Michael Bock - Die Entwicklung der Soziologie und die Krise der Geisteswissenschaften in den 20er Jahren
In dem Text von Michael Bock wird erläutert, wie die Soziologie aus dem Schatten der Geisteswissenschaften hervortritt und in wie weit, diese Entwicklung mit der vorangegangenen Krise der Geisteswissenschaften, zusammenhängt.
In der Zeit nach dem ersten Weltkrieg änderte sich die Situation für die Wissenschaften enorm. Vor allem die Geisteswissenschaften waren betroffen, weil sich ein Umbruch in der Wahrnehmung der Wissenschaften durchsetzte. Waren die Geisteswissenschaften vor dem ersten Weltkrieg noch in der Lage eine gesellschaftliche und politische Führungsrolle zu übernehmen, verloren sie in den 20er Jahren diese Sonderstellung weitgehend. Dies ist darauf zurückzuführen, dass wirtschaftliche Interessen immer mehr an Bedeutung gewannen und die kulturellen Entscheidungen in den Hintergrund drängten. Zudem strömte eine immer größer werdende Masse in die Bildungseinrichtungen, was die privilegierte Stellung der Intellektuellen gefährdete. Kultur verlor auch immer mehr an Bedeutung, da diese keine Lösungen für praktische Probleme in der Nachkriegszeit bot. So entstand eine völlig neue Erwartung an die Wissenschaften in der Bevölkerung. Hier hatte die Soziologie die Chance sich als neue und unbefleckte Wissenschaft zu entwickeln und so, die vorangegangene geisteswissenschaftliche Krise, zu bewältigen. Wie die Einflussnahme auf die Öffentlichkeit aussehen sollte war stark umstritten und so bildeten sich verschiedene Lager heraus, die Michael Bock in fünf Kategorien unterteilt. Die „Historische Soziologie“ baut auf eine historische Strukturanalyse auf. Als erste Vertreter sind hier Marx und Lorenz von Stein zu nennen. Für eine Professionalisierung des Faches Soziologie, sowie für die Vermittlung von Wissen an Hochschulen, setzt sich die „formale Soziologie“ ein. Karl Mannheim fungiert als Gründer der „Wissenssoziologie“, die sich engagiert normative Kriterien zu schaffen um gesellschaftliche Entwicklungen bewerten zu können. Zudem wird eine internationale und objektive Entwicklung des Faches gefördert. Die „empirische Sozialforschung“ ist hingegen rein funktionalistisch und bezieht die Ergebnisse nicht auf bestehende Werte. So wird sie etwas abfällig als „administrative Hilfswissenschaft“ bezeichnet. Als letzte Gruppe wird die „Soziologische Weltanschauung“ genannt, die bei den Austromarxisten und dem Wiener Kreis Anwendung findet. Michael Bock bemerkt, dass die „historische Soziologie“ in dieser Zeit wenige Bedeutung hatte und somit kaum Einfluss auf die weitere Entwicklung der Soziologie nahm. Dies lag unter anderem daran, dass es ihr nicht möglich war zuverlässige Einschätzungen abzugeben, die sich auf historische Entwicklungen und Gegebenheiten bezogen, da nach dem Ende des ersten Weltkrieges viele Umbrüche in Gesellschaft und Politik stattfanden. So war es unmöglich eine kontinuierliche Entwicklung zu beobachten und auf die damalige Zeit zu beziehen.