichen Eklat kommt es im Anschluss an die öffentliche Diskussion des Organisationsreferats auf der 22. Delegiertenkonferenz des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, vom 5. September 1967.

Als Habermas nach seiner Verabschiedung noch einmal auf das Podium ging und Stellung zu der unmittelbar zuvor gehaltenen Rede des Studentenführers Rudi Dutschke nahm. Dutschke forderte Sitzstreiks an den Universitäten und die Bildung von „Aktionskomitees“ zur Politisierung der Universitäten als Teil einer „bewussten Durchbrechung der etablierten Spielregeln“ .

Habermas richtete an ihn folgende Worte: „Herr Dutschke hat als konkreten Vorschlag nur vorgetragen [...], dass ein Sitzstreik stattfinden soll. Das ist eine Demonstration mit gewaltlosen Mitteln. Ich frage mich, warum er das nicht so nennt und warum er eine dreiviertel Stunde darauf verwendet hat, um eine voluntaristische Ideologe hier zu entwickeln, die man im Jahr 1848 utopischen Sozialismus genannt hat, die aber unter heutigen Umständen - jedenfalls glaube ich, Gründe zu haben, diese Terminologie vorzuschlagen - 'linken Faschismus' nennen muss.“

Habermas befürchtet durch den Aufruf Dutschkes und des SDS, würde man den bürgerlichen Staat mit illegalen Aktionen provozieren, ohne jedoch die Chance zu haben, ihn durch erfolgreiche Revolution zu überwinden. Mehr noch, es wäre denkbar, dass jenes Phänomen wie es bereits in Italien in den 20er Jahren und auch in Deutschland zur Zeit der Weltwirtschaftskrise aufgetreten ist, dass ein demokra¬tischer Staat den Faschismus „beauftragt“, um die Bedrohung von links gewaltsam zu zerschlagen, wieder akut wird.

Im Folgenden wurde der Begriff „linker Faschischmus“ insbesondere von den konservativen Medien und Politikern zur negativen Charakterisierung der Außerparlamentarischen Opposition gebraucht.

Nachdem Habermas bewusst wurde, welche nachhaltigen Ausmaße sein Dogma in der öffentlichen Diskussion erlangte, nahm er bereits in seinem Aufsatz „Hochschul¬reform und Protestbewegung“ und dann auch in einem Brief an Erich Fried, einem politisch engagierten Schriftsteller, im Juli 1967, seine Aussage öffentlich zurück: „Ich habe in Hannover vom „linken Faschismus“ in einem klar hypothetischen Zusammenhang gesprochen.“


In einem weiteren Brief im Mai 1968 konstatiert er, dass für ihn in der damaligen Situation nicht zu sehen war, dass die neuen Formen der Provokation ein sinnvolles, legitimes und sogar notwendiges Mittel sind, um Diskussionen dort, wo sie verweigert werden, zu erzwingen. Seine damalige Angst erschließt sich aus den irrationalistischen Implikationen eines Vorgehens, das unter dem Topos 'die Spielregeln brechen' eingeführt wurde. Die Intention der damaligen Bemerkung hat sich für Habermas auf Grund der weiterhin bestehenden Befürchtung, nicht geändert. Die Etikettierung des linken Faschismus, sei aus heutiger Sicht unglücklich gewählt, da es ein grobes Missverständnis einer Identifizierung des SDS mit den rechten Studenten Anfang der dreißiger Jahre hervorgerufen hat. Dennoch hält er nach wie vor Gewaltanwendung in der „gegenwärtigen Situation nicht für ein vertretbares Mittel des politischen Kampfes.““

Nicht nur, dass diese Geschehnisse gleichbedeutend mit dem intellektuellen Bruch der Beziehung zur Studentenbewegung zu sehen waren, wurde das Schlagwort des Linksfaschismus seit 1967 auch weiterhin immer wieder zur Denunziation links¬progressiver Aktionen und Zitate verwendet.

Adornos Tod, Wendepunkt für Habermas?

Einen weiteren Wendepunkt in der soziologischen und philosophischen Geschichte der Universität Frankfurt und der Situation von Habermas in Frankfurt, bildete der Tod Theodor W. Adornos im Jahre 1969 und eine damit verbundene erkennbar gewordene Zäsur.

Aus den zum früheren Horkheimer-Kreis gehörenden Personen lebten noch Erich Fromm, dessen Entfremdung zu Horkheimer und dessen Kreis nie wirklich aufgehört hatte und Leo Löwenthal, der seit den 50er Jahren in den USA lebte und ab 1956 als Professor an der Universität von Berkeley arbeitete. Der Bruch Löwenthals mit Adorno und Horkheimer erfolgte aber bereits in den frühen 50er Jahren als es zu einem Streit kam, durch Pensionsansprüche, die Löwenthal gegenüber dem Institut geltend machte. Herbert Marcuse war von Horkheimer nie wirklich als geistiger Weiterführer der Tradition anerkannt, so kam es auch zu dem Ausspruch Horkheimers: „Marcuses Ruhm beruhe auf Gedanken, die gröber und simpler als Adorno und meine Gedanken sind“ .

Horkheimer selber lebte seit seiner Emeritierung 1959 in Montagnola bei Lugano, stand aber seiner Vergangenheit seit dem eher distanziert gegenüber. Innerhalb von zwei Jahren verließen auch die „jüngeren“ Soziologen und Adorno-Schüler die Frankfurter Szene.

Die Konflikte mit der 68er Bewegung, Adornos Tod etc. führten schließlich dazu, dass Jürgen Habermas 1971 einen Ruf als Direktor am Max-Planck-Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaft¬lich-technischen Welt in Starnberg bei München annahm und „hoffte, dort seine Konzeption interdisziplinärer Theorie-Arbeit realisieren zu können, für die er am Institut für Sozialforschung, dessen Mitdirektion ihm angeboten worden war, keine Chance sah“.

Er schrieb im April 1971 in einem Brief an Horkheimer, in dem er zwei Faktoren für seine Entscheidung das Institut zu verlassen, deutlich machte: “Ich brauche Ihnen nicht darzustellen, wie sehr sich die Szene hier nach Adornos Tod verändert hat. Ich habe zwei Motive, nach Starnberg zu gehen. Auf der einen Seite habe ich dort großzügige Möglichkeiten, zu forschen. Ich kann 15 wissenschaftliche Stellen besetzen, und kann in einem verhältnismäßig weiten finanziellen Spielraum frei über die Wahl der Projekte entscheiden. Hier in Frankfurt hingegen hat niemals die realistische Möglichkeit bestanden, mit den Mitarbeitern in das Institut für Sozial¬forschung einzutreten, mit denen ich zusammenarbeiten möchte. Der andere Grund ergibt sich aus dem Umstand, dass der künftige sozialwissenschaftliche Fachbereich mit der Aufgabe belastet sein wird, die Grundausbildung der Lehrer, der Juristen und der Ökonomen zu übernehmen. Würde ich hier bleiben, müsste ich meine volle Arbeitskraft diesen ja durchaus dringlichen Aufgaben widmen.

Institutionelle Probleme der Neugründung der Fachbereiche

Als die Fachbereichsgliederung anstelle der Fakultäten 1971 anstand, so berichtet Hermann Kocyba, hatten eine Reihe von Studenten und Assistenten die Vorstellung, dass die Philosophie die Soziologie brauche und umgekehrt und es natürlich schien, dass man die Fakultäten zu einem Fachbereich zusammenschließen sollte. Habermas selber schien sich zu Anfang nicht eindeutig für ein Pro oder Contra der Zusammenlegung entscheiden zu können. Als man dann aber feststellte, dass der Fachbereich unter anderem aus der Ausbildung von Lehrern bestehen (Integration der so genannten Grundwissenschaften in den Fachbereich) würde, war es für ihn als Philosoph keine Alternative mehr und er sprach sich im weiteren Verlauf gegen die Zusammenführung aus. Man sprach Habermas in diesem Vorgehen eine Art politischen Elitismus nie ganz ab. Durch die zum damaligen Zeitpunkt schon stark boomende Lehrerausbildung, gab es eine Vielzahl von Stellen zu vergeben, so dass zum Teil auch Oberstudienräte Professoren-Stellen besetzten. Zum anderen gab es die Befürchtung, dass die Philosophie von der Soziologie majorisiert werden könnte.

Dies steht jedoch im Widerspruch zu einer von Habermas selbst getroffenen Aussage aus einem Fax-Interview, in dem er auf das angesprochene Thema der Zusammenlegung der Soziologie und der Philosophie mit Ahnungslosigkeit reagiert: „Von dem Plan einer Zusammenlegung der beiden Fächer höre ich zum ersten Mal; ich halte das für eine Ente.“

Der Weggang von Habermas nach Starnberg 1971 wurde zu dieser Zeit auch mitunter sehr kritisch betrachtet, hatte sich Habermas doch maßgeblich in Gremien und als Redensführer an einer neuen Fassung der Hochschulgesetze beteiligt, um dann, kurz nach dem diese seinen Vorstellungen weitestgehend entsprechend ver¬abschiedet wurden und zwei getrennte Fachbereiche für Soziologie und Philosophie entstanden waren, die Universität Frankfurt zu verlassen.

Herbert Schnädelbach, Dekan des neu gegründeten Fachbereichs beschreibt in einem Interview, das im Rahmen des Lehrforschungsprojekts mit ihm geführt wurde, die Diskussion im Zuge der Fachbereichsgründung: „In der ersten Sitzung des neu gegründeten Fachbereichs [...] war Habermas noch als Mitglied im Fachbereichsrat gesessen und ist dann sofort nach Starnberg. Also es war damals auch die Rede, dass man es bedauert hat, dass Habermas ging, weil man gesagt hat, er ist doch maßgeblich an dieser Hochschulreform beteiligt gewesen [...] von ihm sind ja auch viele Ideen eingegangen, das sagt er ja auch selber in seinem Beitrag. Er verweist da auf Denninger, Wiethölter und Friedeburg, und wir haben das dann schade gefunden, dass genau in dem Augenblick, wo die neue Verfassung da war, er dann nach Starnberg gegangen ist [...] also es war ganz eindeutig so [...], wir hatten alle [...] wir wollten alle nicht mit den Sozialwissenschaften also mit den Gesellschaftswissenschaften zusammen gehen. Das hatte auch einfach den Grund, wir hatten Angst von denen dominiert zu werden“

Habermas Rückkehr nach Frankfurt

Zwölf Jahre arbeitete Habermas in Starnberg und entwickelte unter anderem seine als Hauptwerk geltende „Theorie des kommunikativen Handelns“. Doch auch in Starnberg traten interne Schwierigkeiten auf, die 1983 zur Trennung führten. Grund des Konfliktes waren die Arbeitsbedingungen in den 80er Jahren. Habermas wollte sich von einigen seiner Mitarbeiter trennen, da eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr die gewünschten Ergebnisse geliefert hätte. Auf Grund einer Kettenvertrags¬reglung, die einzelne Mitarbeiter nicht kündbar machte und somit einen arbeitsrecht¬lichen Prozess nach sich gezogen hätte, sah er keine Möglichkeit mehr für eine konstruktive Weiterarbeit. Retrospektiv bedauert Habermas: „Leider habe ich in der Zeit, als wir in Starnberg empirische Arbeiten gemacht haben, ein Forschungsziel nicht realisieren können, einfach weil ich nicht die richtigen Mitarbeiter gefunden habe, ich meine man muss Mitarbeiter die Dinge machen lassen, die sie selber möchten sonst sind sie nicht gut, nicht? Ich habe damals keinen gefunden, mit dem ich zusammen, die Themenstellung hätte aufgreifen können.“ Als Habermas diesen Beschluss gefasst hatte wieder zurück an die Universität zu gehen, war es die Hoffnung des Fachbereichs 03 der Frankfurter Universität, ihn für eine Professur zu gewinnen. Nachdem 1982 Holger Börner, damaliger Minister¬präsident des Landes Hessen öffentliches Interesse bekundet hat, Habermas an die Universität Frankfurt zu holen, kontaktierte ihn Gerd Brand vom Fachbereich Gesellschaftswissenschaften. Er bat ihn einen „vakanten“ Lehrstuhl für Soziologie in seinem Fachbereich zu übernehmen. Habermas lehnte ab, da er auch schon philosophische Rufe nach Bielefeld und Frankfurt erhalten hat. Er selber war der Meinung, er eigne sich besser für die forschende Lehre als für die institutionalisierte Forschung, und auch für ein Großteil der damaligen Professoren war der Grund den Fachbereich Philosophie dem der Gesellschaftswissenschaften vorzuziehen, nachvollziehbar. Heinz Steinert, damals Dekan am Fachbereich 03, bestätigt dies in einem Interview: „Nach seiner wissenschaftlichen Herkunft wie den Arbeits¬bedingungen (bei uns Massenbetrieb mit einem hohen Anteil Lehrerausbildung - ein Promi wie Habermas wäre bei uns allein mit Prüfungen überlaufen worden; am FB 08 überschaubare Seminare) kann man das aber gut verstehen.“

So kam es, dass Jürgen Habermas von Ende 1983 bis zu seiner Emeritierung 1994 Professor der Philosophie am Fachbereich 08 mit dem Schwerpunkt Sozial- und Geschichtsphilosophie war und sich in dieser Zeit maßgeblich an den intellektuellen Diskussionen im Positivismusstreit und an den Debatten über Systemtheorie, Postmoderne, zivilen Ungehorsam und Autoritarismus beteiligt. Er veröffentlicht die Werke „Moralbewusstsein und kommunikatives Handeln“ (1983), „Die neue Unübersichtlichkeit“ und „Diskurs der Moderne“ (1985). Zu dem kommen diverse Auszeichnungen, wie der Geschwister-Scholl-Preis und die Wilhelm-Leuschner-Medaille (1985) sowie der Sonnig-Preis (1987). Zwei Jahre vor seiner Emeritierung verfasst er die Studie „Faktizität und Geltung“, in der er eine normative Theorie des Rechtstaates entwirft.

Fazit: Verpasste Chance oder politisch-theoretische Gründe?

Die im Rahmen des Lehrforschungsprojektes bearbeitete Fragestellung, ob es eine verpasste Chance für die Soziologie an der Universität Frankfurt gegeben hat, lässt sich meiner Ansicht nach am ehesten mit sowohl als auch beantworten; das heißt einerseits gibt es politisch-theoretische Gründe, andererseits aber auch Gründe, die zum einen in der Person Habermas begründet sind und zum anderen den sich ändernden gesellschaftlichen und universitären Rahmenbedingungen zuzuschreiben sind.

Wirkt in Habermas erster Phase in Frankfurt einzig das Verhältnis zum damaligen Institutsleiter Max Horkheimer und dessen politischem Programm der Ent¬nazifizierung und der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Etablierung des Instituts für Sozialforschung als ausschlaggebender Grund für die vorzeitige Trennung, so sind doch gerade in der zweiten Phase das Umfeld der Frankfurter Universität und die eskalierenden Studentenproteste die entscheidenden Faktoren, dass Habermas 1971 Frankfurt in Richtung Starnberg verlässt.

Im Zuge der Auflösung der Fakultäten und der Gründung von Fachbereichen in Frankfurt wurde der Raum für die Entwicklung und Entfaltung theoretisch-sozio¬logischer Forschungsarbeit eingeschränkt. Die wohl notwendige Einbindung der Lehramtsausbildung in den universitären Betrieb und zwar in den soziologischen Fachbereich, ließen für Habermas keinen Zweifel, dass eine soziologische Forschung mit der vom ihm bevorzugten philosophischen Ausrichtung wie in den 50er und auch noch in den 60er Jahren nicht mehr möglich gewesen wäre.

Adornos Tod bildete informell das Ende der soziologischen Forschungstradition in Frankfurt. Mit Habermas verlor die Universität einen philosophischen Soziologen - und darin sehe ich die verpasste Chance für Frankfurt. Wenn man ihm die Voraussetzungen für eine eigenständige Tradition und die Fortführung mit den für ihn wichtigen Mitarbeitern hätte geben können, dann hätte die Möglichkeit bestanden, dass die Soziologie in Frankfurt ihren wichtigen Stellenwert behält.


Literatur

Kurzbiographie

Habermas Werke

Auswahl der wichtigsten Werke:

Bilder

Bilder von Jürgen Habermas