Kritische Theorie - Negativität als Methode

Aus SozFra
Zur Navigation springen Zur Suche springen

I. Kulturkritik und Negativität

2003 – das Jahr des hundersten Geburtstages Theodor W. Adornos. Wie die diversen Feierlichkeiten, in denen man sich vielerorts ergeht, implizieren, ist der Name Adorno nicht vergessen. Ob sich Gleiches für sein Denken und das „Programm“ dieses Denkens sagen lässt, muss bezweifelt werden. Adorno stand – wenn diese Reduktion um den Zwecks wegen erlaubt sei – für eine interdisziplinäre Annäherung an die philosophischen, sozialen, politischen Fragestellungen seiner Zeit; ergänzt wurden diese akademischen „Pflichtaufgaben“, eines Soziologen und Philosophen, die sie ihm nie waren, durch extensiver Beschäftigung mit Musik und Ästhetik, die Adorno sozusagen als Steckenpferd in sein Werk einband. Seine Schriften bündeln folgerichtig viele verschiedene Wissenschaftsisziplinen in eine Gesamtströmung die, wiewohl unterschiedliche Bereiche des Denkens abdeckend, im wesentlichen in eine Richtung fließen. Diese „Richtung“ Adornos hat ihren Ausgangspunkt in der Schnittstelle von Soziologie und Philosophie – was der Terminus „Sozialphilosophie“ ausdrückt.

Eine Spezifität jener Verbindung von Gesellschaftslehre und „Weisheitsliebe“ ist nun die Kulturkritik. Einige Namen stehen in der Neuzeit programmatisch für ein entsprechendes Denken: Rousseau und Burckhardt, Dilthey und Simmel, Klages und Spengler sind Vertreter verschiedener kulturkritischen Richtungen, die sich indes ohne weiteres unter den Begriff „Geschichtsphilosophie“ subsumieren lassen. Symptom solcher zeitdiagnostischen Betrachtungen, und insbesondere jener, die sich polemischer Prognosen oder rhetorisch der negativen Überzeichnung der Zustände bedienen, ist ein grundsätzlicher Fatalismus. Mag es auch nicht in jedem Falle so weit gehen, das gegenwärtig Bestehende mit dem „Ende der Geschichte“ (posthistoire) gleich zu setzen (was eher in einer Kulturapokalyptik resultieren müsste), so ist doch Methode und Mittel zum Zweck jeder Kulturkritik, negative Entwicklungen ihrer Zeit zu formulieren und gleichsam, sei es auch subtil durch bloße Kritik am Gegenstand, explizit oder zwischen den Zeilen auf ein Richtigeres hinzuweisen.

Oswald Spenglers monumentaler Entwurf zum Untergang des Abendlandes lässt sich als Kulturkritik aus konservativer Sicht begreifen, die einen philosophischen Rundumschlag vornimmt und die damals gegenwärtigen Zustände – das Werk erschien vollständig 1922 – als Folge „globaler“ Entwicklungstendenzen begreift. Indem Spengler eine „Morphologie der Weltgeschichte“ vorlegt, versucht er holistisch Probleme und Konsequenzen der modernen Gesellschaft zu thematisieren. Es fehlt zugleich nicht an jener einseitigen Parteinahme, die in der Natur der Sache liegt: Wohl jedes politische oder gesellschaftliche „System“ hat seine Befürworter und Gegner (im Sinne Carl Schmitts seinen „Freund und Feind“), und gerade in Zeiten politischer Radikalität nutzt der Vertreter der einen Seite kulturkritisches Potenzial, um das andersdenkende Gegenüber mit scheinbar „legitimen“ Schlussfolgerungen, die sich aus geschichtlichen Verlaufslinie ableiten lassen, zu diffamieren. Vielleicht ließe sich Spenglers Kulturkritik, die hier nur als Beispiel fungieren soll, das Werk Nietzsches gegenüberstellen, dessen gesamtes Denken und Schreiben im Prinzip der Frage der Kulturkritik galt. Mehr rhapsodisch denn systematisch (und somit auch „unakademisch“) begegnete Nietzsche den Phänomenen seiner Zeit und sparte nicht an Polemik, wenn es an die „Abrechnung“ ging. Mit Recht ließe sich behaupten, dass hier Stil und Anliegen mehr dem literarischen Sektor zugerechnet werden müssten; wäre aber Kulturkritik als Unterdisziplin eines einzelnen Wissenschaftsbereichs etabliert, etwa als Beiwerk zur Analyse der Beziehungen von Individuen und Institutionen oder als gleichwertiges Fach neben Erkenntnistheorie, Metaphysik und Logik, so hätte Nietzsche dort einen festen Platz gefunden.


II. Kritik als Negativum

Was hat dies nun alles mit Adorno zu tun – und mehr noch, mit einer Untersuchung zu seiner (und Horkheimers) negativer Methode? Bereits eine oberflächliche Durchsicht entsprechender Fach- und Sekundärliteratur offenbart, dass die Vertreter der Frankfurter Schule nicht selten der kulturkritischen Richtung zugesprochen werden. Insbesondere Ansätze, die das Projekt einer kritischen Gesellschaftstheorie als veralteten Romantizismus ablehnen, der noch an eine Verpflichtbarkeit des Menschen auf „richtiges“ Leben glaubte, verweisen – ob nun als Etikett dieser Antiquiertheit oder als bloßes Mittel der Verunglimpfung – darauf, dass Adorno schlussendlich kaum mehr als ein anklagendes Lamento gegen die Gesellschaftsordnung seiner Zeit hervorgebracht habe. Ungeachtet der Polemik, die sich in solchen Äusserungen findet (die nicht selten im gleichen Absatz explizit auf den „marxistischen“ Hintergrund der kritischen Theorie rekurrieren, als sei schon damit das Brandmal der Ausschließbarkeit enthüllt), ist es gewiss nicht ungerecht, Adorno eine Vorliebe zu pessimistischen Perspektiven zu unterstellen. Keiner hätte dies stärker eingestanden als der Betroffene selbst, bekräftigte Adorno doch immer wieder, es gehe ihm in keinem Falle um die Affirmation des Bestehenden – auch nicht um die Bekräftigung jener Bereiche, die als positiv bewertet hätte. Die Aufgabe des Sozialphilosophen, wenn man diesem überhaupt eine solche zusprechen möchte , bestehe in der Kritik. Diese sei theoretisch zu formulieren. Es müsse vorrangig um die ideologische Durchsetzung gesellschaftlicher Praxis gehen. Je unsichtbarer oder undurchsichtiger diese festgesetzt ist, desto mehr Grund zur Freilegung. Die kritische Analyse des Materials dürfe sich – im Hinblick auf diverse „postmoderne“ Philosophen ein wichtiger Punkt – nicht nur auf die Rekonstruktion der Ideologie und der Paradoxien, die ihre Auswüchse sind, beschränken, sondern müsse mittelbar ausdrücken, was der bessere Zustand wäre. Beliebt unter Adornos Kritikern ist, hier den Vorwurf des „Messianismus“ zu fällen, was auf eine Unkenntnis jenes „Bildverbotes“ rückführbar ist, das von der Frankfurter Schule stets postuliert wurde: „Wir mögen nicht wissen, was der Mensch und was die rechte Gestaltung der menschlichen Dinge sei, aber was er nicht sein soll und welche Gestaltung der menschlichen Dinge falsch ist, das wissen wir, und einzig in diesem bestimmten und konkreten Wissen ist uns das Andere, Positive, offen“ (T. W. Adorno: Individuum und Organisation [1953], in: Gesammelte Schriften, Bd. 8, Frankfurt 1981, S.440-456, hier: S.456).

Eine Äusserung Horkheimers unterstreicht pointiert, was hier gemeint ist: „Ich betrachte mich selbst als Kritischen Theoretiker, das heißt, dass ich sagen kann, was falsch ist, aber nicht definieren, was richtig ist“ (Zit. nach: Roger Behrens: Kritische Theorie, Hamburg 2002, S.11).

Die kritische Theorie ist also nicht von einem blinden Vertrauen in einer Besserung der Zustände qua Kritik beseelt, sondern hält sich mit der Formulierung von „Planzielen“ für die Gesellschaft zurück. Schließlich ist auch das Bloch’sche Prinzip Hoffnung, der kritischen Theorie nahestehend, keineswegs ein Plädoyer für Zuversicht in eine Verbesserbarkeit der Zustände. Die Vorgabe, nach einer bestimmten Utopie zu jagen, wäre nur eine starre Festlegung, die die gegenwärtige ersetzt; das wäre Kulturkritik der alten Methode, wäre eine falsche, weil statische Objektivität (vgl. Max Horkheimer: Traditionelle und kritische Theorie [1936], in: Ders.: Traditionelle und kritische Theorie. Vier Aufsätze, Frankfurt 1974, S.12-65). Indem Adorno und Horkheimer sich aber vorrangig darauf beschränken, Negativität als Methode zu verwenden, kreiert sich bei den Empfängern dieses Anliegens optimalerweise eine subtile Prägung, woraus ein eigenständiges Bewusstseins über die sozialen und philosophischen Gegebenheiten erwachsen soll . Dies wiederum bildet den Ursprung einer Mündigkeit, die zwischen Richtig und Falsch unterscheiden lernt – zum einen

a) auf der individuellen Ebene des privaten Alltags, wo top-down-Imperative Adorno zufolge vollends verzichtbar seien, und b) im intersubjektiven Bereich, wo klassischen Ideale, wie etwa in Kants "Metaphysik der Sitten" fixiert, jede dogmatische Setzung von Herrschaftsinstanzen ersetzen soll.

Der Weg zur Mündigkeit ist der Weg zur Aufklärung, und vice versa. Seit Kants Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? hat die Trias von Aufklärung, Mündigkeit und Würde ein Manifest. Während Kant für einen offenen Gebrauch von Vernunft und Verstand plädiert und kirchliche Mandatsträger wie auch Fürsten in seine Überlegungen einbezieht, haben Adorno und Horkheimer für das nivellierte Projekt der Erziehung zur Mündigkeit eine andere Methodik gewählt, die nicht mehr mit den Zuständen über sie hinaus gehen will (was man vereinfacht Reform nenne könnte), sondern gegen die Zustände agitiert. Dieses „gegen“ verlangt – hier tritt das Spezifikum der Kulturkritik wieder hervor – nach einer pessimistischen Betrachtungsweise. Thesenhaft lässt sich formulieren: Mittels einer Inokulation, einer Herausforderung einer Verteidigungsrede also, wollen Adorno und Horkheimer die Lücken und Probleme der sozialen Realität aufdecken. Wer gegen diese Negativität einstehen will, muss den Impuls zur Veränderung aktivieren. Dass Vergegenwärtigung der bestehenden Mängel und Widerstandswille zusammenfallen, kann man als Prämisse kritischen Denkens bezeichnen. Dies führt im Übrigen dazu, dass die Negativität „der Welt“ nüchtern konstatiert werden kann, ja im Sinne der Realitätstüchtigkeit muss: „Ich kann darin keinen Vorwurf sehen, dass man in der Welt, in der wir leben, verzweifelt, pessimistisch, negativ sei“, so Adorno (Keine Angst vor dem Elfenbeinturm [1969], in: Gesammelte Schriften, Bd. 20/1, Frankfurt 1997, S.402-409, hier: S.405).


III. Dialektik der Aufklärung

Wohl kein anderes Werk, das Adorno oder Horkheimer verfasst haben, bündelt negative Methodik und gesellschaftskritisches Anliegen so sehr mit historischer Zwangsläufigkeit wie die 1943/44 entstandene Dialektik der Aufklärung. Diese philosophischen Fragmente sind das vielschichtig schillernde Programm einer Aufklärung über Aufklärung, die das Etablierte hinterfragen und zugleich überwinden soll. Dahinter steht, wie so häufig, der Anlass, Motor einer Verbesserung der Zustände zu sein, die der Mensch sich selbst errichten müsse. Auf dem Weg zur „vernünftigen Gesellschaft“ (Horkheimer) sei es unabdingbar, jene festgesetzten „Richtigkeiten“, die zum Bestand des kulturellen Lebens gehören, auf ihre ideologische Implikationen zu hinterfragen. In dieser Hinsicht ist die DdA ein Kind ihrer Zeit, denn gerade der Nationalsozialismus, den Horkheimer und Adorno aus dem amerikanischen Exil wahrnahmen, ist der nahezu „empirische“ Beweis für die negative Kulmination der westlichen Kulturen . Der Nationalsozialismus und seine unwirklichen, weil den Verstand übersteigenden Ausprägungen ist eine weitere Ursache der Negativität des Werkes. Zu bedenken ist, dass hinter dieser Unmenschlichkeit eine Ratio steht, die mit der humanen Idee einer Aufklärung, die zu Freiheit und Mündigkeit führt, vollends inkongruent ist – und sich dennoch selbst im Namen der Aufgeklärtheit vollzieht. Wie ließe sich einer Welt der „neuen Barbarei“, in der derlei massenhaftes Vernichtungswerk bürokratisch geplant und nach Listenabfertigung vollendet wird, anders begegnen, wenn nicht in den dunkelsten Farben? Allerdings liefern Adorno und Horkheimer keine Bestandsaufnahme der Gegenwart. Allenfalls der vorletzte Abschnitt, Elemente des Antisemitismus. Grenzen der Aufklärung, schlägt eine direkte Brücke zum Dritten Reich – und darüber hinaus, denn bei der Drucklegung des Buches in Amsterdam 1947 war dieses Regime überwunden und ein entsprechender Absatz eingefügt (In der hier verwendeten Taschenbuchausgabe (Frankfurt 1984) auf S.179). Ein Großteil der DdA beschäftigt sich, so scheint es bei oberflächlicher Betrachtung, mit mythischen Relikte der Vergangenheit (Odyssee) und mit philosophisch-literarischen Persönlichkeiten (de Sade, Kant, Nietzsche). Als ganz zeitgemäßes scheint nur das Kapitel zur Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug vorzuliegen. Tatsächlich fungieren die Autoren keineswegs als Philologen oder Exegeten anderer Philosophien; im Gegenteil, im Bezug auf das Alte, dessen (nicht nur metaphorische) Aktualität sie betonen, stellt sich die Verbindung zur Kultur der Gegenwart her.

Zum Zwecke der Beschränkung erscheint es zweckdienlich, im weiteren die Negativität des Werkes am Beispiel des ersten Kapitels Begriff der Aufklärung zu exemplifizieren. Dieses funktioniert als „Exposition“ des Werkes und beinhaltet somit die wesentlichen Aspekte bereits in nuce.


a) Das Totalitäre der Aufklärung

In der Vorrede qualifizieren Adorno und Horkheimer den gegenwärtigen Status der Aufklärung als "rastlose Selbstzerstörung“ (S.1). Diese Äußerung scheint ein Affront gegen die aufklärerische Tradition der Neuzeit zu sein – waren es nicht gerade die idealistischen Ausprägung aus der Zeit der Französischen Revolution, die Vernunft und Ratio mit Freiheit und Gleichheit in Verbindung brachten und somit der gerechten Gesellschaft auf den Weg brachten? Handelte es sich nicht um Vertreter der Aufklärung, die gegen Zensur und für freies Denken plädierten, die den Pluralismus etablierten und „gottgegebene“ Herrschaftlichkeit in Frage stellten? Gewiss – was aber die Kehrseite, eben das dialektische Element der Aufklärung des Menschen aus seiner „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ ist, bleibt hierbei außen vor. Darum geht es in der DdA: Um den Umschwung von „Kritik in Affirmation“ (S.2), um die interne Rückläufigkeit jeder aufklärerischen Tendenz (das „Destruktive des Fortschritts“, S.3), um die "Scheinhaftigkeit" des Wahrheitsanspruchs, der tatsächlich erst bestünde, wenn er sich im wirklichen Leben widerspiegeln (ebd.). Die „falsche Klarheit“, die in der Aufklärung postuliert werde, sei letztlich nur „ein anderer Ausdruck für Mythos“ (S.4) – was das Projekt der Aufklärung nicht bloß unterminiert, sondern in ihr Gegenteil verwandelt; Konsequenz daraus: „Aufklärung ist totalitär“ (S.10). Adorno und Horkheimer stellen eine gegenseitige Dependenz von Aufklärungsdenken einer- und mythologischem Glauben andererseits fest (S.14). Was früher die Herrschaftsinstanz war, welche juristische wie soziale Normsetzungen diktierte, wirke heute als „Vernunft“ weiter (S.23). Das Fatale ist, dass das Oktroy nun mehr als Resultat rationalen Kalküls wirkt, als legitimes Produkt einer Berechnung, die dem Einzelnen ebenso wie dem „Ganzen“ zum Besten diene . Unter der Prämisse eines kollektiven Einverständnisses, aus Vernunft geboren, wird reproduziert, was gerade mittels Vernunft überwunden werden sollte. Das bedeutet, die aufgeklärte Gesellschaft hat (formal gleich einem linguistic turn) eine Metamorphose der Begriffe durchlaufen, verharrt aber in den gleichen Ideen wie zuvor.

Die bereits erwähnte Nähe zur Kulturkritik wird von Adorno und Horkheimer angesprochen: Ihnen gehe es, anders als diversen Propheten des zivilisatorischen Untergangs, nicht um „Kultur als Wert“ (S.4), denn damit wären Errungenschaften der Vergangenheit zur Vorlage der Zukunft erhoben (Zugleich bekräftigt Horkheimer an anderer Stelle, „Kritik sei die Wahrheit von Kultur“ (Vortrag von 1950, in: Gesammelte Schriften, Band 13, Frankfurt 1987, S.17)). Vielmehr wird eine „Einlösung der vergangenen Hoffnung“ betrieben, was auf der Versäumnis der Aufklärung hindeutet, eine solche wirklich, d.h. im Sinne humaner Ideen zu sein. Wessen Kassandrarufe den „Ausverkauf der Kultur“ propagieren, der übersehe, dass auch eine Amalgamisierung von Versatzstücken einer Kultur zu etwas Neuem nicht zwingend negativ sein muss. An anderer Stelle äußert Adorno, dass Kulturaffirmation ebenso ablehnenswert sei wie pauschale Abwehr gegen Kultur – es komme also auf einen Mittelweg an (Negative Dialektik, Frankfurt 1966, S.358). Negativ jedoch ohne Zweifel ist die Ersetzung positiver Entwicklungstendenzen durch mythologische Anreicherungen.

Die ideologische Kolportage, Frucht der Aufklärung sei heute ein herrschaftsfreies Miteinander, was zugleich impliziert, Ordnungsinstanzen fungierten lediglich als Hobbes’scher Leviathan, der strukturelle Gewalten zum Besten der Gemeinschaft festsetze, hebt vordergründig die Vernunft auf den Sockel. Gerade diese Vernunft aber ist maskierte Herrschaft. Diese stellt sich bei näheren Betrachtung stets als Unterdrückung und Normierung von Seiten einer „Clique“ heraus. Dies zeigt sich, so ein Beispiel der DdA, etwa in der Logik der Aufklärung. Deren Weltbild ist, weil logisch strukturiert, statisch; damit ist alles Nichtfassbare im Vorfeld bereits fixiert. Die Nichtdenkbare ist auch ohne Erkenntnismöglichkeit, also a priori bereits erfasst und „zu Ende gedacht“ (S.25 f.). In dieser endgültigen Fassung wird es als „Wahrheit“ verkauft.

b) Kritik des Positivismus

Um das Denken Adornos und Horkheimers zu rekonstruieren lohnt es durchaus, dieses Beispiel in einen größeren Kontext zu setzen. Der genannte Abschnitt lässt sich unschwer als Kritik des Positivismus bewerten, jener Ursprungsrichtung der Soziologie, die nach Auguste Comte als „Sozialphysik“ in ebenbürtiger Abstraktivität den Naturwissenschaften beigestellt werden sollte. Eine derartige Gesellschaftslehre, die vorrangig auf Messbarkeit und Datenanalyse rekurriert, ist der denkbar schärfste Gegensatz zur sozialphilosophischen Mixtur aus spekulativem Denken, politischem Bewusstsein und kritischer Interpretation. Und in der Tat glaubten die frühen Vertreter des Positivismus, den Idealismus eines Kant oder Hegel mittels genauer Wissenschaftlichkeit überwunden zu haben. Erst um die Jahrhundertwende ließ sich ein Wiedererstarken philosophischer – und daraus entstehend auch soziologischer – Strömungen ausmachen, die antipositivistisch argumentierten . Damit war der „Positivismusstreit“ keineswegs beigelegt, sondern wurde im Gegenteil erst entfacht. Er kulminierte 1961 in der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Tübingen, auf der sich mit Popper und Albert auf der einen und Adorno und Habermas auf der Seite zwei Lager gesellschaftstheoretischer Wissenschaft gegenüberstanden. Diese Konfrontation von kritischer Theorie und „kritischen Rationalismus“ ist es, mit der der „Positivismusstreit“ heute gemeinhin assoziiert wird. Noch heute findet sich in den institutionellen Abteilungen der Universitäten Vertreter jener konträren Ansichten .

Positivismus liegt vor, wenn „Nichtdenkbares“, dem Dunkelfeld spekulativer Ideen Entstammendes, im Vorfeld kategorisiert – oder ignoriert – wird. Indem gesellschaftliches Leben ins enge Kostüm einer Verifizierbarkeit oder Falsifizierbarkeit gedrängt wird , „die Unterwerfung alles Seienden unter den logischen Formalismus“ (S.27), bleibt ein alternatives Drittes nicht mehr übrig; Adornos Ausspruch „tertium non datur“ wäre hier das resignative Antwort auf diese „Messlattenwissenschaft“. Aufklärung in ihrer ideologisches und damit remythologisierten Form will, so die DdA, kein Unberechenbares mehr dulden. Variablen der Unwägbarkeit werden daher zu Fehlern oder Irrglauben abqualifiziert. Dahinter steckt das Festhalten an statischen Objektivitäten, die den Ist-Zustand (oder, was noch weitaus ideologischer wäre, den bloß erwünschten Sollzustand) als Endgültigkeit proklamieren . Damit wäre wiederum ein Ende der Geschichte erreicht, ein ewiger Kreislauf „des Immergleichen“, der für Kritik keinen Platz hat: Denn wozu kritisch behandeln, was unabänderlich sowieso stets wiederkommt? Im Bezug auf die Festsetzung des Noch-Nicht-Erkannten würde eine solche Rhetorik lauten: Wozu erwägen, was in seinen Konsequenzen unklar und diffus ist? Weshalb nachdenken über das, was nicht in seiner Gänze abgeschlossen bereit liegt und als Ganzes rezipierbar ist? Wie dem „Wahrheit“ zusprechen, was sich nicht abgeschlossen bewerten lässt? Adornos und Horkheimers Antwort lautet, dass die soziale Erfahrungswelt durch ihre Unbestimmtheit, durch ihre Komplexität und durch ein ständiges Zusammenfallen von Möglichkeit und Wirklichkeit Neues hervorbringt, das neu bedacht werden muss. Diese Antwort ist ein Plädoyer für die Hinwendung zu dem, was ist – nicht positivistisch rein zum Messbaren, sondern auch zu jenen feinen Nuancen, zur Betrachtung des „gesellschaftlichen, historischen, menschlichen Sinnes“ (S.27), der sich in der „verwalteten Welt“, in Massenmedien, Literatur, Politik und in den Strukturen des Sozial- und Familienlebens finden lässt.

c)Verdinglichung und Effizienz

Aufklärung, so Adorno und Horkheimer, sei Mythos. Mythologie ist Ausdruck einer kulturellen Vorstellung von Schicksal und Determination; dazu gehört auch die Idee des unabwendbaren Kreislaufs. Unbestreitbar wiederholen sich Strukturen auch auf der intersubjektiven oder kollektiven Ebene. Ein oberflächliches Beispiel wäre die scheinbare anthropologische Fixiertheit des Menschen auf Vernichtung von „Gegnern“. Mögen auch vielerlei Handlungsweisen zum Kanon des Menschseins gezählt werden , so ist die Aggression doch kein zwingender Bestandteil . Ein Ausbruch aus derlei Kreisläufen ist, so Adorno und Horkheimer, möglich: Die Wiederholung müsse als Gelegenheit zur Neukreation der Situation betrachtet werden, anstatt repressiv als sich selbst erfüllende Prophezeiung. Bleibt es bei der ständigen Reproduktion und Gratifikation bestehender Regeln und Zustände, wird der menschliche Geist „versachlicht“ und schrumpft zum „Knotenpunkt konventioneller Reaktionen und Funktionsweisen“ (S.28 f.).

Die Folge daraus ist ein als „natürlich“ empfundener Egoismus, der „Selbsterhaltung“ zur adäquatesten Lebenseinstellung fixiert, als gelte es nun mehr im sozialen Bereich, zurück zum homo homini lupus est aus der Zeit vor Hobbes zu gehen:

„Durch die ungezählten Agenturen der Massenproduktion und ihrer Kultur werden die genormten Verhaltensweisen dem Einzelnen als die allein natürlichen, anständigen, vernünftigen aufgeprägt. Er bestimmt sich nur noch als Sache, als statistisches Element, als success or failure. Sein Maßstab ist die Selbsterhaltung, die gelungene oder mißlungene Angleichung an die Objektivität seiner Funktion und die Muster, die ihr gesetzt sind“ (S.29).

Das Zitat deutet auf zwei weiteren zentrale Elemente der DdA hin: Zum einen auf die Verdinglichung des Individuums, zum einen auf den ideologischen Effizienzgedanken. Objektivierung lässt sich als Begriff dichotom definieren: Zum einen kann Objektivität als Synonym für Faktizität verwendet werden, was aber den Prozesscharakter der Objektivierung relativiert, weil das materiell Bestehende zumeist als solches auch ohne eingreifende Subjekte besteht. Zum anderen, und auf diese Bedeutung verweisen Adorno und Horkheimer, lässt sich unter Objektivierung der Vorgang einer Wandlung vom Subjekt zum Objekt hin verstehen , allgemeinhin seit Marx Verdinglichung genannt. In der DdA werden die Produktionsverhältnisse nicht ohne Eingedenken der Basis-Überbau-Diskrepanz behandelt. Verdinglichung liegt, wie das Zitat ausweist, vor, wenn der Einzelne nur mehr als „Variable“ fungiert, also als Ziffer in Statistiken oder, die Reminiszenz zur Informationsverarbeitung sei gestattet, als Träger der „Eigenschaftsmöglichkeiten“ 1 oder 0 – success or failure. Eine unbeschwerte Existenz würde keinem aufbürden, an Auswahlvorgängen teil zu nehmen, die sein wirtschaftliches oder soziales (Über)Leben in Frage stellen oder gar gefährden können. Eine solche Utopie lässt indes die „verwaltete Welt“ (in einem bekannten Ausspruch Max Webers ist diese Dominanz des bürokratischen Systems als „stahlhartes Gehäuse der Hörigkeit“ charakterisiert) nicht zu. Logistik, Organisation und Verwaltungsakte führen unumgänglich in institutionelle Anonymisierung und Entfremdung vom Subjekt: Es wird, als zu behandelnder Gegenstand, auch im Denken zum Objekt. In der Zeit vor dem Nationalsozialismus, zumal in jener Epoche, die der bürokratischer „Gesamterfassung“ der Gesellschaft (ein glücklicherweise nach wie vor unvollendetes Projekt der Moderne), war vorrangig der ökonomische Bereich die Sphäre, in der solche Objektivierung sich abspielte . Industrialisierung und Pauperismus fanden in einer der DdA näheren Zeit neue Höhepunkte – hier ist vor allem an den Fordismus zu denken. Mit der Inthronisation des SS-Staates hat die Objektivierung die letzte Stufe erreicht, über die keine Verdinglichungsmaßnahme mehr hinausgehen kann. Hier wurde aus Verwaltungsakten, von den sprichwörtlichen „Schreibtischtätern“ als Theorie geplant, im Praxisvollzug zum Massenmord. Fatal wäre nach Adorno und Horkheimer, den Faschismus als bloßen Rückfall innerhalb eines ansonsten positiven geschichtlichen Entwicklungsprozesses zu qualifizieren; dies wäre eine Reduktion weg von der ganzheitlichen hin zur selektiven Betrachtung, welche den Kontext und die historische Gewordenheit ignoriert. Der Holocaust hat seine Wurzeln, so der Tenor der DdA, neben seinen antisemitischen, pseudoreligiösen und ideologischen Implikaten. in der Pervertierung des basalsten humanistischen Gedankens, der Akzeptanz des anderen. Die Objektivierungsmaschinerie, instutionalisiert als Methode zur Verbesserung betriebswirtschaftlicher und bürokratischer Effizienz, die sich im amerikanischen Exil für die Autoren weiterhin beobachten ließ, dient mit diesem Zweck .

d) Naturbeherrschung wider die Natur

Wird auch das Überleben – oder wenigstens das Leben als mündiges, unabhängiges Subjekt – von den gesellschaftlichen Zuständen, wie sie die mythenhafte Aufklärung prägt, verhindert, so sei ein irrationales Leben, das den grundsätzliches Trieblenkungen folgen will, dennoch als „vorgeschichtlich“ abzulehnen (S.30) – denn gerade diese Reduktion des zivilisatorischen Status’ müsste als Zugeständnis an die Strukturen des Systems gewertet werden . Genau betrachtet, ist bereits die „bürgerliche Arbeitsteilung“ kaum mehr als die Folge dieses „Prozess[es] der Selbsterhaltung“ (ebd.) – und führt damit unweigerlich, selbst für jene, die noch unter dem Diktat der Strukturen leiden, zu einer „Selbstentäußerung“. Ohne den festen Rahmen, den ein freies, d.h. im wesentlichen ungezwungenes, entfaltbares Dasein bietet, bleibt das Leben („Leib und Seele“, S.30) amorph – und verfällt damit der Formgebung durch den Apparat, der in einem quasi „technischen“, d.h. von der rein effizienzorientierten Kalkulation bestimmten Vorgang die Individuen von aller natürlichen Vieldeutigkeit „befreit“. Diese Freiheit, nicht mehr denken zu müssen, verwandelt die Relikte der Vernunft, die sich wohl einmal durch die Philosophie des Idealismus eingeprägt haben mögen, zum „Hilfsmittel der allumfassenden Wirtschaftsapparatur“ (ebd.).

Kritischen Stimmen wird als Aufklärungsgegnern unterstellt, einen „Irrationalismus“ zu propagieren, der ins Verderben führe (S.32). Damit soll das Miteinander von Vernunft und Subversion verhindert werden, für das etwa der Surrealismus exemplarisch steht. Naturbeherrschung, wie sie die Aufklärung zu erlangen strebt, will das Innen und das Außen der Natur unter Kontrolle bringen. Der Rousseau’sche Parole, zurück zur Natur zu gehen , wird damit ein antagonistischer Appell erteilt, der als durch Ratio legimitiert und „richtig“ auftritt. Die Irrationalität der menschlichen Natur darf damit nicht mehr sein – und somit kann, dies das pessimistische Fazit, das hier zu ziehen ist, auch der Mensch (als solcher) nicht mehr existieren.

Im weiteren Verlauf der DdA greifen Adorno und Horkheimer zum Mythos der Odyssee, die als Allegorie einer durch Leid gewachsenen Mündigkeit fungiert, welche den archaischen Versuchungen vergangener Zeiten widerstehen will. Odysseus, der arbeiten lässt und die Regression genießt, die ihm die Gesänge der Sirenen bereiten, verbietet gleichen Genuss seinen Mitstreitern. Als Mensch Teil der Natur, scheut er ihre Verlockungen; er möchte sich hingeben, zugleich aber rational agieren, und findet listig den Mittelweg, Lust auf Distanz erfahren zu haben und dabei innerer wie äußerer Natur ausgesetzt zu sein. Hier fließen Innovation und Archaik zusammen: „Der Fluch des unaufhaltsamen Fortschritts ist die unaufhaltsame Regression“ (S.34). Die Macht der Herrschaftsinstanzen ist, dies ein weiterer Rekurs auf Kant, jedoch ein von den Unterworfenen selbst gestützter Vorgang:

„Die Regression der Massen heute ist die Unfähigkeit, mit eigenen Ohren Unerhörtes hören, Unergriffenes mit eigenen Händen tasten zu können, die neue Gestalt der Verblendung, die jede besiegte mythische ablöst“ (S.36)

Diese Verblendung ist die übertriebene Steigerung des enlightenment, des ins Dunkle leuchtenden Lichts der Aufklärung. Jedoch ist, dies ein optimistischer Zug inmitten düsterer Prognosen und Konstatierungen, die Kollektivität des Menschen als „reines Gattungswesen“ nicht ewig: Ohnmacht als Resultat herrschaftlicher Interessen ist vergänglich. In der Tat wäre es purer Fatalismus, innerhalb einer Kultur- und Gesellschaftskritik nicht die Tür in Richtung einer Zustandsverbesserung offen zu lassen. Wenn auch Herrschaft das bestehende System zur schicksalhaften Zwangsläufigkeit ausruft, so macht die dahinter stehende Profitorientierung eine Veränderung der Zustände möglich, weil auch die Logik des Marktes eine reaktive ist, die auf Veränderung anspricht. Dies ist keine bloße Utopie, kein Ausmalen eines unerreichbares Wunschbildes, das vielleicht nur zur Motivation gereichen soll: Eine gegen die verhärtende Bewusstseinslosigkeit agierende Theorie, die unnachgiebig vorgehen muss, könne umwälzen (vgl. S.40). Derlei dürfe aber nicht zur Hoffnung auf einen Automatismus erstarren – und damit wird der Funken Positivität quasi didaktisch wieder ins Negative verklärt:

„Der mythische, wissenschaftliche Respekt vor dem Gegebenen, das sie doch immerzu schaffen, wird schließlich selbst zu positiven Tatsache, zur Zwingburg, der gegenüber noch die revolutionäre Phantasie sich als Utopismus vor sich selber schämt und zum fügsamen Vertrauen auf die objektive Tendenz der Geschichte entartet.“ (S.40)

IV. Dialektische Negativität

Aufklärung, so resümieren Adorno und Horkheimer am Ende des ersten Kapitels ihrer DdA, sei „totaler Betrug der Massen“ (was im Abschnitt zur Kulturindustrie spezifiziert wird), und das „Prinzip der blinden Herrschaft“ entspreche dem „falsche[n] Absolute[n]“ (S.41). Absolutität und Totalität sind Termini, die sich bei der Lektüre des Werkes immer wieder auffinden lassen. Es lässt leicht einsichtig, dass auch eine kritische Gesellschaftsdiagnose zu Zeiten des Nationalsozialismus dort, wo sie Absolutes konstatiert, nicht wirklich einen Endpunkt meint, über den kein hinausgehender Zustand sich mehr denken lässt. Daher sind die entsprechenden Begriffe rhetorische Mittel, die das Anliegen drastisch verstärken, es sozusagen mit theatralischer Gewalt anreichern. Weiteres – und, wie ich finde, symptomatischstes Medium dieser „Gewalt“ ist die Negativität der Aussagen. Das führt zurück zur Grundthese dieser Arbeit. Die Rekonstruktion des Abschnitts Begriff der Aufklärung soll verdeutlicht haben, wie sehr Negativität als Methode einer Aussagevermittlung Verwendung finden kann, wenn (und gerade wenn) der Gegenstand ein prekärer ist. Inmitten der Behandlung des schlechthin Schlechten eine Analysemethode oder auch nur eine Zusammenfassung zu formulieren, die der Sache noch ein Gutes abgewinnen kann, hieße, die Tatsachen verfälschen. Gälte ein Credo des positiven Fazits, so wäre damit zugleich jeder Wissenschaft, die das Gegebene behandelt, der inhärente Sinn abhanden gekommen. Dass Normen existieren, die in allem einen Ausdruck von Hoffnung finden, lässt sich anhand theologischer Exegesen religiöser Fundamentaltexte nachzeichnen. In diese Welt der Heilsverkündungen wollten Adorno und Horkheimer zu keinem Zeitpunkt, auch nicht vor oder nach der DdA, eindringen. Ihre Betrachtung dessen, was ist, wurde mit einem scharfen, zuweilen auch polemischen Blick vorgenommen, und der Name dieser Methode ist Kritik; ihr Ziel die „Entzauberung der Welt“ (Weber). Es bleibt jedem Rezipienten des Gesamtwerkes der kritischen Theorie ungenommen, seine Schlüsse zu ziehen, seine Folgerungen zu folgern und die Negativität zum Anlass einer Besserung zu machen. Das wiederum ist das implizit positive Kernstück, das der negativen Methode inneliegt. Es sei die „Dynamik der Wirklichkeit“, so auch Marcuse, dass Negatives und Positives sich durchdringen. Letztlich offenbart sich Negativität in der DdA als eine dialektische: Ohne das Wissen um das Bessere kann das Schlechte nicht benannt werden. Insofern ist die Dialektik der Aufklärung auch ein Versuch, im Schlechten das Gute zu retten.