Deutsche Gesellschaft für Soziologie in der Nachkriegsperiode

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Die akademische soziologische Vereinigung seit 1909 von Wolfgang Glatzer

IV. Die Nachkriegsperiode 1946 bis 1968

Dass die DGS 1946 bereits wiedergegründet wurde, überrascht und bedarf der Erklärung. Unter den Soziologen, die das Dritte Reich in Deutschland überstanden hatten, befand sich Leopold von Wiese, der bereits Schriftführer in der DGS vor 1933 gewesen war und nun die Initiative zur Wiedergründung ergriff (von Wiese 1959, S. 17). Wie es aussieht, war es für sein Vorhaben sehr wichtig, dass er die Unterstützung von Edward Y. Harthorne, dem Universitätsoffizier der amerikanischen Militärverwaltung, erhielt. Dieser war ein Schüler und Kollege von Talcott Parsons und hatte über die deutsche Universität und den Nationalsozialismus gearbeitet und publiziert (Gerhardt 1993, S. 5, 60). Entsprechend wohlwollend reagierte er auf soziologische Anliegen, wurde aber bereits 1946 bei einem Straßenüberfall getötet.

Die Nachkriegs-DGS wurde am 5. und 6. April 1946 in Bad Godesberg gegründet; Leopold von Wiese wurde ihr erster Präsident und blieb es bis 1955. "Diese rasche Reaktivierung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie wurde getragen von bürgerlich-liberalen Wissenschaftlern, die Leopold von Wiese zusammenführte" (Lepsius 1979, S. 29). Von Wiese war 70 Jahre alt, als er Präsident der DGS wurde, und er hat anschließend - in Zusammenarbeit mit Heinz Sauermann - noch im Jahr 1946 den 8. Deutschen Soziologentag in Frankfurt organisiert. Es gab keine übergreifende Thematik, aber immerhin hieß auf Anregung von Hawthorne der Beitrag des Präsidenten "Die gegenwärtige Situation, soziologisch betrachtet". Wenn man erwartet, dass Versuche, den Nationalsozialismus zu analysieren und zu erklären, durchgeführt worden wären, so wird diese Erwartung in allen Tagungsbeiträgen enttäuscht. Dazu sind nur wenige und zudem oberflächliche Bemerkungen zu finden. Im Beitrag von Wieses wird der Aufstieg des Nationalsozialismus ganz unsoziologisch als metaphysisches Ereignis erläutert. Während der folgenden Soziologentage, die im Jahr 1948 in Worms, 1950 in Detmold, 1952 in Weinheim, 1954 in Heidelberg abgehalten wurden, gab es eine Vielfalt von Themen, die von Jugend über Terrorismus bis zu Bürokratie, Berufswahl und Ideologie reichten.

1955 folgte auf Leopold von Wiese Helmuth Plessner als Präsident. Er leitete die Soziologentage von Bad Meinberg 1956 über "Tradition" und Berlin 1959 über "Die Rolle der Soziologie in modernen Gesellschaften". Der Berliner Soziologentag hatte einen besonderen Charakter, da er zum 50. Jahrestag der DGS-Gründung stattfand. Neben der langen Liste der Referenten ist es interessant im Hinblick auf die damalige Reputation der Soziologie, dass der Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, die Konferenz eröffnete und der Bundespräsident, Theodor Heuß, der selbst ein Mitglied der DGS war, seine Nicht-Teilnahme mit Krankheit entschuldigte. Von den drei großen konkurrierenden "Schulen" der Nachkriegssoziologie, die in sich durchaus heterogen waren, war die Frankfurter Schule durch Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, die Kölner Schule durch Leopold von Wiese und René König vertreten. Helmut Schelsky aus Münster, der die dritte Schule bildete, kündigte einen Beitrag an, erschien jedoch nicht und publizierte im Anschluß die "Ortsbestimmung der deutschen Soziologie" (Schelsky 1959, S. 11). Auch danach hielten konfliktreiche Diskussionen an. Beginnend mit einem Treffen im Jahre 1961 wurde der bekannte Positivismusstreit ausgetragen. Kritische Theorie und kritischer Rationalismus waren die opponierenden Paradigmen, die in der ersten Runde von Theodor W. Adorno und Karl Popper und in der zweiten Runde von Jürgen Habermas und Hans Albert repräsentiert wurden. Dieser Disput wurde über mehrere spezielle Tagungen hinweg aufrechterhalten, ohne dass eine Konsenslösung gefunden werden konnte.

Eher unmerklich blieb, dass sich in der Zeit von Helmuth Plessner und seinem Nachfolger Otto Stammer die DGS von einer Honoratioren-Vereinigung zu einem etwas offeneren akademischen Club wandelte, dem auch jüngere Gelehrte angehörten. Als 1964 der Max Weber-Soziologentag abgehalten wurde, hielt die DGS damit Rückblick auf die Person, die das Schicksal der Organisation vermutlich am meisten beeinflußt hat. Auf diesem Soziologentag war einer der Referenten Herbert Marcuse, der zu dieser Zeit noch wenig Beachtung fand, aber bald danach zum philosophischen Mentor der aufkommenden Studentenbewegung werden sollte. Der Frankfurter Soziologentag von 1968 markiert einen signifikanten Wandel für die DGS (Korte 1992, S. 213). Unter der Thematik "Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft" wurden harte, aber nichtsdestoweniger intellektuell stimulierende Diskussionen ausgetragen. Ein Blick auf die Protokolle zeigt, daß die Gegensätze zwischen Ralf Dahrendorf (dem Vorsitzenden der DGS) und Theodor W. Adorno (dem Vorsitzenden des Organisationskomitees) nichts Unübliches in der langen Geschichte der DGS darstellen. Wahrscheinlich sind die marxistischen Thesen in Adornos Beitrag der Ausdruck eines neuen linken Selbstbewußtseins. Überraschend waren vor allem die unkonventionellen Aktivitäten der Studenten, die im Verlauf der Studentenbewegung mit dem traditionellen Stil politischen Protests brachen. Nicht zuletzt dies war so schockierend, dass es zu einem Moratorium von sechs Jahren kam, bevor es wieder einen Soziologentag gab. Nur auf diese Weise glaubte der Vorstand damals die Einheit der DGS retten zu können.

V. Die DGS in den Jahrzehnten nach 1968

Nach den Problemen von 1968 wurden vom DGS-Vorstand öffentliche Soziologentage aufgeschoben und eine neue Satzung in Angriff genommen, die vor der Machtübernahme durch die Ausserparlamentarische Opposition (APO) schützen sollte. Die geschaffene Satzung, die nach wie vor gültig ist, definierte als die Hauptorgane das Konzil, den Vorsitzenden, den Vorstand und die Sektionen. Eine Neuerung stellt insbesondere das Konzil dar, das durch die Zahl von 30 Mitgliedern ermöglicht, eine größere Zahl von Soziologen an den DGS-Aktivitäten zu beteiligen. Die Wahl des Vorstands und des Konzils erfolgt nicht mehr in Vollversammlungen, sondern durch Briefwahl aller Mitglieder. Die Ziele der DGS wurden neu definiert: "Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie ist eine wissenschaftliche Gesellschaft, die den Zweck hat, soziologische und sozialwissenschaftliche Probleme in Wort und Schrift zu erörtern, den Gedankenaustausch ihrer Mitglieder zu fördern, an der Verbreitung und Vertiefung soziologischer Denkweise mitzuwirken, und sich an der Klärung von Fach- und Studienfragen der Soziologie zu beteiligen." Hinzugefügt wurde die Pflege der Beziehungen zur Soziologie des Auslands. Dies war ein weiterer Schritt weg von der kleinen Gelehrtengemeinschaft in die Richtung einer breiten sozialwissenschaftlichen Vereinigung, nicht zuletzt, weil die Akzeptanz von Mitgliedern, die bis dahin auf Professoren beschränkt war, auf promovierte Soziologen erweitert wurde.

Als die neue Satzung offiziell verkündet wurde, hatte sich Ralf Dahrendorf bereits in die politische Praxis begeben. Erwin K. Scheuch als sein Stellvertreter übernahm die Aufgabe des Vorsitzenden für die Übergangsperiode. Der erste Vorsitzende, der unter den neuen Regeln gewählt wurde und sein Amt im Januar 1971 antrat, war M. Rainer Lepsius. Er widmete sich vor allem der Aufgabe, die Organe, die die Satzung vorsah, zu aktivieren. Daneben war wohl die wichtigste Innovation die Herausgabe der offiziellen Informationsbroschüre "Soziologie - Mitteilungsblatt der Deutschen Gesellschaft für Soziologie", die zuerst 1971 erschien und bis heute, nun mit vier Ausgaben jährlich, den Mitgliedern zugeschickt wird. Aktuelles und grundlegendes Wissen über und um die DGS sowie die Lage des Faches wird darin angeboten; in jüngerer Zeit wurden viele Essays über die Probleme der Soziologie-Lehre veröffentlicht und ebenso wurden Probleme der sozialwissenschaftlichen Forschung behandelt.

Es dauerte bis 1974, bis die DGS wieder einen Soziologentag - in Kassel - abhielt; er erhielt das Thema "Zwischenbilanz der Soziologie". Zwei Jahre später wurde diese Thematik auf dem Soziologentag in Bielefeld fortgesetzt. Von nun an wurden Soziologentage wieder ziemlich regelmäßig alle zwei Jahre unter verschiedenen Themen durchgeführt. Der DGS-Vorsitzende wechselte von den frühen 70ern bis zum Anfang der 90er Jahre regelmäßig alle vier Jahre, d.h. jeder Vorsitzende wurde einmal wiedergewählt. Erst in den neunziger Jahren wurde mit dieser Tradition wieder gebrochen, als Bernhard Schäfers und Lars Clausen jeweils nur zwei Jahre amtierten. Als Karl-Martin Bolte, der M. Rainer Lepsius folgte, Vorsitzender wurde, wurden die Bemühungen verstärkt, einen Lehrkanon für die Soziologie zu entwickeln und alle folgenden Vorsitzenden wurden von solchen Ansprüchen mehr oder weniger herausgefordert. Insbesondere in der Periode von Joachim Matthes war eine der dominierenden Aktivitäten, die Richtlinien für die Lehre der Soziologie auszuarbeiten, und auch Vorschläge für eine minimale Ausstattung der soziologischen Studiengänge wurden entwickelt. Als Burkart Lutz (1983-1986) folgte, war in seiner Amtszeit die Qualität der Lehre wieder ein besonderer Punkt, wobei sich die Vorsitzende des Ausschusses für Lehre - Ingrid Sommerkorn - langfristig engagierte. In der Zeit des Vorsitzes von Wolfgang Zapf (1987 - 1990) wurde die praktische Anreicherung der Qualität der Lehre durch eine kommentierte Leseliste vorbereitet. Sie wurde 1991 als spezielles Heft der "Soziologie" veröffentlicht und enthält, an den Sektionen orientiert für die verschiedenen Felder der Soziologie ausgewählte Grundlektüre (letzte Ausgabe DGS 1995, Heft 4; bevorstehend 1999, Heft 1). Es erfolgte auch die Erklärung zur Unterstützung der Volkszählung 1987, die zu einem öffentlichen Disput geworden war. Der DGS-Vorstand wurde ausserdem mit der Heskemer Protestation konfrontiert, die zu einer stärkeren Professionalisierung der Organisation aufforderte. Aber diese Problematik trat zurück, als die überraschend sich vollziehende Wiedervereinigung immer mehr Aufmerksamkeit auf sich zog.

Der 24. Deutsche Soziologentag, der 1988 in Zürich abgehalten wurde, war - wie bereits 1928 in Zürich - ein Dreiländerkongress der Österreichischen, der Deutschen und der Schweizer Gesellschaft für Soziologie. Wolfgang Zapf hatte erreicht, dass eine Delegation von Soziologen aus der Deutschen Demokratischen Republik teilnahm. Zwei Jahre später befasste sich der 25. Soziologentag in Frankfurt mit der "Modernisierung moderner Gesellschaften" (vgl. Zapf 1991). Niemand hatte am Anfang der Vorbereitung die schnelle deutsche Vereinigung und die radikale Transformation der sozialistischen Gesellschaften vorausgesehen. Es entstanden abrupt neue Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der Soziologie, auf radikalen sozialen Wandel zu reagieren. Als Bernhard Schäfers 1991 die Rolle des Vorsitzenden übernahm, wurde er mit dem Problem der Integration der Soziologen aus Ostdeutschland und der Entwicklung der Soziologie an den ostdeutschen Universitäten konfrontiert. Für wissenschaftliche und professionelle Fragen in Zusammenhang mit dem Transformationsprozess wurde im Vorstand der DGS ein Komitee gegründet, das paritätisch aus ost- und westdeutschen Wissenschaftlern zusammengesetzt war. Kurze Zeit bevor die deutsche Wiedervereinigung erfolgte, hatten ostdeutsche Soziologen die "Gesellschaft für Soziologie Ostdeutschland" gegründet, die Ausdruck für die kollektive Selbstbehauptung der ostdeutschen Soziologen und Soziologinnen ist. Jedoch löste sie sich bereits am 31. Dezember 1992 wieder auf. Unter Leitung des Vorsitzenden Hansgünter Meyer war ein ostdeutscher "Soziologen-Tag" mit dem Thema "Soziologie in Deutschland und die Transformation großer gesellschaftlicher Systeme" durchgeführt worden (vgl. Meyer 1992). Von Hansgünter Meyer u.a. wurde auch das "Berliner Journal für Soziologie" ins Leben gerufen, das sich heute als wichtige soziologische Fachzeitschrift etabliert hat.

Nach einer langen vorbereitenden Diskussion, die zusammen mit dem Berufsverband Deutscher Soziologen und der Gesellschaft für Soziologie (Ostdeutschland) geführt wurde, wurde 1992 ein Ethik-Kodex eingeführt, der maßgeblich von Christel Hopf mitgestaltet wurde. Er kodifiziert Normen für das Verhalten von lehrenden und forschenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die den Maßstäben der Moral und Fairness genügen. Durch eine Ethikkommission soll die Einhaltung dieser Normen überprüft und gewährleistet werden.

Der Bezeichnung nach der letzte "Deutsche Soziologentag" wurde im Jahr 1992 in Düsseldorf durchgeführt; und er war mit "Lebensverhältnissen und Konflikten im neuen Europa" befasst. Wie dieser, so haben sich die neueren Soziologentage verstärkt auf die Herausforderungen ihrer Zeit bezogen und weniger mit internen Problemen der Soziologie, obwohl auch diese - nicht zu Unrecht - weiter Beachtung finden. Für die Zukunft wurde der Name des Soziologentags in "Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie" geändert, weil ausgehend von der starken Sektion "Frauenforschung" eine geschlechtsneutrale Bezeichnung gewünscht wurde. Der Vorsitzende seit 1993, Lars Clausen, setzte wiederum Neuerungen durch, z.B die Jurierung der für den Kongress eingereichten Hauptbeiträge. In seiner Amtszeit trat die DGS als Miteinladerin zum ISA-Weltkongress auf, der 1994 in Bielefeld durchgeführt wurde - organisiert von Peter Weingart und Dietrich Storbeck - und 4000 Soziologen aus aller Welt zusammenführte. .

Der 27. und der 28. Soziologiekongress fanden erstmals in ostdeutschen Städten statt, 1995 in Halle und 1996 in Dresden. Um Überschneidungen mit dem Weltkongress von 1994 zu vermeiden, wurde der Zweijahresrhythmus der deutschen Kongresse unterbrochen. Mit den Themen "Gesellschaften im Umbruch" (Halle) und "Differenz und Integration" (Dresden) knüpften sie an klassische soziologische Problemstellungen an und ließen zugleich Raum zur Einbeziehung aktueller "Transformationsprozesse". Eine wieder hergestellte Wertschätzung durch die Politik ist daran ablesbar, dass die Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt (Reinhard Höppner) und Sachsen (Kurt Biedenkopf) den Kongress im jeweiligen Bundesland als Schirmherren eröffneten; und nicht zuletzt daran, dass die dritthöchste Repräsentantin der Bundesrepublik, die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts Jutta Limbach (ein DGS-Mitglied), in Halle die Eröffungsansprache hielt. Diese Großkongresse nehmen einen neuen Charakter an: Zwar sind die Soziologen nach wie vor eine heterogene, diskussions- und streitfreudige Profession, aber nichtdestoweniger haben sich die Komponenten einer identitätsstiftenden festartigen Veranstaltung verstärkt.

Unter dem Vorsitz von Stefan Hradil (1994 - 1998) wurde die Kongresse in Dresden (1996) und Freiburg (1998) vorbereitet und durchgeführt. Der Kongress in Freiburg knüpft an die Tradition von Zürich 1928 und Zürich 1988 an, bei denen sich ebenfalls die Soziologen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammen gefunden haben. Die DGS befand sich in dieser Zeit in einem ruhigen Fahrwasser. Die Standardprobleme der Organisation der Großkongresse, die Vermehrung der Zahl der Sektionen, die Entwicklung eines Lehrkanons der Soziologie, sowie die Herausgabe des Mitteilungsblattes "Soziologie" dominierten. Bemerkenswert ist die Einführung des René König-Lehrbuchpreises, der für das beste soziologische Lehrbuch aus zurückliegenden beiden Jahren vergeben wird und 1998 auf dem Freiburger Kongress an Uwe Schimank für die "Theorien gesellschaftlicher Differenzierung" verliehen wurde.


VI. Abschließende Bemerkungen

In der langen Zeit ihrer Existenz hat sich die DGS kontinuierlich gewandelt, sowohl was ihre Mitgliedschaft als auch was ihre Aktivitäten betrifft, die mit mehr und weniger öffentlicher Sichtbarkeit ausgeübt wurden. Die Zahl der DGS-Gründer betrug 39 Gelehrte, und lange Zeit erlaubte die Satzung nicht, daß die Zahl der Mitglieder über 150 hinausging. Im Jahr 1956 gab es schließlich 207 Mitglieder, und bis 1968 stieg die Zahl auf 321 (Ziegler 1984). Die Zahl der Mitglieder erhöhte sich stärker als zuvor, nachdem 1970 die neue Satzung eingeführt worden war, und sie erreichte 750 im Jahr 1980 und 1300 im Jahr 1997, der zunehmenden Zahl von Soziologen in Deutschland entsprechend. Der Generationswechsel schreitet vor allem in den letzten Jahren schnell voran. Und die Bemühungen, Soziologinnen in die DGS zu integrieren, waren von Erfolg begleitet. Der Anteil weiblicher Mitglieder wuchs von 8,4% in den Jahren 1955/56 auf 15,6% im Jahr 1989 (Nunner-Winkler 1989, S. 78). Ihr Anteil im Vorstand ist seit einiger Zeit weit höher. Es wird geschätzt, daß 80% aller promovierten Soziologen in Deutschland Mitglied der DGS sind. Was die Anziehungskraft auf die akademischen Soziologen und Soziologinnen betrifft, so hat sich die DGS zweifellos erfolgreich entwickelt.

Mit der anwachsenden Mitgliederzahl wechselte der Charakter der DGS von einer eher esoterischen Gelehrtenvereinigung zu einer breiteren akademischen Vereinigung, die soziologisch-wissenschaftliche Anliegen unterstützt. Die DGS von heute ist eine vielgestaltige Institution mit einer größeren Zahl von Komitees, Sektionen und Arbeitsgruppen. Es gibt kontinuierliche Aktivitäten, die dazu beitragen, soziologische Anliegen in der deutschen Gesellschaft sichtbar zu machen.

Die am meisten beachteten Ereignisse in der DGS waren die 29 Soziologentage und die ihnen folgenden 3 Soziologiekongresse. Sie wuchsen ausgehend von kleinen Tagungen mit ungefähr 100 Teilnehmern und erreichten 470 Teilnehmer beim ersten modernen Kongress, wie der Jubiläumskongress 1959 in Berlin bezeichnet wird. Seit dem Frankfurter Soziologentag wurden Teilnehmerzahlen in der Größenordnung von 3000 erreicht. Die Konsequenzen dieses Wachstums für den Stil der Soziologentage sind nicht zu übersehen. Es handelt sich um Groß-Kongresse, die vier bis fünf Tage dauern, mit zwei- bis dreitausendtausend Teilnehmern und mehreren hundert Präsentationen, also um ein Massenereignis mit kollektiven Ritualen. Im Anschluß daran erfolgt jeweils die Publikation von zwei voluminösen Konferenzbänden. Nicht zuletzt das soziale Klima, das bei den letzten Soziologentagen herrschte, stützt die These, daß diese Kongresse die latente Funktion der sozialen Integration der Soziologen in Deutschland und auch darüber hinaus haben.

Insbesondere auf den Soziologentagen, aber auch durch ihre Einzelaktivitäten, gewannen die Sektionen im Laufe der Zeit mehr Bedeutung. Es gab Abteilungen in der DGS von Anfang an, und Arbeitsgruppen traten auf den Soziologentagen seit 1926 auf, aber heute sind einige Sektionen größer als die ganze DGS in früherer Zeit. Sie halten ihre eigenen Arbeitstagungen ab und tragen einen großen Teil des Programms der soziologischen Kongresse. Die Zahl dieser Sektionen liegt nun bei 29; dazu gehören die Industrie- und Betriebssoziologie und die Frauenforschung, um zwei der wichtigsten Sektionen mit unterschiedlich langer Zugehörigkeit zu erwähnen (siehe die Liste am Ende).

Zum Abschluß sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die DGS stets ein Forum für die anhaltenden Diskussionen über die Frage der soziologischen Lehre blieb. Sie beeinflusste in einigem Ausmaß, zumindest intellektuell, die Etablierung der Soziologie zunächst an den Universitäten im Westen und nach der Vereinigung auch im Osten.

Die DGS war nie Gegenstand eines ausführlichen Berichts, der ihre sozialen Prozesse und ihre Bedeutung in Relation zur Soziologie und zur Gesellschaft beschrieb. Manche der hier gegebenen Beschreibungen und Interpretationen sind deshalb fragmentarisch und provisorisch geblieben. Zum Schluss möchte ich auf die Leistung der DGS im Hinblick auf den Etablierungsprozess der Soziologie eingehen. Von den ehemaligen Vorsitzenden, die dazu auf meine Anfrage hin Position bezogen, möchte ich drei zitieren. Ralf Dahrendorf urteilt: "die Nachkriegsgeneration hat die Soziologie ohne und zum Teil gegen die DGS «etabliert» ". Die spätere Professionalisierung dagegen hat wahrscheinlich von der Existenz der DGS profitiert." Die Sichtweise von Joachim Matthes beleuchtet weitere Aspekte: "Nach dem 2. Weltkrieg, so ist mein Eindruck, war sie (die DGS) für lange Zeit eher ein Honoratiorenverein, in dem sich diejenigen, die sich jeweils vor Ort in je ihrer Weise um die Etablierung der Soziologie bemühten, darum bemühten, ihre claims sowohl wechselseitig unter dem Gebot der «Nichteinmischung» zu sichern als auch mit einer gewissen gemeinsamen Legitimation nach außen zu versehen. So war das wohl auch, im Großen und Ganzen gesehen, in der Zeit vor 1933. Obwohl sich dies seit der Mitte der siebziger Jahre etwas geändert hat, ist dieses Merkmal noch einmal mit Macht durchgeschlagen, als es um die Etablierung der Soziologie in den neuen Bundesländern ging...;" Eine mehr skeptische Position im Hinblick auf die Möglichkeiten der DGS, Einfluss auszuüben, wird von M. Rainer Lepsius eingenommen: "Die DGS ist eine Fachvertretung ohne Vollzugsmandat, insbesondere auch gegenüber der Wissenschaftspolitik und den Hochschulverwaltungen. Doch ist sie natürlich immer ein Rahmen für die Herstellung von Selbstverständnissen der Mitglieder und bietet mit ihren Kongressen und Tagungen eine Integrationsleistung an". Es gibt in der Gegenwart wie in der Vergangenheit nachdrückliche Kritik an der Leistungsfähigkeit der DGS, aber einer der hauptsächlichen Kritikpunkte scheint in der letzten Phase doch überwunden worden zu sein: Die Themen, die die Soziologie auf den Soziologentagen und Kongressen aufgegriffen hat, sind heute weniger interne Probleme der Soziologie, sondern vermehrt die Herausforderungen und Probleme, mit denen die moderne Gesellschaft konfrontiert ist.

  • Diese Darstellung stellt eine Überarbeitung und Aktualisierung des gleichnamigen Beitrags aus Bernhard Schäfers 1995 (Hg.) Soziologie in Deutschland, Opladen, Leske + Budrich dar. Für hilfreiche Informationen danke ich insbesondere Karl Martin Bolte, Lars Clausen, Ralf Dahrendorf, Uta Gerhardt, Hans-Joachim Hoffmann-Nowotny, Stefan Hradil, Beate Kohler-Koch, M. Rainer Lepsius, Burkart Lutz, Joachim Matthes, Bernhard Schäfers, Erwin K. Scheuch und Wolfgang Zapf. Als breite Informationsgrundlage wurde das viermal jährlich bei Leske + Budrich erscheinende Heft "Soziologie", das Mitteilungsblatt der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, genutzt. Seit dem Ersten Soziologentag von 1910 liegen zu allen Soziologentagen und Kongressen jeweils Tagungsbände vor, die als umfassende Informationsgrundlage verwendet wurden.

Literaturverzeichnis

Vorsitzende bzw. Präsidenten der DGS