Hans-Jürgen Krahl
Hans-Jürgen Krahl (* 17. Januar 1943 in Sarstedt bei Hannover; † 13. Februar 1970 bei Marburg) war ein bekannter Studentenaktivist der 68er-Bewegung, bekanntes SDS-Mitglied und Schüler von Theodor W. Adorno.
Leben
Krahl stammt aus kleinbürgerlichen Verhältnissen, seine Eltern waren beide kaufmännische Angestellte. Als kleines Kind verlor er bei einem Bombenangriff ein Auge. Krahl war nach eigenen Angaben Mitglied im Ludendorffbund, zu Beginn seines Studiums von Philosophie, Germanistik, Mathematik, Geschichte in Göttingen trat Krahl in eine Burschenschaft ein. 1961 gründete er in Alfeld eine Ortsgruppe der Jungen Union und wurde Mitglied der CDU. Nach einem Streit mit einem Alten Herrn seiner Burschenschaft wurde er aus der Verbindung ausgeschlossen und brach radikal mit seiner politischen Vergangenheit.
Schon 1964 trat er dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) bei und 1965 begann er bei Adorno seine Dissertation zum Thema „Naturgesetz der kapitalistischen Bewegung bei Marx“. Krahl war der einzige Student und Mitarbeiter, den er als gleichwertigen Gesprächspartner akzeptierte. Denn Krahl hatte ein hervorragendes Gedächtnis, eine schnelle Auffassungsgabe, war hochgebildet und sehr redegewandt. Der Bruch mit der Vaterfigur Adorno kam nach vier Jahren. Wegen einer Besetzung des Instituts für Sozialforschung am 7. Januar 1969 verfügten Adorno und seine Kollegen die Räumung durch die Polizei. In dem folgenden Prozess gegen ihn am 18. Juli 1969 war Adorno als Zeuge geladen. Doch es kam dabei nicht zu der von Krahl erhofften Grundsatzdebatte mit dem wichtigsten Theoretiker der Kritischen Theorie. Allerdings hatten Adorno diese und ähnliche Auseinandersetzungen erheblich mitgenommen und gesundheitlich zugesetzt; er starb drei Wochen später.
Krahls Popularität wurde am 13. September 1968 bei einer SDS-Delegiertenkonferenz in Frankfurt zum unfreiwilligen Anlass für den Beginn der zweiten Welle der deutschen Frauenbewegung. Nachdem die unangemeldete Rede von Helke Sander zur Befreiung der Frauen diskussionslos unterzugehen drohte, kam ihr die Berlinerin Sigrid Rüger (1939-1995) zu Hilfe. Sie rief ihm dort vor dem versammelten Auditorium zu: „Genosse Krahl, du bist objektiv ein Konterrevolutionär und ein Agent des Klassenfeindes dazu.“ Zur Bekräftigung ihrer Kritik warf sie ihm eine Tomate entgegen. Krahl reagierte daraufhin sichtlich beeindruckt und verstört.
Am 16. Oktober 1969 begann in Frankfurt abermals ein Prozess gegen Hans-Jürgen Krahl zusammen mit den SDS-Vorständlern Günter Amendt und Karl Dietrich Wolff wegen „Aufruhr“, „Rädelsführerschaft“ und Landfriedensbruch bei der Demonstration gegen die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an den senegalesischen Präsidenten Senghor, die am 22. September 1968 stattgefunden hatte. Am 24. Dezember 1969 wurden die drei Angeklagten zu jeweils einem Jahr und neun Monaten Gefängnis verurteilt. Allerdings mussten sie nicht ihre Haft antreten, da Krahls Revisionsantrag stattgegeben wurde.
Am späten Abend des 13. Februar 1970 kam er im Alter von 27 Jahren bei einem Autounfall auf einer vereisten Fahrbahn der Bundesstraße 252 vor Marburg ums Leben. Er wurde auf dem Friedhof von Hannover-Ricklingen begraben. Sein plötzlicher Tod gab auch den letzten Anstoß für die mittlerweile heillos zerstrittenen SDS-Mitglieder, ihren Dachverband aufzulösen. Nachdem man sich schon während seines Begräbnisses informell darauf einigte, folgte am 21. März 1970 in Frankfurt das offizielle Ende. Krahls bereits eingeebnete Grabstelle war in Gefahr, im August 2005 neu belegt zu werden, weil keine Verwandten mehr leben, die sich um den Erhalt hätten kümmern können. Hannovers damaliger Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg gewährte eine Sicherung seines Grabes zu sowie eine Kostenbeteiligung.[2] Ein Freundeskreis sammelte Geld für die Grabpflege und errichtete am 27. Juni 2007 einen von Uwe Spiekermann entworfenen Grabstein.[3] Die Rede bei der Enthüllung des Krahl-Denkmals hielt der Adorno-Biograph Detlev Claussen in Hannover, er hielt bereits bei der Beerdigung Krahls die Gedenkrede.
Im Frühjahr 2007 wurde mit dem Aufbau des Hans-Jürgen Krahl Archivs begonnen; im Anschluss an die Gedenkfeier gründete man einen Trägerverein für ein Krahl-Archiv in Frankfurt am Main. Die Stadt Frankfurt hat eine Anschubfinanzierung für das Jahr 2007 zur Verfügung gestellt. Der laufende Archivbetrieb ist damit weiterhin noch auf Spenden angewiesen.
Zitate
- Müdigkeit spürte er keine, nur war es ihm manchmal unangenehm, dass er nicht auf dem Kopf gehen konnte.
aus: Georg Büchners Erzählung Lenz. Diese Sentenz war Krahls Lieblingssatz.
- In Krahl, da hausen die Wölfe.
- Er war der Klügste von uns allen.
Rudi Dutschke
Werke
1971: Konstitution und Klassenkampf. Zur historischen Dialektik von bürgerlicher Emanzipation und proletarischer Revolution. Schriften, Reden und Entwürfe aus den Jahren 1966 - 1970. Frankfurt a.M.: Neue Kritik, 406 S., eine Neuauflage erschien im Oktober 2005 → Ausschnitte
1979: Erfahrung des Bewußtseins. Kommentare zu Hegels Einleitung der Phänomenologie des Geistes und Exkurse zur materialistischen Erkenntnistheorie. Hrsg. und bearb. von Carl G. Hegemann nach der Bandaufzeichnung der Arbeitsgruppe von H.-J. Krahl und J. Wieszt vom Frühjahr 1968. Frankfurt a.M.: Materialis, 140 S., ISBN 3-88535-016-5
1984: Vom Ende der abstrakten Arbeit. Die Aufhebung der sinnlosen Arbeit ist in der Transzendentalität des Kapitals angelegt und in der Verweltlichung der Philosophie begründet. Hrsg. u. eingeleitet von Walter Neumann. Frankfurt a.M.: Materialis, 220 S., ISBN 3-88535-075-0
Literatur
Reinecke, Helmut: Für Krahl (Acht Arbeitshypothesen), 1973
Zwerenz, Gerhard: Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond. Roman. S. Fischer, Frankfurt a.M. 1973, 374 S.
- literarisches Vermächtnis und Erinnerung an Krahl
Neumann, Walter G.: Selbstaufklärung und Lust heute. Haag und Herchen, Frankfurt a.M. 1991, 504 S.
enth.: Buch 1. Denken wie Marx. Buch 2. 1. und 2. Natur