Das Berufungsverfahren von Friedrich H. Tenbruck
Zusammenfassung des Protokolls zur Sitzung der Berufungskommission Soziologie II am 29. Mai 1963
Im Zusammenhang mit der Besetzung des 2. Lehrstuhls für Soziologie an der WISO - Fakultät kam es am 29. Mai 1963 zu einer Sitzung, in der entschieden werden sollte, ob Friedrich H. Tenbruck auf die Berufungsliste für das zweite soziologische Ordinariat gesetzt werden sollte. Anwesend waren bei dieser Sitzung der Dekan, Heinz Sauermann, Achinger, Abraham, Walter Rüegg und mit beratender Stimme, Theodor W. Adorno.
Im Wintersemester 62/63 fanden an der Wiso - Fakultät offenbar eine Reihe von Vorträgen statt, die Hinweise auf Nomination für den zweiten Lehrstuhl für Soziologie geben sollten. Jedoch blieben diese Vortagsreihen ergebnislos und man bemächtigte im Februar 1963 Walter Rüegg gemeinsam mit Theodor W. Adorno eine neue Vortagsreihe zu organisieren. Jedoch habe sich in der Zwischenzeit eine neue Situation ergeben, und zwar habe Friedrich H. Tenbruck zwei Rufe erhalten. Zum einem von der Louisiana State University und zum anderen von der Universität Erlangen. In dem Protokoll wird offensichtlich, dass die WISO - Fakultät ein großes Interesse hat Tenbruck, der zurzeit mit einer kommissarischen Vertretung an der Universität Frankfurt beauftragt ist, an der Fakultät zu halten. Herr Rüegg erinnert daran, dass bereits bei den ersten Diskussionen für die Besetzung des Lehrstuhl Tenbruck vorgeschlagen wurde, und die Nominierung nur deshalb unterblieb, weil dei Kommission Tenbrucks amerikanische Professur nicht anerkannte und sie das Gutachten von Theodor W. Adorno abwarten wollte. Mittlerweile habe sich Tenbruck aber in Freiburg habilitiert und außergewöhnlich gute Gutachten von Schelsky, König und Bergstraesser erhalten. Daher stellt Rüegg den Antrag, dass die beim Ministerium eingereichte Berufungsliste durch die Nominierung von Friedrich H. Tenbruck ergänzt wird.
Auch die persönliche Vorbehalte Theodor W. Adorno's seinen mittlerweile gegenstandslos. Auch Adornos Kritik gegenüber dem Buch "Jugend und Gesellschaft"" ständen äußerst positive Gutachten von Professor Andreas Flitner gegenüber. Dieser erklärt, dass sich Tenbrucks menschlichen und sachlichen Qualitäten erst bei näherem Kontakt erkennen lassen. Zu den Bedenken Adornos, dass Tenbruck für eine Mitarbeit am Institut für Sozialwissenschaften vollkommen ungeeignet wäre, wird geäußert, dass der neu berufene Ordinarius zuerst am Ausbau des Soziologischen Unterrichts an der Fakultät beitragen solle und dann, nach einer gründlichen Einarbeitung, Forschungsaufgaben außerhalb der Fakultät zur Verfügung stehen solle. Adorno bestätigt daraufhin, dass seine persönlichen Vorbehalte gegenüber Friedrich H. Tenbruck ausgelöscht wären, dass er aber trotzdem eine gemeinsame Arbeit am Institut für Sozialwissenschaften für äußerst unwahrscheinlich erachte. Er sei bisher der Überzeugung gewesen, dass sich Bedingung an die Besetzung des zweiten Ordinariats an die Bedingung knüpfte, dass der Lehrstuhlinhaber in die Geschäftführung des Instituts aufgenommen werden sollte. Aus diesem Grund möchte er weitere Nominierungen vorschlagen, die für diese Arbeit besser geeignet seien. Er schlug Dahrendorf und Ludwig von Friedeburg vor. Die Anwesenden dieser Sitzung erinnerten Adorno daran, dass Dahrendorf vor einigen Jahren schon einmal zu einem Vortrag eingeladen worden sei, und man mit Horkheimer zu der Übereinstimmung gekommen sei, dass Dahrendorf für eine Berufung nicht in Frage käme. Zu Friedrich von Friedeburg wurden die Vorbehalte geäußert, dass sein Spezialgebiet, nämlich die Methoden der empirischen Sozialforschung, im Lehrplan der WISO - Fakultät zum Gebiet der Statistik und empirischen Sozialforschung gehöre. Des weiteren verteten die Mitglieder der WISO - Fakultät die Auffassung, dass ihr Mitwirken im Institut für Sozialforschung nicht an den zweiten Lehrstuhl der Fakultät gebunden seien. An Adorno wird die Frage gerichtet, warum Walter Rüegg für die Mitarbeit nicht in Betracht gezogen werde. Darauf erwidert Adorno, dass Rüegg aus persönlichen und sachlichen Gründen am Institut sehr willkommen sei, dass er jedoch aufgrund seiner Orientierung nicht die gewünschte Ergänzung für die Bearbeitung empirischer Methodenfragen wäre. In der nun folgenden Diskussion kam man zu dem Schluss, dass dies erst nach einer gemeinsamen Zusammenarbeit beurteilt werden könne.
Zum Ende der Besprechung wird festgehalten, dass sich die Kommission einstimmig Rüeggs Antrag anschließen kann, Tenbruck auf die Berufungsliste zu setzten. Adorno kann sich dem Wunsch nicht anschließen. Jedoch ist man sich einig, dass das Mitwirken der WISI - Fakultät nicht an den Lehrstuhlinhaber des zweiten soziologischen Ordinariats gebunden ist. Rüeggs Mitarbeit am Institut soll verstärkt werden.
Warum Adorno versuchte die Berufung von Friedrich H. Tenbruck zu verhindern
Wie im vorherigen Absatz deutlich wird, wendet sich Adorno stark gegen eine Berufung Friedrich H. Tenbrucks. Sein Hauptargument liegt darin, dass er Tenbruck für eine Kooperation mit dem Institut weder für interessiert, noch für geeignet hält. Trotz den Einwänden Rüeggs, der nicht an Tenbrucks Kooperationsfähigkeit zweifelt und versichert, dass Tenbruck keine ablehnende Haltung gegenüber dem Institut vertritt, ja sogar Horkheimer und Adorno sehr hoch schätzt, lässt sich Adorno nicht zu einer Zustimmung bewegen. Wie jedoch allgemein bekannt ist, kam es trotz seiner Einwände, anders als im Fall Golo Mann, zu einer Berufung Tenbrucks. Sehr auffällig ist jedoch, dass Adorno versucht in die Berufungspolitik der WISO - Fakultät einzugreifen, obwohl er der Fakultät nicht angehört. Er wurde als beratende Stimme zu der Kommissionssitzung hinzu geholt. Jedoch ist sehr auffällig, dass seine beratende Stimme sehr dominant ist. Dies wird im Protokoll der Berufungssitzung sehr deutlich. Auch wenn alle anwesenden Mitglieder der Berufung von Tenbruck nichts entgegen zu sprechen haben, wehrt er sich heftig und behält seinen Standpunkt der letzten Endes alleine darauf zu beruhen scheint, dass er eine Zusammenarbeit am Institut für unmöglich hält. Jedoch scheint diese Zusammenarbeit nur vom Seiten des Instituts unmöglich zu sein. Nun stellt sich die Frage, warum Adorno diese Zusammenarbeit für unmöglich hält. Er ist weder mit Tenbruck besonders gut bekannt und obwohl er in seinem Gutachten Bedenken zu Tenbrucks Wissenschaftsbegriff einräumte, konnten diese aber anscheinend aus der Welt geschafft werden. Adorno schlägt für die Besetzung des Lehrstuhls Ludwig von Friedeburg vor. Diese Besetzung wäre für das Institut für Sozialforschung äußerst positiv. Friedeburg, der sich bei Adorno habilitierte, war zu diesem Zeitpunkt schon für eine Professur an der Freien Universität Berlin berufen worden. An dieser Stelle wird deutlich, dass Adorno ein außergewöhnliches Interesse hatte Ludwig von Friedeburg nach Frankfurt zurück zu holen. Ein weiterer möglicher Grund für den Versuch Adornos eine Berufung Tenbrucks zu verhindern, geht aus dem Vortag Clemens Albrechts hervor. In den 50ern arbeitet Tenbruck als persönlicher Assistent Horkheimers im Institut für Sozialforschung. Außerdem fungierte Tenbruck für Horkheimer als Verbindungsmann zu dem Amerikaner. Zu diesem Zeitpunkt arbeitet man im Institut für Sozialforschung an einer Forschungsarbeit zu dem Thema Nationalsozialismus in Deutschland. Tenbruck fiel auf, dass der Großteil der Mitarbeiter im Institut, die an diesem Forschungsprojekt arbeiteten, eine eigene nationalsozialistische Vergangenheit hatten. Tenbruck kritisierte, dass die eigene Vergangenheit der Mitarbeiter bewertet und aufgewertet wurde. Tenbruck bekam den Eindruck, dass im Institut eine falsche Sozialforschung entstehe.