Biographische Stationen Mannheims

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Biographische Stationen Mannheims

von Felicia Herrschaft


In Mannheims Arbeiten gibt es exemplarische Selbstthematisierungen, die den Status einer Selbstvergewisserung der neuartigen Rolle des soziologischen Forschers besitzen, um die „soziologische Bedingtheit der Methodenlehre“ (StdD: 157) für die Geisteswissenschaften zu fordern. Daraus ergibt sich ein wiederkehrendes Phänomen: die Konstitution des unabhängigen Intellektuellen, des Forschers als Pionier: Der frühe Mannheim enthält darin auch lebensphilosophische Implikationen, in dem wie der Forscher als Forscher nicht nur erfunden wird, sondern sich selbst erfindet, als Entdecker und als Pionier. Mannheim folgt in diesem Erfindungswillen nicht der vom Sinnverlust entzauberten Moderne, sondern betrachtet Philosophie, Leben, Wissen, als ineinander verschränkt und sich wechselseitig bedingend, insofern, „daß die Philosophie in ihren verschiedenen Richtungen jeweils aus einer (zumeist sozial bedingten) Strömung des Lebens erwacht, und für diese Strömung den Pionierdienst leistet, indem sie zunächst in ahnungshafter Vorwegnahme programmatisch das neue Weltwollen formuliert, um aber in der nächsten Etappe wieder in das Leben und die Wissenschaft selbst einzudringen, diese zu durchdringen, in dieser auch sich selbst weiter zu bilden, und erst am Ende die wahre Konkretheit zu erlangen. Sie erreicht aber ihre höchste Stufe erst dann, wenn sie uns aus diesem Eingebettetsein in die Realitäten aus einer späteren Stufe von neuem mit den Mitteln der Reflexion herausgelöst und systematisiert wird.“ (StdD: 166)


Geistige Heimatlosigkeit und Standortlosigkeit als theoretisches Prinzip Mannheims?

Das Welt - und Erkenntniswollen bedeutet für Mannheim, daß der Forscher als Pionier eine besondere Aufgabe zu übernehmen hat, sein ‚Weltwollen‘ zu begründen durch das Ersetzen, „einer abgeblaßten, unglaubhaft gewordenen Weltansicht eine andere zu setzen, anstelle bislang geübter Denkmethoden eine neue zu begründen.“(StdD: 166) Diese Stellen haben einen einführenden Charakter in die Konzeption des Fremden, da Mannheim in bezug auf seine eigene Emigration, das Wechseln und Eintreten in intellektuelle Zirkel, ähnliche Formulierungen findet. Diese Stationen werden nun rekapituliert: Ab 1520 war Ungarn vom Habsburger Reich beherrscht und bis 1686 von Türken besetzt. Nach dem Scheitern der 48er Revolution, die Ungarn versuchten die Unabhängigkeit von Österreich zu erlangen, und dem österreichisch - ungarischen Ausgleich 1867, prosperierte Ungarns Wirtschaft, aber das Land selbst wurde vom Geist feudaler Traditionen und einer kleinen wohlgebildeten Adelsgruppe dominiert und zersplitterte in eine Vielzahl nationaler Minoritäten, die ihre Identitätsansprüche zur Geltung bringen wollten. Gleichzeitig kämpften die Arbeiter um ihre Rechte, insbesondere das Wahlrecht. Budapest selbst war isoliert vom Rest des Landes und entwickelte sich zum Finanz - und Handelszentrum. Das intellektuelle Milieu um 1913 beschränkte sich auf die Universität Budapest und die Akademie der Wissenschaften. „Bernát Alexander complained that philosophical thought in Hungary after 1867 had a one-sided German influence. In intellectual circles more and more protests were heard, not only against feudal traditions, but against the overriding influence of Austria and Germany in the field of culture. Expressions of this protest were Huszadik Század (Twentieth Century), a periodical which first appeared in 1900, and The Society for Social Sciences, organized in 1901. The leaders in the society were also leaders in the periodical...Together with the rising socialism and the workers‘s movement, Huszadik Század and the Society for Social Sciences, coming out of the rising intelligentisia of Budapest‘s wealthy middle class, were of great importance for the development of Hungarian social and political awareness around World War I. In addition to conducting theoretical studies, the members of the Society of Social Science were active in various aspects of political life: they propagandized and fought for universal suffrage, agricultural reform, and minority rigths.“ (Woldring, 1986: 10)


Der Budapester Sonntagskreis

1908 gründete sich der „Galilei-Zirkel“, in dem Schriften von William James und den Neo-Positivisten Mach und Avenarius gelesen und die Freiheit von Forschung und Lehre vertreten wurden. Mannheim war vor seinem Aufenthalt in Berlin Teilnehmer dieser Gruppe. Aus „der Gesellschaft“ und der von Oskár Jászi herausgegebenen Zeitschrift „Das Zwanzigste Jahrhundert“ (Huszadik Század) und getragen vom Budapester Sonntagskreis entstand die „Freie Schule für Geisteswissenschaften“, die geprägt war, nicht von einem linken, sondern mehr von einem naturalistisch, materialistischen Geist. Mannheim und Lukács waren im Budapester Sonntagskreis, der im Herbst 1915 von Georg Lukács und dem Dichter Béla Balázs gegründet wurde, die intellektuell dominierenden Figuren. Dieser Sonntagskreis zeichnete sich durch verschiedene Arbeiten aus, die in dieser Zeit entstanden sind: Lukács „Dramen und Romantheorie“, Balázs „Dramaturgie und Poetik“, Füleps „Vorlesungen über das nationale und universale Element in der Geschichte der Architektur, Bildhauerei und Malerei.“(Karádi, 1985: 14) Mannheims Vortrag in der Freien Schule über „Seele und Kultur“ (1917) wird von Wilhelm Hofmann als Manifest für den Sonntagskreis und die Schule verstanden. Neben kunstphilosophischen Themen erwachte in der Gruppe das Interesse am Historismus und der Weltanschauungsphilosophie, der Interpretationstheorie, Hermeneutik, wissenschaftlicher Methodologie und es wurde an die deutsche Kulturphilosophie angeknüpft, ein konsequenter Antipsychologismus vertreten, der sich „gegen jede Art von Reduktionismus, die Zurückführungsversuche der einzelnen Kulturgebiete auf andere Sphären (Psychologismus, Soziologismus, historischer Materialismus), andererseits aber auch gegen den ‚Panlogismus‘, ‚Begriffsrealismus‘ des Hegelschen absoluten Idealismus“ wendete: „‚Wir halten es für wichtiger, die Kulturobjektivationen in ihrer Gesondertheit zu erkennen, als das Weltbild mit Hilfe einfacher Gedankenschemas zu eigener Beruhigung übereilt in einer Einheit abzuschließen.‘“(Karádi, 1985, 13)

Die Hegelsche Terminologie, die Unterscheidung zwischen absoluten und objektiven Geist wird in vielen Arbeiten verwendet, um Kritik am historischen Materialismus üben zu können. Die „Dostojewski-Notizen“ von Lukács bieten hierfür ein gutes Beispiel, indem die von Seele zu Seele führenden Wege gesucht werden und das „Sichselbstabfinden der Seele“, als das „Finden der Anderen“ dazu genutzt wird, „neben bestehenden Wirklichkeiten mit der Seelenwirklichkeit eine echtere Wirklichkeit entdeckt zu haben.“ (Karádi, 1985: 17) Beeinflußt durch die russische Revolution 1917 gab es in der Zwischenzeit in Budapest einige revolutionäre, spontan und dilettantisch organisierte Splittergruppen, die 1918 die Möglichkeit nutzten, die Regierung, gedrängt vom Volk zu stürzen. Die Teilnehmer des Sonntagskreises wurden 1918 in die politischen Konflikte hineingezogen und beteiligten sich am Wandlungsprozess Ungarns durch kulturelle Arbeit: Nachdem die Sozialdemokraten 1919 eine Koalition mit den Kommunisten, eine Parlamentarische Republik (Räterepublik) unter Béla Kun bildeten, wurde Lukács zum Volkskommissar für Unterrichtswesen ernannt und berief Mannheim zum 21.3. 1919 auf einen Lehrstuhl für Philosophie an der Universität Budapest. Ab August 1919 bröckelte die Regierung Béla Kuns, weil keine Einigung über die Bodenreform zu erzielen war. Die kommunistische Regierung wurde durch den Einmarsch von rumänischen und polnischen Truppen, dem „Weißen Terror“ unter der Führung von Nikolaus von Horthy gestürzt: „Reactionary occupied the governmental castle in Budapest; Von Horthy assumed leadership of the country in 1920 and carried out an actual reign terror: 5.000 revolutionaries were killed, 75.000 were taken prisoner, and more than 100.000 were exiled, Lukács fled to Vienna. Although Mannheim was a leftist in his political orientation, he was not known for being an extremist. He was moderate in his position and violently opposed to the politicizing of scholarship.“ (Woldring, 1986: 17)

Aufgrund der antisemitischen Haltung von Horty floh Mannheim dann über Wien, Freiburg und Berlin nach Heidelberg. Während der Sonntage vor der Revolution zweifelte Mannheim an der politischen Haltung Lukács‘, denn dessen Bekehrung zum Kommunismus erfolgte mehr oder weniger zwischen zwei Sonntagen und Mannheims skeptische Haltung drückte sich in der Formulierung aus, daß „Zweifeln nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht des Intellektuellen sei, er habe kein Anrecht auf das billige Glück des blinden Glaubens.“ (Karádi, 1985: 19) Mannheim riet Lukács davon ab sich politisch zu engagieren: „Zu Karl Mannheim, dem Freund aus dem ‚Sonntagskreis‘, der ihm in diesem Schritt nicht folgen wollte und ihn an seine akademische Karriere erinnerte, soll er (Lukács, F. H.) damals gesagt haben: ‚Kommunismus ist für mich wie ein Sanatorium.‘“ (Niethammer, 2000: 138) Diese Differenzen der „Sonntägler“ untereinander hing nicht nur mit Lukács‘ Entscheidung für den Kommunismus zusammen, sondern die aktuelle politische Situation erzwang eine Haltung zur „Annahme und Berechtigung des Terrors, der politischen Gewalt als Mittel der Erlösung“, die Lukács in den Dostojewski - Notizen schon als „Theorie des Aufsichnehmens der Sünde, als Konsequenz der Dostojewskischen Ethik vertreten“ (Karádi 1985: 20) hatte. Der „romantische Antikapitalismus“ von Lukács bedeutete für die „geschehenen Ungeheuerlichkeiten“ verantwortlich zu sein, wenn man sie nicht angreife und „solidarische Verantwortung für das menschliche Leid“ übernehme.(ebd. 20) Der Sturz der Räterepublik verhinderte die Entscheidung, ob man nun eine Revolution der „historischen Notwendigkeit“ wolle oder „ins Leben der Menschen mit Gewalt einzugreifen“(ebd. 21) habe, denn nun wurden die Sonntägler in die innere und äußere Emigration gezwungen und die Konsequenzen wurden in Tagebüchern, Briefen und politischen Bekenntnissen als Denken aus der Diaspora weiter formuliert: „Wir Ungarn leben in der Zerstreuung, der eine hier, der andere dort, und jeder Punkt der Welt ist heute weiter vom anderen entfernt als früher, aber dennoch ist unsere Neugier gieriger als je. Ich fühle mich, seit ich draußen in der Fremde bin, wie ein vorausgeschickter Wachposten, wie ein vorgeschobener Beobachter einer kleinen Gruppe von Menschen, um festzustellen, ob endlich irgendwo etwas geschieht, ob es zwischen den fremden Häusern auch Menschen gibt. Ich sehe in jedes geöffnete Fenster, errate die Gebärden der gestikulierend Sprechenden und die verschwiegenen Worte der zurückhaltenden Stummen. Wenn Menschen zusammenkommen, bin ich dort, wenn sie lernen, lerne ich mit ihnen, und ich wünschte mir auch, mit ihnen zusammen zu leben, mich niederzulassen - und dennoch finde ich meinen Platz nicht.“ (HB: 73)


Die Erfahrung einer Generationseinheit

Der Gedanke, Teilnehmer einer Generation zu sein, die als Gruppe eine Pluralität des Denkens, Themen, Einstellungen, Anschauungen und daraus entstehende Denkstile in sich vereinigen konnte, aus der sich die gemeinsame Lagerung als Generationseinheit ergeben hatte, war für Mannheim ein einschneidendes konstitutives Erleben in seiner Biographie: Die Sonntage waren eine Zusammenkunft für das er ein Äquivalent „nie und nirgends“ mehr finden konnte, wie er an „Fülep 1942 einem anderen Teilnehmer der ehemaligen Sonntage“ (Karádi 1985: 10) schrieb, denn, Mannheim führt dies in einem Brief an Balázs nach dem Erscheinen von Ideologie und Utopie aus, die Hoffnung bleibt bestehen, dass „der Kern des ‚Sonntags‘ hoffentlich auch in mir so lebendig und für Euch annehmbar (bleibt), daß Meinungsdifferenzen als ehrliche Auseinandersetzungsformen eines gewandelten Erfahrungsraumes und eines in vielen Dingen notwendigerweise sich auch wandelnden Subjekts erlebt werden. Was ich aus alter Zeit nicht mitmachen kann, ist die Lebenskonstruktion und Betrachtung der Dinge in völlig gerader Linie und Einseitigkeit.“ (Karádi 1985: 23) Paradigmatischer formuliert Mannheim diese Einstellung zu seinem sich wandelnden Erfahrungsraum in Abgrenzung zum George-Kreis in Heidelberg: „Die georganische Gemeinschaft ist von innen gesehen eine der gutgemeinten Experimente des in der heutigen Gesellschaft einsam gewordenen ‚Intellektuellen‘, das mit der seelischen Heimatlosigkeit gesetzte Problem zu lösen. Ihre Lösung ist die des Augenschließens: um sich mit dem Gefühl, einen Grund gefunden zu haben, einschläfern zu können, schließen sie sich ab, hüllen sich in die Inhalte der Kultur und - die Welt aus ihren Dingen herauslassend - entfremden sie sich selbst. Die von den Heidelberger Hügeln geschützte Lebensbucht läßt sie glauben machen, daß sie da sind, wirken und wichtig sind, und dabei brauchte es nur einen kleinen Sturm - und sie wären Symbole einer vergangenen Zeit.“ (HB: 91) Das Problem der seelischen oder auch geistigen Heimatlosigkeit läßt sich für Mannheim nur in einer Konzeption eines Subjektes lösen, das um seine eigene Wandlungsfähigkeit weiß, sich dieser bewußt ist, um darin: „die Fragwürdigkeit moderner Geistigkeit überhaupt in historischem Verständnis aufzuzeigen. Was hat dieser Aufweis der Fragwürdigkeit für die Philosophie zu besagen? Wie ist die hier aufbrechende Problematik überhaupt beschaffen, daß sie die Philosophie beunruhigen kann? „Daß sie dies faktisch kann, hat seinen Grund darin, daß Mannheim zwar ‚Standortgebundenheit‘ und sogar politische Standortgebundenheit jeder geistigen Äußerung aufzeigt, sich selbst aber für keinen Standort entscheidet - es sei denn in der Rückfrage nach der sozialen Lage, in der solche ‚Standortlosigkeit‘ überhaupt noch möglich ist. Erst in dieser Reserve reicht Soziologie in philosophische Problematik und kann dieser etwas sagen. Erst so wird in aller Destruktion noch ‚Realität‘ gesucht.“ (Arendt, 1982, S. 515)

Mannheim stellt dieser Destruktion von Realität jedoch die Fähigkeit des Menschen zur aktiven Umgestaltung der Realität entgegen, denn: „Ein wirklich aktiver Mensch wird nie fragen, wie hat irgendein Vorbild damals in irgendeiner früher gegebenen Situation gehandelt, sondern in welcher Weise würde es in der jetzt gegebenen Strukturlage sich neu einstellen. Dieses sich stets Neu-Einstellen auf immer wieder neu sich gestaltende Konstellationen ist die grundlegend praktische Fähigkeit des stets aktive Orientierung suchenden Bewußtseins. Diese Fähigkeit zu erwecken, wach zu halten und an jeglichem Stoff sich bewähren zu lassen, ist die spezifischen Aufgabe politischer Bildung.“(Mannheim, I.U., 154)

Dieses sich stete Neu-Einstellen auf soziale Konstellationen ist die Leistung, die das Subjekt in der Moderne erbringen kann und dies steht jeweils in Relation zu Mannheims Exilerfahrung, auf der einen Seite eine Emigration in die eigene Biographie zu vollbringen und diese wieder nach Außen als reflexive Instanz zu initialisieren, um das Erleben des Fremden in eine Theorie des Wissens zu transformieren, als produktive Instanz für die eigene Theorie. Das eigene Fremde kann dann als Fähigkeit in die erlebte Transformation des Sozialen integriert werden, so daß theoretisieren die Bewältigungsform der Krise darstellt. Daraus zieht Mannheim erst die Konsequenzen für die politische Bildung von Menschen, die erlebte Krisen damit bewältigen können. In Heidelberg zeigten sich die ersten Schwierigkeiten, als Mannheim sich habilitieren wollte. Es wurde zwar auf die Bedingung der Naturalisierung Mannheims verzichtet, aber nur die ausgezeichneten Habilitationsgutachten von Alfred Weber und Emil Lederer und deren Versicherung, Mannheim sei nie politisch aktiv gewesen, sorgten dafür, dass Mannheims Habilitation im Juni 1926 (Das konservative Denken. Soziologische Beiträge zum Werden des politisch - historischen Denkens in Deutschland) anerkannt wurde. Die Antrittsvorlesung hielt Mannheim „Zur gegenwärtigen Lage der Soziologie in Deutschland.“ 1930 wurde Mannheim, nach seiner Lehrtätigkeit in Heidelberg, die dort als zu philosophisch abgewertet, jedoch von den Studenten mit regem Interesse aufgenommen wurde, auf den Lehrstuhl für Soziologie und Nationalökonomie von Franz Oppenheimer berufen. In Frankfurt kam es zu „Gesprächstreffen“ mit Paul Tillich und trotz des Konkurrenzverhältnisses zum Institut für Sozialforschung auch mit Adolph Löwe, Leo Löwenthal, Max Horkheimer und Theodor W. Adorno.

„Die geistige Linke - das waren das von Karl Mannheim geleitete Seminar für Soziologie, das von Horkheimer geleitete Institut für Sozialforschung und die Gruppe um Paul Tillich. Zwischen dem Seminar für Soziologie, das im unteren Stockwerk des Gebäudes für Sozialforschung untergebracht war, und dem Institut für Sozialforschung gab es allerdings - Norbert Elias, seinerzeit als Assistent Mannheims aus Heidelberg mit nach Frankfurt gekommen, betonte es in einer Rede anläßlich der Entgegennahme des Adorno - Preises der Stadt Frankfurt - so gut wie keine Kontakte. Sowohl Mannheim wie Horkheimer und Adorno gehörten aber zum ‚Kränzchen‘ und kooperierten jeweils mit der Gruppe um Tillich.“ (Wiggershaus 1997: 129)

Mannheim bot zusammen mit Löwe, Bergstrasser und Noack bis 1933 ein Seminar zur Arbeitsgemeinschaft, Sozialgeschichte und Ideengeschichte an.(ebd.) Nach der Umsetzung des nationalsozialistischen Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. 4.1933 flüchtete Karl Mannheim mit seiner Frau der Psychoanalytikerin Julia Lang über die Niederlande nach London. „Als sie sich bereits in England aufhielten, erschien noch auf deutsch in Leiden sein erstes größeres Exilwerk Mensch und Gesellschaft im Zeitalter des Umbaus (1935).“ (Hofmann 1996: 31)


Der Moot-Kreis

In London angekommen wurde Mannheim, der sich in der Zwischenzeit einen Namen gemacht hatte auf Empfehlung von Paul Tillich und Adolph Löwe zu den Treffen des Moot - Kreises eingeladen. Das intellektuelle Milieu des Moot -Kreises prägte Mannheims Zeit im englischen Exil. Zu dem Kreis gehörten T.S. Elliot, Aldous Huxley, D.H. Lawrence, John Baillie, H.A.Hodges, Christoher Dawson und Walter Oakeshott u.a., neben dem englischen Theologen und Missionar John H. Oldham, der den Kreis ins Leben rief. Der Moot -Kreis war christlich orientiert und als Mannheim angesprochen wurde an den Sitzungen teilzunehmen, „zögerte er zunächst, seine Teilnahme zuzusagen, weil er - wie wir wissen - nicht dem Christentum angehörte. Oldham konnte ihn jedoch davon überzeugen, daß sie ähnliche Zielsetzungen verfolgten; Oldham zu Mannheim: ‚...What you are concerned about mainly is the post-war structure of society and by what values it is going to be conditioned.‘ Mannheim wurde also Mitglied des Moot - Kreises (dies bereits kurz nach dessen Gründung) und ist bis zu seinem Tode, Anfang Januar, einer der bedeutendsten Theoretiker dieser Gruppe gewesen.“ (Ziffus 1988: 208-209) Die Arbeiten „Planing for freedom“; „Introduction to the Sociology of Education“; „Christian Values in the Changing Environment (Towards a New Social Philosophy)“; „The Crisis in Valuation“; „Power in a Democratically Planned Society“, die dann zusammengefaßt wurden in dem Spätwerk "Freedom, Power and Democratic Planning“ verstand Mannheim verstärkt als Politische Soziologie. Die Arbeiten wurden jeweils im Moot-Kreis diskutiert und einige seiner Annahmen als undemokratisch und als Erziehungstheorien für Eliten kritisiert. „Mannheim wollte diese Arbeiten als Antwort auf die sozialstrukturelle Krise des Liberalismus verstanden wissen. Seine Analyse konzentrierte sich auf den Prozeß der Demokratisierung, ein Prozeß, in dem - vor allem bedingt durch die Industrialisierung - tendenziell immer mehr Menschen am politischen und kulturellen Leben teilhaben; ein Prozeß also, der nicht mehr umkehrbar ist.(Ziffus 1988: 215) Die Situation in London, trotz eines Lehrauftrags an der London School of Economics war schwierig, auch die wissenschaftliche Anerkennung der neueren Arbeiten Mannheims, da er nicht mehr an die akademische Position anknüpfen konnte, die er in Frankfurt innehatte. Ideologie und Utopie, wurde als Aufsatz 1936 ins englische übersetzt und fand zwar starke Beachtung, auch aufgrund der zugerechneten ‚positivistischen‘ Attitüde, wurde es als Gegenstück zu Lukács „Geschichte und Klassenbewußtsein“ rezipiert. Seine neueren Arbeiten, die sich mehr mit sozialem Wandel und demokratischer Planung befaßten, fanden nicht die Beachtung wie die wissenssoziologischen Arbeiten, so daß sich die prekäre Lage erst durch die Berufung zum Professor für Erziehungswissenschaften am Institute of Education der Londoner Universität hätte verbessern können, aber es blieben ihm dann nur noch nur wenige Monate bis zu seinem Tode. Nach Ziffus war es der Moot-Kreis, in dem Mannheim seine intellektuelle Heimat gefunden hatte. Für die Emigrationszeit von Mannheim beansprucht sie die Bezeichnung des „marginal man“ von Robert Ezra Park als zutreffend für die Situation des emanzipierten Juden. Dies lässt sich folgendermassen charakterisieren: Der Fremde, der fremd bleibt ist entrechtet, ausgestossen, Weltbürger und heimatlos zugleich, ähnlich dem Status des Paria bei Hannah Arendt.