Die Universitätsstudie in den 50er Jahren – Erste Zusammenarbeit Tenbrucks mit dem Institut für Sozialforschung
Im Zusammenhang mit einer Universitätsstudie des Instituts für Sozialforschung arbeitete Tenbruck in den 50ern erstmals mit dem Institut zusammen. Außerdem war er zu diesem Zeitpunkt Horkheimers Assistent. Dies zeigt, dass die Assistenten nicht unbedingt der gleichen Soziologischen Schule angehören mussten wie ihre Professoren. Eine andere Einstellung des Mittelbaus wurde anscheinend eher respektiert als bei einem Professor. Aber auch hier gibt es eine Unregelmäßigkeit in Tenbrucks Karriere. Es ist üblich, dass man sich bei dem Professor habilitiert, bei dem man seine Assistenzzeit absolviert hat. Tenbruck habilitierte sich aber nicht bei Horkheimer, sondern bei Bergstraesser in Freiburg. Auch hier wird die Diskrepanz zwischen den wissenschaftlichen Ansichten des IFS und Tenbrucks deutlich.
Friedrich Heinrich Wilhelm Tenbruck wurde am 22. September 1919 in Essen geboren. Nach dem Abitur studierte er Philosophie, Geschichte und Germanistik an den Universitäten Freiburg, Berlin, Greifswald, Köln und Marburg. 1944 erhielt Tenbruck sein Diplom. In der Zeit von 1943 bis 1945 diente er als Soldat der deutschen Wehrmacht. Er war aber ein Gegner des Nationalsozialismus und gehörte der Bündischen Jugend an. Nach dem Krieg arbeitete er bis 1949 als wissenschaftliche Hilfskraft an der Universität Marburg. 1950 bis 1951 studierte er die Sozialwissenschaften an der Universität von Virginia. 1953 bis 1956 arbeitete er an dem Institut für Sozialforschung in Frankfurt. Von 1953 bis 1956 war er am George-Washington-Institut für vergleichende Sozialwissenschaften in Stuttgart tätig. 1957 erhielt Tenbruck einen Ruf der Hobart and William Smith Colleges in Geneva. Dort hielt er hauptsächlich Vorlesungen über theoretische Soziologie, Familiensoziolgie und die Methoden der Sozialforschung. 1960 ließ er sich zu Forschungszwecken beurlauben. Er erhielt einen Lehrauftrag der Philosophischen Fakultät Freiburg und ein Forschungsstipendium der deutschen Forschungsgemeinschaft. 1963 erhielt er einen Ruf an die Universität Frankfurt. Doch schon 1967 wechselte er an die Universität Tübingen. Dort lebte er bis zu seinem Tode im Jahr 1994.
Im Zusammenhang mit der Hochschulstudie sollten eine Studentenbefragung, eine Befragung von Experten aus der Wirtschaft und eine Befragung von Universitätsprofessoren durchgeführt werden. Die Mitarbeiter des Instituts leiteten dabei aber nur die Befragung der Studenten. Die Befragung der Professoren sollten von Tenbruck und Hans Anger betrieben werden. Die Auswertung ging nur langsam voran, zumal Tenbruck und Anger 1953 nach Stuttgart an das George–Washington–Institut für vergleichende Sozialwissenschaften gegangen waren. Während die Ergebnisse der anderen Befragungen bereits 1956 zur Veröffentlichung vorlagen, wurde der Teil von Tenbruck und Anger erst 1960 veröffentlicht .
Diese zeitliche Verschiebung lag an den Problemen der deutschen Soziologie sich in den 50er Jahre sich zu konstituieren. Die Konkurrenz war innerhalb der Soziologie sehr groß. So kam es, dass mit die Ursache für die Verzögerungen, die Frage nach der Rolle Tenbrucks und Angers im Hochschulprojekt war. Aufgrund der Tatsache, dass Tenbruck und Anger einen Großteil der Studien am George–Washington–Institut für vergleichende Sozialwissenschaften durchführten, welches zu diesem Zeitpunkt unter der Leitung von Eduard Baumgarten stand, erhob dieser einen Anspruch darauf, dass die vollendete Arbeit als eine Kooperation beider Institute veröffentlicht werden sollte. Dies jedoch wollten die Frankfurter Soziologen nicht, da Anger und Tenbruck als Privatdozenten an der Studie teilgenommen hatten und somit das Stuttgarter Institut nichts mit der Studie zu tun hätte. Außerdem war das IFS verantwortlich für die Studie, da dieses von verschiedenen Geldgebern gesponsert wurde. Dem George-Washington-Institut einen Teil der Studie zuzuschreiben, hätte dieses auf- und das IFS abgewertet. Nach langen Disputen kam es dazu, dass das IFS die Hochschulbefragung dem George – Washington – Institut überließ. Somit konnte diese Studie als gescheitert betrachtet werden. Trotzdem hoffte das IFS weiterhin Teile der Studie zu integrieren. Baumgarten hielt dies für unmöglich, da es an Zusammenarbeit mangelte. Darauf antwortete Adorno in einem Brief: „ denn der von Ihnen beanstandete Mangel an Zusammenarbeit ist ja nicht auf uns zurückzuführen, sondern auf die Entschlossenheit Ihrer Gruppe, die Professoren Befragung in eigene Regie zu nehmen. Ohne dass ich im Augenblick das Vergangene aufrühren möchte, darf ich Sie jedenfalls daran erinnern, dass die Lage, die Sie hergestellt haben, unendlich weit entfernt ist von der Intention, über die wir uns damals so leicht verständigten, als Sie mich zum ersten Mal besuchten und darum baten, dass die Arbeit der beiden Herren Tenbruck und Anger, die hier nicht zum Ende gekommen war, bei Ihnen abgeschlossen werden könne.“
Dieser Vorfall könnte auch mit ein Grund für das schlechte Verhältnis zwischen Tenbruck und Adorno sein. Das Verhältnis zwischen Tenbruck und Horkheimer schien nicht weiter gestört. Horkheimer schrieb auch nach den Konflikten mit dem George-Washington-Institut Tenbruck mehrere gute Zeugnisse, die es ihm ermöglichten, eine Stelle in den USA zu erhalten.
Quellen
Adorno an Baumgarten, 28.03.1957, IfSA, Ordner A7,0.
Alex Demirovic: Der nonkonformistische Intellektuelle – Die Entwicklung der kritischen Theorie zur Frankfurter Schule, Frankfurt 1999, S.209 ff.