Soziologisches Denken
Soziologisches Denken
Gedenkveranstaltung zum Tod des Frankfurter Soziologen Karl Otto Hondrich Donnerstag, 21. Juni 2007, 10-19 Uhr, Johann Wolfgang-Goethe Universität, Festsaal des Studierendenhauses, Campus Bockenheim
Veranstalter: Institut für Gesellschafts- und Politikanalyse am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften
Wissenschaftliche Leitung: Prof. Dr. Klaus Lichtblau (Geschäftsführender Direktor des Instituts für Gesellschafts- und Politikanalyse)
Vorträge
Wolfgang Glatzer (Frankfurt am Main), Persönliche Erinnerungen an Karl Otto Hondrich
Bernhard Giesen (Konstanz), Skandaltheater
Johannes Weiß (Kassel), Mensch und Dasein
Gerhard Preyer (Frankfurt am Main), Soziologisches Denken
Mathias Bös (Marburg), Ethnizität: Zum Individualisierungspotential kollektiver Sozialformen
Richard Münch (Bamberg), Die Dialektik von transnationaler Integration und nationaler Desintegration
Ulrich Oevermann (Frankfurt am Main), Säkularisierung und Fundamentalismus im gegenwärtigen Islam
Geleitwort zum Gedenken an Karl Otto Hondrich (1.9.1937-16.1.2007)
Karl Otto Hondrich gehörte zu denjenigen Soziologen, die mit dazu beigetragen haben, dass dem Fach Soziologie nach der sterilen Aufgeregtheit der bewegten 1968-Jahre und den damit notwendig verbundenen Verletzungen und Enttäuschungen auch in einem seriös-fachwissenschaftlichen Sinn wieder eine neue Aufmerksamkeit in einer breiteren Öffentlichkeit zuteil wurde. Er hat damit in einer weit über den Wissenschaftsstandort Frankfurt hinaus reichenden Weise entscheidend das Bild der bundesrepublikanischen Soziologie als einer Disziplin geprägt, die grundlegende Einsichten in den Verlauf der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung mit einer öffentlichkeitswirksamen Präsentation ihrer konkreten Forschungsergebnisse fruchtbar miteinander zu verbinden vermag. Seine eigenen soziologischen Forschungen, die er seit 1972 an der Universität Frankfurt auch in einer sehr gewinnbringenden Art und Weise in seinen zahlreichen, meist überfüllten Lehrveranstaltungen einzubringen vermochte, behandelten dabei in erster Linie zentrale Probleme der Gegenwartsgesellschaft wie z.B. die zunehmende Individualisierung der Lebensläufe, Veränderungen im Bereich der sozialen Sicherheit, neuere Entwicklungen innerhalb der Sphäre der globalen, heute meist asymmetrischen Kriegsführung sowie den das Ansehen der politischen Elite unseres Landes immer wieder erschütternden Skandalen, die mitverantwortlich für die zunehmende Parteienverdrossenheit innerhalb unserer Bevölkerung sind. Hondrichs Erkenntnisinteresse bestand in diesem Zusammenhang darin, jene kulturell geprägten sozialen Beziehungen, denen wir einen Eigenwert zuzusprechen geneigt sind, auf tieferliegende elementare Prozesse der Sozialität zurückzuführen. Er hat dabei insbesondere die vergesellschaftende Rolle der persönlichen Gefühle und der sozialen Konflikte in der Tradition der Werke von Emile Durkheim, Georg Simmel und Talcott Parsons untersucht, um dadurch soziale Ereignisse wie zum Beispiel den ausufernden Nationalismus, den neueren Ethnozentrismus und die regelmäßig wiederkehrenden politischen Skandale, die uns als Mitglieder einer aufgeklärten Öffentlichkeit oft unverständlich bleiben und deshalb unser an „vernünftigen“ Idealen orientiertes Gesellschaftsbild zunehmend erschüttern, einer soziologischen Erklärung zuzuführen. Sein besonderes Interesse galt dabei einer entsprechenden, auf der Höhe der Zeit stehenden Kritik an der klassischen sozialwissenschaftlichen Modernisierungstheorie und einer Veranschaulichung des zentralen Stellenwerts von kollektiven Identitäten in der Moderne. Er wirkte damit entscheidend einer immer noch weit verbreiteten Meinung entgegen, dass die Gesellschaft etwas sei, das man grundsätzlich perfektionieren könne. Indem Hondrich entsprechende Erwartungen immer wieder durch konkrete empirische Analysen eindrucksvoll zu erschüttern vermochte, stellt sein eigenes soziologisches Werk einen bleibenden Beitrag zur Tradition einer im wahrsten Sinne des Wortes politisch unvoreingenommenen soziologischen Aufklärung dar.