Abduktion

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Der Begriff Abduktion (lat. abductio = Wegführung; engl. abduction) ist im Wesentlichen von dem amerikanischen Theoretiker Charles Sanders Peirce (1839-1914), in die wissenschaftliche Debatte eingeführt worden. „Abduktion ist der Vorgang, in dem eine erklärende Hypothese gebildet wird“[1]. Er bezeichnet bei Peirce das einzige wirklich kenntniserweiternde Schlussverfahren, das sich von den geläufigen logischen Schlüssen – nämlich der Deduktion und der Induktion – unterscheidet.

Abduktion kann als ein Entdeckungsverfahren neuer Fakten als grundlegender Teil einer umfassenden Logik der Forschung verstanden werden. Besteht in diesem Sinne eine erste Stufe des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses in der Findung einer Hypothese mittels Abduktion, dann besteht die zweite aus der Ableitung von Voraussagen aus der Hypothese, also einer Deduktion, und die dritte in der Suche nach Fakten, welche die Vorannahmen „verifizieren“, also einer Induktion. Sollten sich die Fakten nicht finden lassen, beginnt der Prozess von neuem, und dies wiederholt sich so oft, bis die „passenden“ Fakten erreicht sind. Mit dieser Bestimmung entwirft Peirce eine dreistufige Erkenntnislogik von Abduktion, Deduktion und Induktion.

Schlussform der Abduktion - unterschieden von deduktiven und induktiven Regeln des logischen Schliessens.

Die von Peirce aufgewiesene Schlussform der Abduktion löst ein Problem des Induktionsparadigmas, des erfahrungswissenschaftlichen Schließens von Einzelfällen auf eine Regel (mit der das ›Allgemeine‹ bestimmbar wird), angesichts des vorliegenden Resultats. Als eine Regel, die sich nicht auf ein axiomatisches (Deduktions-)System bezieht, gilt sie jeweils nur vorläufig, bis zu ihrer möglichen Falsifizierung.

Um überhaupt von einem Fall und dem Resultat auf die Regel schließen zu können, muss zuvor eine implizite Überprüfung der Regel stattfinden, indem von einem Resultat mit ihrer Hilfe auf den zugrundeliegenden Einzelfall,die Anfangsbedingung,geschlossen wird. Der Rückschluss auf den Fall aber ist ein abduktives Vorgehen.

Vgl. Charles S. Peirce, »Minutiöse Logik. Aus den Entwürfen zu einer Logik«, in: ders., Semiotische Schriften, hg. und übersetzt von Christian Kloesel und Helmut Pape, Bd. 1, Frankfurt a. M. 1986, S. 376–408 [1901].


Der abduktive Schluss

In der Geschichte der Logik geht die Idee der Abduktion oder Hypothese auf Aristoteles zurück, der sie mit dem Begriff Apagoge erwähnt (Erste Analytik II, 25, 69a) und auch bereits der Induktion (conclusio) gegenüberstellt. Die Übersetzung des Begriffs Apagoge mit Abduktion erfolgte 1597 erstmals durch Julius Pacius, einen Heidelberger Rechtsprofessor. Die besondere Leistung von Peirce besteht darin, diese Schlussweise genauer untersucht und für die Logik des Wissenschaftsprozesses fruchtbar gemacht zu haben.

Charles Sanders Peirce hat also den Ausdruck «Abduktion» nicht in die Wissenschaften eingeführt, er hat lediglich einen längst vergessenen Begriff aufgegriffen und wieder in die Sprache eingeführt. Den Begriff «Abduktion» verwendete Peirce zum ersten Mal etwa 1893, systematisch setzte er ihn jedoch erst ab 1901 ein. Ab 1906 benutzte Peirce dann zunehmend den Begriff der Retroduktion.

In der Sprache der Logik lässt sich die Abduktion so beschreiben:

„Die überraschende Tatsache C wird beobachtet; aber wenn A wahr wäre, würde C eine Selbstverständlichkeit sein; folglich besteht Grund zu vermuten, daß A wahr ist“ (Peirce CP 5.189).

Nicht eine bekannte Regel steht am Anfang, sondern ein überraschendes Ereignis, etwas, was ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit eigener Vorstellungen aufkommen lässt. Dann kommt es im zweiten Schritt zu einer Unterstellung, einer Als-ob-Annahme: wenn es eine Regel A gäbe, dann hätte das überraschende Ereignis seinen Überraschungscharakter verloren. Entscheidend ist nun für die Bestimmung der Abduktion, dass nicht die «Beseitigung der Überraschung» das Wesentliche an ihr ist, sondern die Beseitigung der Überraschung durch «eine neue Regel A». Beseitigen ließe sich eine Überraschung auch durch die Heranziehung bekannter Regeln. Aber das wäre keine Abduktion. Die Regel A muss erst noch gefunden bzw. konstruiert werden; sie war bisher noch nicht bekannt, zumindest nicht zu dem Zeitpunkt, als das überraschende Ereignis wahrgenommen wurde. Hätte die Regel bereits als Wissen vorgelegen, dann wäre das Ereignis nicht überraschend gewesen. Im zweiten Teil des abduktiven Prozesses wird also eine bislang noch nicht bekannte Regel entwickelt. Der dritte Schritt erbringt dann zweierlei: zum einen, dass das überraschende Ereignis ein Fall der konstruierten Regel ist, zum anderen, dass diese Regel eine gewisse Überzeugungskraft besitzt.

Peirce charakterisierte Abduktion im Gegensatz zu den Schlussweisen der Deduktion und der Induktion folgendermaßen:

Abduktion ist jene Art von Argument, die von einer überraschenden Erfahrung ausgeht, das heißt von einer Erfahrung, die einer aktiven oder passiven Überzeugung zuwiderläuft. Dies geschieht in Form eines Wahrnehmungsurteils oder einer Proposition, die sich auf ein solches Urteil bezieht, und eine neue Form von Überzeugung wird notwendig, um die Erfahrung zu verallgemeinern.
Deduktion beweist, dass etwas sein muss; Induktion zeigt, dass etwas tatsächlich wirksam ist; Abduktion deutet lediglich daraufhin, dass etwas sein kann.“ („Deduction proves that something must be; Induction shows that something actually is operative; Abduction merely suggests that something may be.“ (Collected Papers, CP 5.171)

Biographieforschung im Diskurs

10.1007/978-3-8348-9160-0_4 Bettina Völter, Bettina Dausien, Helma Lutz und Gabriele Rosenthal Triangulation von Fallrekonstruktionen: Biographie- und Interaktionsanalysen

Michaela Köttig

Auszug

Das Vorgehen im Forschungsprozess einer qualitativen Studie beinhaltet häufig die Kombination unterschiedlicher methodischer Zugänge und die Einbeziehung verschiedener Quellen. In der Tradition der ethnographischen Feldforschung findet vor allem die Verknüpfung unterschiedlicher Erhebungsmethoden breite Anwendung (vgl. Hammersley/Atkinson 1983; Hirschauer/Amann 1997; Lüders 2000). Die Integration oder Kombination unterschiedlicher Daten, Methoden und Theorien im Forschungsprozess wird in der methodologischen Diskussion üblicherweise mit dem Begriff ‚Triangulation‘ (vgl. Denzin 1970/1978; 1989; Flick 1992; 1995; 1998; 2000; Fielding/Fielding 1986;Marotzki 1995; Kelle/Erzberger 1999) bezeichnet. Dieser Begriff wurde von Denzin (1970; 1978) in die Diskussion um die Anwendung qualitativer Methoden eingeführt und von ihm zunächst als Strategie zur Validitätsmaximierung diskutiert.