Luc Boltanski über den neuen Professorentypus

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FORSCHUNG UND LEHRE Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.11.2007, Nr. 264, S. 41

Schicksal Projekt Luc Boltanski über den neuen Professorentypus

In dieser Zeitung ist darauf hingewiesen worden, dass die Exzellenzinitiative gewissermaßen unseriöses Geschäftsgebaren praktiziert, indem sie nicht bestehende, sondern zu entwickelnde Ideen honoriert. Es gibt in weiten Bereichen der Wissenschaft keine Kontrolle der Leistungen mehr, sondern nur noch eine der Versprechungen. Die damit verbundene "maßlose Geschäftigkeit", hieß es, müsse nun vorerst ein Ende haben (F.A.Z. vom 19. Oktober 2007). Die von der Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz geforderte "Verstetigung" der Exzellenzinitiative erscheint nicht nur Journalisten als Schreckensvision. Tatsächlich aber steht zu befürchten, dass es keine Besinnungspause geben wird, dass vielmehr die Daueraktivität in der "unternehmerischen Universität" zunehmend selbst als "zielführend" betrachtet werden wird.

Der Soziologe Luc Boltanski, Forschungsdirektor an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris, hat jetzt im Mittelpunkt der neuen Rechtfertigungsformen der Ideologie des Unternehmerischen eine "Kultur des Projekts" ausgemacht, die sich immer mehr auf historisch vom Kapitalismus verschonte Berufsfelder ausdehne (Leben als Projekt. Prekarität in der schönen neuen Netzwelt, in: Polar, Heft 2, 2007). Analog zur in der Managerliteratur propagierten "projektbasierten" Unternehmensstruktur, "in der eine Vielzahl von Projekten völlig unterschiedliche Personen zusammenbringt, die zum Teil auch an mehreren Projekten gleichzeitig arbeiten", gewinnt im Rahmen der sogenannten Exzellenzcluster der projektorientierte Professor an Statur. Sein Prestige leitet sich nicht mehr von der Qualität seiner Lehr- und Forschungsleistungen her, sondern vorwiegend quantitativ vom Maß seiner Aktivitäten, insbesondere wenn sie sich in Drittmitteln niederschlagen.

Vom Sozialen her bestehe diese Aktivität darin, "sich in Projekte einzufügen und die eigene Isolierung zu überwinden". Der projektorientierte Professor ist risikobereit, autonom und zugleich anpassungsfähig. Er weiß zu vermeiden, dass ihm die Projekte ausgehen, er wird immer etwas in Vorbereitung haben und sicherstellen, dass er je zu mindestens einer Gruppe gehört, "die der Wille, etwas zu unternehmen, zusammenbringt". Er ist stolz auf seine Siebzigstundenwoche und verlangt eine solche von jedem, der bei ihm etwas werden will. Seine bevorzugte Publikationsform ist der von ihm selbst herausgegebene Sammelband, die Zahl seiner oft in Koautorschaft verfassten Aufsätze bewegt sich im dreistelligen Bereich, während die Form der Monographie meist auf die beiden Qualifikationsschriften beschränkt bleibt.

Mit dem wachsenden Ansehen des projektorientierten Professors sinkt dasjenige des in sich gekehrten, in Gedanken und nicht in Netzwerken befindlichen Forschers älterer Prägung, der nicht auf das antiquierte Ideal der selbstbestimmt praktizierten Gelehrsamkeit verzichten will. Wer sich das Vertrauen einer Gruppe nicht erwerben kann oder will, ist Boltanski zufolge von "Exklusion" bedroht. Ein geringschätziger Sprachgebrauch hat sich in der Hochschule längst eingebürgert. Wer einem umfangreichen individuellen und auf lange Dauer angelegten Forschungsvorhaben nachgeht, wie einst Niklas Luhmann in seiner Theorie der Gesellschaft ("Dauer: dreißig Jahre, Kosten: keine"), der "wurstelt vor sich hin". Selbst an Universitäten, deren Ruf sich auch auf Namen wie diejenigen Luhmanns, Karl Heinz Bohrers, Hans Blumenbergs oder Dieter Henrichs gründet, ist man inzwischen - je besser das Abschneiden im Exzellenzwettbewerb desto mehr - überzeugt, dass man sich solche Figuren kaum noch leisten kann.

Die Daueraktivität des projektorientierten Professors mit ihrer Explosion von Besprechungserfordernissen, wie sie der Bürokratisierung der akademischen Abläufe im Bologna-System noch dazukommt, erfordert vor allem Gewandtheit im Auftreten, gute Laune, Flexibilität und Verfügbarkeit. Manch einer trägt schon mehrere Mobiltelefone bei sich, für jedes Projekt eins. Wer sich als Familienvater oder in sozialen und kulturellen Institutionen gebunden hat, gilt schnell als inflexibel und unbrauchbar. Derart dringt die Kultur des Projekts in die Privatsphäre wie ins außerberufliche Sozialleben ein.

Glücklich wird nach Boltanskis Vermutung damit auf die Dauer niemand. Der Schüler Pierre Bourdieus prophezeit den europäischen Gesellschaften vielmehr die Herausbildung eines neuen Felds sozialer Kämpfe, auf dem der "Prekarität der beruflichen Situation" immer öfter zermürbend die "Prekarität der persönlichen Situation" entsprechen wird. Dem wird auch der vereinheitlichte europäische Hochschulraum nicht entrinnen. Die Akademie als Lebensform wird, vor allem in den Geisteswissenschaften, in dieser zweckrationalen Reorganisation sozialer Beziehungen sehr schnell die Reste ihrer außeralltäglichen Besinnungsrefugien einbüßen - und damit ein nicht zu unterschätzendes Quantum an Anziehungskraft für exzellente, weil gedankenreiche Köpfe.

FRIEDMAR APEL.

Friedmar Apel lehrt Literaturwissenschaft an der Universität Bielefeld.


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