Intellektuellendämmerung - Zur Lage der Frankfurter Intelligenz in den 20er Jahren (Wolfgang Schivelbusch)

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von Victoria Wendt

Die Universität

Anfang der 20er Jahre wurde in Frankfurt der erste Lehrstuhl für Soziologie von Karl Kotzenberg gestiftet und mit Franz Oppenheimer besetzt. (Ab 1930 übernahm dieses Karl Mannheim.) Bekannte Soziologen, wie Erich Fromm, Theodor Wiesengrund Adorno, Leo Löwenthal und Herbert Marcuse waren zu dieser Zeit alle in Frankfurt vertreten und sie alle teilten den gleichen weltanschaulichen Konsensus, dass die Soziologie der Schlüssel und Gipfel aller Erkenntnis sei und die übrigen Wissenschaften ihr als Hilfswissenschaften zur Seite stünden. Die Gegenpositionen zur Frankfurter Soziologie bildete die Gruppe der Georgianer (Anhänger Stefan Georges), für welche die hier betriebene Soziologie das beste Beispiel für eine dem wahren Sein entfremdeten Seinsweise sei (Stichwort: Relativismus). Für die Soziologen hingegen war die georgianische Weltanschauung „ein Paradebeispiel von Ideologie, die es zu durchschauen und auf den gesellschaftlichen Kern zurückzuführen galt“

Die akademische Mitte in der Frankfurter Universität war (im Vergleich zu anderen deutschen Universitäten) nicht ganz so beherrschend, was an ihren Gründungsumständen lag. In Frankfurt gab es eine weit zurückreichende Tradition bürgerlicher Stiftungen (aus der, neben fast allen kulturellen und wissenschaftlichen Einrichtungen, auch die Universität hervorging), was ihr organisatorische und finanzielle Unabhängigkeit vom Staat garantierte. Außerdem konnte ein unkonventioneller Gelehrter, der von der Zunft abgelehnt wurde aber von einer breiten Öffentlichkeit von Gebildeten interessiert zur Kenntnis genommen wurde eher hier eine Aufnahme finden, als an irgendeiner anderen deutschen Universität.

Bereits 1891 wurde das „Institut für Gemeinwohl“ von Wilhelm Merton ins Leben gerufen. 1920 erfolgte dann die Gründung der „Herrmann-Weil-Stiftung“ welche 1923 von seinem Sohn Felix als „Institut für Sozialforschung“ übernommen wurde. Der Zweck, den alle drei Institute verfolgten blieb im Kern immer der gleiche. Sie waren dazu bestimmt (parteiunabhängig) soziale Bewegungen in Raum und Zeit in allen Erscheinungsformen festzustellen und ursächlich zu klären.

Auf der Suche nach dem verlorenen Judentum – Das Freie Jüdische Lehrhaus

Die jüdische Gemeinde in Frankfurt zählte nach dem 1.Weltkrieg 30.000 Mitglieder (6% Der Frankfurter Bevölkerung) und war die zweitgrößte nach Berlin. In diesen Zahlen nicht mit inbegriffen waren die sogenannten „Ostjuden“, die, auf der Flucht vor den Pogromen in Polen, in Frankfurt Zwischenstopp auf dem Weg zur Ausreise in die USA machten oder hier einen Wohnsitz mit einer Art Gastarbeiter-Status besaßen. Von ihnen grenzten sich die deutschen Frankfurter Juden deutlich ab, waren sie doch im Laufe des 19.Jahrhunderts der deutschen Kultur immer näher gewesen als der jüdischen. Intern unterschied man sogar den „unkultivierten Ostjuden“ vom „kultivierten Westjuden“, allerdings wurde diese Unterscheidung von der Gesellschaft nicht honoriert und so kam es zu einer Revision des Bildes welche eine zionistische Bewegung, eine jüdische Form des Nationalismus, zur Folge hatte. Die Entdeckung eines spezifisch jüdischen „Volkstums“ sollte bald gefolgt werden von der Umwertung des „Ostjüdischen“ als die authentische und vitale Kultur, wurde doch die westliche jüdische Kultur nach jahrhunderte langer Assimilation nicht mehr als lebendig empfunden.

In dieser Zeit wurde auch das „Freie Jüdische Lehrhaus“ gegründet (Eröffnung 1920), welches von Franz Rosenzweig geleitet wurde (bis 1929). Dieser hatte die Vorstellung von einer jüdischen Volksbildung, bei der sich der Bildungsprozess von unten nach oben vollziehen sollte, also ein gleichberechtigtes und austauschbares Verhältnis zwischen dem aktiven Lehrer und der passiv rezeptiven Schülerschar. (Dieses Bildungsideal hat sich letztendlich nur im kleinen Kreise um Rosenzweig verwirklicht.) Seit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wurden die deutschen Juden brutal auf ihr Judentum verwiesen und ihnen blieb, durch Ausschluss aus allen kulturellen und gesellschaftlichen Beziehungen, oft nur die Hinwendung zu ihrer Existenz als Juden. Das Lehrhaus, welches unter diesen Umständen 1933 neu eröffnet wurde, bestand bis 1938 als solches und galt als existentieller Ort der Begegnung und kulturelles Überlebenszentrum für die Frankfurter Juden.

Die Frankfurter Zeitung

1856 gegründet hatte sie nie eine Massenauflage (auch nicht in ihrer Blütezeit vor 1914), ihre Auflage ging eher stetig zurück, als „getreues Barometer für den Zerfall der bürgerlichen Schichten“. Ihre Leserschaft setzte sich aus je einem Viertel zusammen aus Frankfurt, der nächster Umgebung, dem gesamten Reichgebiet und dem Ausland. Moderne Züge in der Frankfurter Zeitung der 20er waren vor allem Filmkritiken und Reportagen Siegfried Kracauers, Rezensionen Walter Benjamins und Reportagen von Joseph Roth und Bernhard von Brentano. Das eigentliche intellektuelle Geschehen spielte sich jedoch im Feuilleton ab. Auf der einen Seite stand der politisch und soziologisch unbefleckte traditionelle Feuilletonismus (aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg) von Rudolf Geck und Bernhard Diebold, welche wenig Interesse an den kulturellen und intellektuellen Strömungen der Nachkriegszeit bekundeten und auf der anderen Seite ihr genaues Gegenstück, Siegfried Kracauer mit seinem politischen Feuilletonismus, die „zweifellos überlegenste Begabung im Feuilleton der FZ“ (Ernst Erich Noth). Die Frankfurter Zeitung war in den 20er Jahren ein bedeutendes oder sogar das bedeutendeste Organ des politischen Feuilletonismus. 1928 stand sie vor dem wirtschaftlichen Ruin und war nur durch die finanzielle Beteiligung Dritter zu retten. Um 1930 folgte dann eine plötzliche Wandlung in weltanschaulicher Orientierung als auch in äußerer Form, sie wurde quasi „entideologisiert“ und beschränkte sich fortan nur noch auf Tatsachenmitteilungen, was unter anderem auf die finanziellen Transaktionen der Gruppe um Carl Bosch (damals Vorstandvorsitzender der I.G. Farben) zurückzuführen ist. Kurz darauf, 1931, erfolgte nach 30jähriger Tätigkeit die Entlassung des dienstältesten Redakteurs Arthur Feiler die Redaktionskollege Siegfried Kracauer in seinem Roman „Georg“ literarisch darstellt und verarbeitet. Er gilt als Abrechnung mit der Gesellschaft der 20er Jahre im Allgemeinen und mit der Frankfurter Zeitung im Besonderen.

Radio Frankfurt

Die Südwestdeutsche Rundfunk A.G. (kurz Radio Frankfurt) wurde 1923 von einem Kaufmann, einem Physiker, einem Automobilfabrikant, einem Ingenieur und einem ehemaligen Jagdflieger in Frankfurt gegründet. Es bestand bis zur Rundfunkreform, d.h. Verstaatlichung, 1932. Die Genres des Radios umfassten Reportagen, neue Musik, Hörspiele und das freie Streitgespräch. Hans Flesch (Zuständiger für die Programmgestaltung) erkannte als erster der Rundfunkpraktiker der 20er Jahre den „Intellektualisierenden Charakter“ des Radios. Er war überzeugt davon, dass die Sendung das Gesendete in ihrem Wesen verändert, daher forderte er vom Rundfunk eine „funkspezifische“ Reproduktion von Realität. Als Beispiel hiefür dient die Sendung „Verirrte Mikrophone“, ein Versuch das Großstadtleben akustisch einzufangen. In diesem Zusammenhang entstand auch die 1. Sportreportage (‚moderiert’ von Paul Laven) im deutschen Rundfunk während einer Ruderregatta auf dem Frankfurter Main. Bei der Sendung „Studienkonzert“ sollte die intellektuelle Seite der Musik kultiviert werden, mit Hilfe von Einführungen Theodor Wiesengrund Adornos in darauf folgende Werke zeitgenössischer Komponisten. Dann gab es da noch das Hör- und Sendespiel, Spielereien mit Tönen und akustischen Illusionen und Desillusionen; und das Hörspiel, als soziologisches Experiment und Lehrstück, welches Situationen aus dem Alltagsleben behandelte und mit anschließender Möglichkeit zur Diskussion. Auf dem Gebiet der Radiovorträge, von denen Walter Benjamin zwei gehalten hat, war das Radio Frankfurt alles andere als fortschrittlich. Sie glichen eher dem Vortragswesen, als dem frei gesprochenen Radioessay.


Zum Kapitel „Der Goethe Preis und Siegmund Freud“ ist nur zu vermerken, dass dieser jenen Preis 1930 mit viel Diskussion und Kritik (und einer nicht einmal annähernd einstimmigen Abstimmung) erhielt, für welchen man ihn ein Jahr zuvor, 1929, noch vehement abgelehnt hatte. Es werden Wege und Richtungen dieser Diskussion beschrieben.

Das letzte Kapitel beschäftigt sich ausführlich mit dem Ende des Instituts für Sozialforschung 1933 und dessen Verbleib, sowie dem des Inventars und der Leitung, während der Zeit der Nationalsozialistischen Diktatur.



Schivelbusch, Wolfgang: Intellektuellendämmerung: zur Lage der Frankfurter Intelligenz in den 20er Jahren. - 1. Aufl. - Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1985