Die theoretische Vorbereitung der 68er-Bewegung
Entsprechend dem Wunsch „an der Erziehung der jungen Generation in Deutschland mitzuwirken und, entgegen dem Zug der verwalteten Welt, wie Adorno sie taufte, den autonomen Gedanken in unseren Studenten zu entfalten, unbekümmert um das statistische Ausmaß seiner Möglichkeiten“ schafften Horkheimer und Adorno in den 1960er Jahren durch Publikationen und der Nähe zu den Studenten dieses Verlangen zu verwirklichen.
Hierbei scheint vor allem die Kritische Theorie als Nähstoff für die Gedanken und schließlich kämpferischen Okkupationen der Hochschüler gedient zu haben. Theoretische Denkmodelle, Auffassungen, Begrifflichkeiten und Ideen wurden von der antiautoritären Protestbewegung aufgegriffen und für ihre eigne Propaganda verwendet. Ob dies in einem solchen Ausmaß von Horkheimer und Adorno beabsichtigt war, lässt sich im Nachhinein nicht wahrheitsgemäß überprüfen, mit Sicherheit lässt sich im Bezug auf das oben angeführte Zitat jedoch eine Art psychologischer und instrumenteller Versuch ausmachen, wie es in dem Buch „Die Welle“ beschrieben ist. Die jungen Akademiker testen, verifizieren oder verwerfen die aufgestellten Thesen der Theoretiker, zu denen auch Fromm und Marcuse gezählt werden können.
Aus dem Fundament dieser Denkmodelle erhob sich eine Bewegung reaktionärer Macher, die sich oftmals durch eine charismatische Selbstdarstellung heroisch ins Rampenlicht rückten.
Gleich welche Eingebung hinter den theoretischen Denkmodellen Adornos und Horkheimers, aber auch Marcuses und Fromms stehen mochten, de facto zeigten sie eine enorme Auswirkung in den 1960er Jahren, als die Studentenbewegung revolutionär und aggressiv den Autoritäten gegenüber stand. Mans schätzt jedoch, dass die willensstark reaktionär aufkommende Bewegung erst Ende 1967 durchbrach und Flugblätter, Zeitungsartikel, Teach-Ins und erste Demonstrationen verstärkt über die Denkmodelle aufklärten und informierten. Werke wie „Student und Politik“ gaben laut Mans den jungen Akademikern Nahrung zur Meinungsbildung. Er beschreibt in seinem von uns durchgeführtem Interview sehr schön, dass es zu den bekannten Texten zwar auch akademische Auseinandersetzungen gab, moralische Bewertungen allerdings außerhalb der Vorlesungsräume verliefen. Diese Aussage zeigt, dass es bei der Protestbewegung weniger um realistische und wahrheitsliebende Fakten ging, als mehr um die aufständischen Proteste an sich, die Revolte gegen die bestehenden Gesellschaftsverhältnisse.
Im Institut für Sozialforschung an der Goethe-Universität wurde zu der damaligen Zeit unter Horkheimer, Adorno und von Friedeburg eine kritische Soziologie betrieben, die es leicht ermöglichte, in die Praxis umgesetzt zu werden. Dies verleugneten die Autoren der Kritischen Theorie auch nicht explizit, jedoch nehmen sie Abstand zu den Pfaden der praktischen Umsetzung.
Nichts desto trotz stützte sich die theoretische Vorbereitung der Studentenrevolte im wesentlichen auf die negative Dialektik, wobei weitere gesellschaftskritische Werke zusätzlich Brennstoff waren für die damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse. Grundeinstellung war, sich von allen möglichen autoritären Abhängigkeiten zu lösen. Ob dies nun die Beziehung zwischen Staat und Individuum, Eltern und Kind, oder Professor zu Student war. Jegliche Unterwerfung und Ungleichheit sollte bekämpft werden. Abhängigkeitsverhältnisse die zuvor als positiv, oder zumindest üblich empfunden wurden, da sie sich aus der Entwicklung der modernen Menschheit ergaben, sollten ihre Gültigkeit verlieren und untergraben werden. Entsprechend mussten neue Gesetzmäßigkeiten geschaffen und alte Gesellschaftsverhältnisse ausgelöscht werden.
Hans-Jürgen Krahl, ein Schüler Adornos, galt als einer der theoretischen Verfechter der Studentenrevolte. Er ging davon aus, „dass der Monopolkapitalismus die kapitalistische Zirkulationssphäre beseitigt hatte.“ Bezug nahm er mit dieser These auf Horkheimers Aufsatz Autoritärer Staat, den dieser 1940 verfasste. Durch die Beseitigung der Zirkulationssphäre wandelte sich die Konstellation der gesellschaftlichen Bedingungen. Liberalkapitalistische Grundvoraussetzungen seien durch die deliberalen Austauschbedingungen ungleicher Tauschpartner in der Marktwirtschaft nicht mehr gegeben und verlierten als Legitimationsgrundlage des modernen Rechtsstaates ihre Aufgabe. Die Regierenden behalten durch ihre Staatsintervention die Oberhand und verhindern durch die Steuerung des Kapitals Revolutionen. Gleichwohl ist jederzeit eine Diktatur möglich. Diese Aufhebung des liberalen Kapitalismus, wie Marx ihn propagierte, sei nicht mehr gegeben.
Krahl versucht durch diese verstärkt kapitalismuskritische Weiterführung Horkheimers Gedanken, eine Umwälzung des bestehenden Monopolkapitalismus mit Hilfe eines theoretischen Grundgerüstes einer möglichen Revolution zu entfachen. Zugleich erfüllt das revolutionäre Handeln alle drei Eigenschaften der Kritischen Theorie: „sozialpsychologisch ist es antiautoritär und nonkonformistisch, politisch ist es die systematisch begründete, voluntaristische, bestimmte Negation bestehender Herrschaftsverhältnisse, philosophisch ist es erkenntniskritisch-praktisch an der Konstitution einer neuen Gegenstands- und Erfahrungswelt orientiert.“