Beziehung zu Walter Benjamin: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Als Grundlage für die Untersuchung der Beziehung zwischen Siegfried Kracauer und Walter Benjamin (Walter Bendix Schoenflies Benjamin), dient die Korrespondenz zwischen beiden aus den Jahren 1923 bis 1940, von der, neben 53 Briefen und Postkarten Benjamins, nur 4 Briefe Kracauers erhalten sind.
 
'''Als Grundlage für die Untersuchung der Beziehung zwischen Siegfried Kracauer und Walter Benjamin (Walter Bendix Schoenflies Benjamin), dient die Korrespondenz zwischen beiden aus den Jahren 1923 bis 1940, von der, neben 53 Briefen und Postkarten Benjamins, nur 4 Briefe Kracauers erhalten sind.
Im folgenden soll die persönliche als auch ihre sozusagen "geschäftliche" Beziehung näher betrachtet werden.'''
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Im Folgenden soll die persönliche als auch ihre sozusagen "geschäftliche" Beziehung näher betrachtet werden.'''
  
  

Version vom 29. Februar 2008, 21:50 Uhr

Als Grundlage für die Untersuchung der Beziehung zwischen Siegfried Kracauer und Walter Benjamin (Walter Bendix Schoenflies Benjamin), dient die Korrespondenz zwischen beiden aus den Jahren 1923 bis 1940, von der, neben 53 Briefen und Postkarten Benjamins, nur 4 Briefe Kracauers erhalten sind. Im Folgenden soll die persönliche als auch ihre sozusagen "geschäftliche" Beziehung näher betrachtet werden.


Wie alles begann

Wann und unter welchen Umständen sich Benjamin und Kracauer kennen lernten ist nicht bekannt. Man vermutet, dass sie sich das erste Mal während eines Aufenthaltes von Benjamin in Frankfurt am Main, Ende 1922 oder im Laufe des Jahres 1923, begegneten. Die Beziehung zwischen beiden muss anfänglich noch eine sehr förmliche gewesen sein, die sich allerdings, im Laufe der Zeit, etwas enger und persönlicher gestalteten sollte. So wurde aus der Anrede von Benjamin an Kracauer „Sehr geehrter Herr Doktor!“ (1924) ein „Lieber Herr Doktor!“ (1926) daraus schließlich ein „Lieber Herr Kracauer“ (im März 1926) und letztlich ein „Lieber Kracauer“ (1929).


Die Startschwierigkeiten

Walter Benjamin versuchte sich 1924 in Frankfurt an der Philosophischen Fakultät zu habilitieren. Durch eine positive Kritik seiner Baudelaire-Übertragung in der Frankfurter Zeitung, verfasst von seinem Bekannten Siegfried Kracauer, erhoffte er sich, einen entsprechenden Eindruck bei den Fakultätsmitgliedern zu hinterlassen. Durch eine redaktionelle Intrige jedoch, wurde Kracauer die Arbeit entrissen und es erschien stattdessen fälschlicherweise eine Rezension von Stefan Zweigs „Musset und Baudelaire in deutscher Übertragung“. Bejamin nennt sie in einem Brief an Gottfried Salomon Delatour (10.6.1924) „Eine Kritik, wie sie vielleicht schlechter, nicht aber schädlicher hätte verfasst werden können.“ Als quasi Wiedergutmachung bietet Kracauer Benjamin an eine Rezension seiner ‚Wahlverwandschaftenarbeit’ “an gleicher Stelle“ zu verfassen, was allerdings nicht funktionieren kann, da diese Schrift in einer Zeitschrift abgedruckt wurde. Nach Benjamins Auffassung trägt Kracauer die volle Verantwortung für dieses Missgeschick; gut zu erkennen in einem Brief an Gershom Scholem: „Verantwortlich ist zuletzt der wohlgesinnte, unbetamte, großschnäuzige Siegfried namens Kracauer.“ Walter Benjamin reichte dann sein „Trauerspielbuch“ der Philosophischen Fakultät ein, musste seinen Antrag jedoch, auf Anraten des Dekans der Fakultät, im September 1925, aufgrund der ablehnenden Begutachtung durch Hans Cornelius, wieder zurückziehen. Er lernt über Kracauer 1923 Theodor Wiesengrund (Adorno) kennen, dem er in den ersten Jahren Grüße ausrichten lässt. Auch mit Gottfried Salomon Delatour, mit dem Benjamin sich ebenfalls schrieb, muss Kracauer nicht nur persönlich bekannt gewesen sein, sondern ihn auch regelmäßig getroffen haben, da Benjamin ihn beispielsweise bat ihm doch seine „Begier nach einer Nachricht“ auszurichten oder ihn schlicht und einfach fragte ob er ihn sehen würde. Über eine Krise in der noch ‚frischen’ Beziehung zwischen Kracauer und Benjamin ist nichts bekannt, jedoch ist eine Abkühlung aufgrund der „Baudelaire“ Verwechslung und den damit verbundenen Konsequenzen für Benjamin, denkbar. Der nächste erhaltene Brief stammt erst wieder aus dem Jahre 1926. Von einer Kontaktstille bis zu diesem Brief ist allerdings nicht auszugehen, da der Inhalt und auch die Persönlichkeit des Briefes auf eine vorherige Korrespondenz schließen läßt. „Ich stelle sie mir während der vergangenen Wochen aller Kongresse ledig und seßhaft vor. Vielleicht fange ich Sie in solcher Situaton doch einmal ab, denn da ich seit kurzem eine ständige Logier – Einladung nach Frankfurt habe, so könnte ich doch einmal für einige Tage eintreffen.“ (Brief von Benjamin: 17.2.1926)

Intellektueller Austausch

Benjamin schickt Kracauer seine Aphorismenauswahl zur Veröffentlichung in der Frankfurter Zeitung, welche dann auch, teilweise, unter dem von Kracauer zu Benjamins Zufriedenheit gewählten, Titel „ Kleine Illuminaten“ erschien. Auch lobt er Kracauers „Falscher Untergang der Regenschirme“ (in: FZ vom 7.4.1926, Jg.70, Nr.255): und schrieb ihm dazu lobend: „Sie malen den Untergang der kleinbürgerlichen Klasse in einer sehr merkwürdigen ‚liebevollen’ Beschreibung ihrer Hinterlassenschaft“ (Brief von Benjamin: 20.4.1926) Im gleichen Monat noch (27.4.1926) schickte Kracauer Benjamin scheinbar den Vorabdruck seines Essays „Der Tanzanzug. Ein Märchen“, um diesen anschließend, Korrektur gelesen , zurück zu bekommen. Benjamin urteilt von nun an regelmäßig in seinen Briefen über Kracauers Artikel in der Frankfurter Zeitung und Kracauer unterrichtet ihn über alle Geschehnisse, seine private „Schreiberei" betreffend. Benjamin lebte von März - September 1926 in Paris und berichtete Kracauer sogar von dem ‚Besuch’ von Salomon Delatour bei ihm in Paris, für dessen Reise allerdings nicht etwa er selbst, Benjamin der Grund war; in seinem Brief vom 13.5.1926 klang er sogar eher etwas enttäuscht über diesen: „Salomon ist sehr glanzlos erschienen und sehr lautlos wieder verschwunden“. Ein deutlicher Hinweis auf die Stärke der Beziehung und auch des Vertrauens zwischen Kracauer und Benjamin. Es zeigt aber auch, dass das Verhältnis von Salomon Delatour und Benjamin wohl kein so gutes mehr war.

Das "Geschäftliche"

Benjamin beginnt Kracauer immer wieder um die Erstellung von Rezensionen oder Reiseberichten etc. für die Frankfurter Zeitung zu bitten. Doch scheint es sich hier nicht ausschließlich um ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Auftraggeber und -nehmer zu handeln. Je nach Interesse Kracauers und der Frankfurter Zeitung, nehmen diese Benjamins Angebot an oder lehnen es ab. Auch wird Benjamin selbst hin und wieder von der Frankfurter Zeitung gebeten diverse Artikel zu verfassen. Die beiden schienen auch telefonisch Kontakt zu haben, wenigstens, was berufliche Angelegenheiten betrifft. Auch schienen sich beide in regelmäßigen Abständen zu besuchen, wie aus einem Brief von Kracauer an Benjamin vom 7.11.1927, hervorgeht: „Auf Ihren ev. Besuch freue ich mich sehr. Auf alle Fälle komme ich im Winter nach Berlin.“Diese angekündigten und verabredeten Besuche zeigen m. E. die Innigkeit der Freundschaft zwischen den beiden, die über ein ausschließlich geschäftliches Verhältnis im Rahmen der Frankfurter Zeitung deutlich hinausgeht.

Freundschaft zu Dritt

Benjamin berichtet Kracauer von seiner Zeit mit Theodor Wiesengrund in Berlin, der dort, durch Benjamin, auch die Bekanntschaft mit Ernst Bloch machte: „Wiesengrund und ich sind öfters und ersprießlich zusammen gewesen.“ Benjamin erfährt von Martin Sommerfeld (seit 1919 Privatdozent in Frankfurt; später Professor für Deutsche Philologie und Literaturgeschichte), dass Theodor Wiesengrunds Habilitationsplan gescheitert sei, erkundigt sich bei Kracauer, ob diese Information der Wahrheit entspreche. (Adorno, der sich, wie auch Benjamin an der Philosophischen Fakultät mit: „Der Begriff des Unbewussten in der transzendentalen Seelenlehre“ zu habilitieren versuchte, musste seinen vorsichtshalber nur als ‚Anfrage’ gestellten Antrag zurückziehen, um einem Refus zuvorzukommen, der aus einer ablehnenden Stellungnahme durch die Professoren Hans Cornelius und Johannes Wilhelm drohte.) Auch Adorno und Benjamins Beziehung scheint mit der einer Freundschaft vergleichbar, schließlich stellt Benjamin ihm einen guten Bekannten von sich, Ernst Bloch, vor und erkundigt sich besorgt bei Kracauer nach Adornos Habilitationsplänen.

Nachdem die Philologin Eva Fiesel offenbar auf Benjamins kritische Rezension ihrer „Sprachphilosophie der deutschen Romantik“ (in: Literaturblatt der FZ, vom 26.2.1928, Jg. 61, Nr.9) mit einem persönlichen Brief reagiert hat, welcher von ihm als „nach mir gezieltes Hakenkreuz“ charakterisiert wurde, antwortete Kracauer verteidigend, im Namen der Feuilleton Redaktion der Frankfurter Zeitung, auf diesen. Benjamins Reaktion darauf (Brief vom 10.3.1928): „Und mit dem Dank für die mehr als loyale Entschiedenheit, mit der Sie schützend das nach mir gezielte Hakenkreuz abhielten, will ich schließen.“ Ein deutlicher Beweis für die Intensität der Beziehung, vor allem, dass Kracauer nicht nur in seinem Namen, sondern sogar in dem der gesamten Redaktion auf solch einen Brief reagierte! Auch scheint Kracauer Benjamin ein Exemplar seines „Ginsters“ zugesandt zu haben. Er lobt diesen in seinem Brief vom April: „Ich schließe mit einem Kompliment für Ginster und einer Reverenz vor seinem strengen Vater.“ (Brief 18.4.1928) Nur einen Monat später kündigte Ernst Bloch Benjamin seine bevorstehende Ankunft in Berlin an. (Benjamins neue Adresse im Tiergarten war im Sommer und Herbst 1928 Blochs Adresse.) Es war geplant sich zu dritt (Benjamin, Kracauer, Bloch) zu treffen. Wie Benjamin schreibt: „um Sie dann zu bestimmen, gemeinsam zu mir zu kommen, wo allerlei Ingredienzien für die Belebung eines philosophischen Konvents aufgebaut stand.“ (Brief 2.7.1928). Leider hat das Treffen an diesem Abend, zu Benjamins Enttäuschung, nicht statt gefunden, stattdessen schreibt Benjamin, er hätte den ganzen Abend vor dem Apparat verbracht, doch es rief keiner der beiden an. Es scheint ein enges Freundschaftsverhältnis zu dritt gegeben zu haben, man verabredete sich um gemeinsam möglicherweise Rauschmittel zu sich zu nehmen „(...) Ingredizien für die Belebung eines philosophischen Konvents (...)“. Das die beiden geschäftlich telefonischen Kontakt hatten ist bekannt. Inwiefern man auch bei privaten Angelegenheiten über das Telefon kommunizierte ist leider nicht bekannt. Im gleichen Jahr rezensiert Kracauer Benjamins „Ursprung des deutschen Trauerspiels“ („Zu den Schriften Walter Benjamins“ in: FZ, 2.Morgenblatt, vom 21.7.1928), welche genau an Benjamins 36.Geburtstag in der Frankfurter Rundschau erscheint. Benjamin scheint begeistert von Kracauers Rezension: „Sie ist unter den vorliegenden die einzige, die nicht nur dies oder jenes hat beleuchten und darstellen sondern mir einen Rang in einer Ordnung hat anweisen können.“ (Brief von Benjamin 21.7.1928)


Das bittere Ende

1930 folgt eine Postkarte aus Tromso, Norwegen (Polarreise), im Jahr darauf eine aus Juan-les-pins, Frankreich, 1932 und die Letzte nach Berlin 1933 aus Ibiza. Inhaltlich befassen sich die Karten nicht, wie vielleicht zu erwarten, mit Urlaubsgrüssen, sondern „Geschäftlichem“, da Benjamin auch weiterhin für die FZ schrieb. Siegfried Kracauer und seine Frau flohen am 28.2.1933, Benjamin am 16.2.1933 nach Paris, wo der Briefwechsel bis 1940 weiter geht. Der letzte Brief von Benjamin an Kracauer ist vom 14.5.1940 und in französischer Sprache verfasst. Benjamin bittet Kracauer sich umgehend bei ihm zu melden. Er teilt ihm mit, dass Henri Hoppenot (französischer Diplomat) durch seinen Einfluss, beide vor einer weiteren Internierung in Frankreich bewahren konnte. (Benjamin schien dies am 14.5.1940 von der sowohl mit ihm und Kracauer, als auch mit Hoppenot befreundeten Schriftstellerin und Buchhändlerin Adrienne Monnier erfahren zu haben.) Das letzte Treffen von Kracauer und Benjamin erfolgte Mitte August 1940 in Marseille. In der Nacht vom 26.zum 27.September 1940 nimmt sich Walter Benjamin im französischen Port Bou, nach dem gescheiterten Versuch über die Grenze nach Spanien zu gelangen und der unmittelbar bevorstehenden Auslieferung an die Deutschen, mit Morphium das Leben.