Adornos Anmerkungen zur Wissenssoziologie Karl Mannheims in der "Negative(n) Dialektik": Unterschied zwischen den Versionen

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Adornos Anmerkungen zur Wissenssoziologie Karl Mannheims in der „Negative[n] Dialektik“
                            „Negative[n] Dialektik“
 
  
 
Auch in seinem philosophischen Spätwerk, der „Negativen Dialektik“, befasst sich Adorno an einigen Stellen mit der Wissenssoziologie Karl Mannheims, auch wenn seine Reflexionen hier, im Gegensatz zu dezidierten und ausführlichen Auseinandersetzungen an anderer Stelle, eher den Charakter kritischer Randbemerkungen haben. Seine Kritik kreist in erster Linie um die Themen des Relativismus  – unter den er auch Mannheims Wissenssoziologie subsumiert  – und um den ebenfalls von Mannheim eingeführten „totalen Ideologiebegriff“.  
 
Auch in seinem philosophischen Spätwerk, der „Negativen Dialektik“, befasst sich Adorno an einigen Stellen mit der Wissenssoziologie Karl Mannheims, auch wenn seine Reflexionen hier, im Gegensatz zu dezidierten und ausführlichen Auseinandersetzungen an anderer Stelle, eher den Charakter kritischer Randbemerkungen haben. Seine Kritik kreist in erster Linie um die Themen des Relativismus  – unter den er auch Mannheims Wissenssoziologie subsumiert  – und um den ebenfalls von Mannheim eingeführten „totalen Ideologiebegriff“.  
 
Adornos Kritik am Relativismus lässt sich dabei grob wie folgt rekonstruieren: Relativistische Erkenntnistheorien gehen von einer unmittelbaren, zufälligen, aber nichtsdestotrotz unhintergehbaren Instanz aus, die als Grund aller Erkenntnis auszuzeichnen ist. In der eher individualistischen Tradition sind das die einzelnen Subjekte, während die Wissenssoziologie hinter den Individuen für die Erkenntnis noch fundamentalere Gruppeninteressen vermutet. Die sich  ergebenden unterschiedlichen Perspektiven und Meinungen werden dann – zumindest in Adornos Lesart – mehr oder weniger gleichberechtigt behandelt und wissenschaftliche Objektivität lässt sich – wenn überhaupt – nur durch das gewinnen, was Mannheim als „freischwebende Intelligenz“ bezeichnet, also durch ein Verfahren, bei dem aus diesen verschieden Perspektiven objektive Wahrheit „destilliert“ werden soll. Adornos Argument gegen eine solche Auffassung besteht nun darin aufzuzeigen, dass gerade diese vermeintlich unmittelbaren Instanzen ihrerseits vermittelt sind, nämlich durch das gesellschaftliche Ganze und alles andere als unverbunden nebeneinander stehen, also gerade nicht zufällig sind:
 
Adornos Kritik am Relativismus lässt sich dabei grob wie folgt rekonstruieren: Relativistische Erkenntnistheorien gehen von einer unmittelbaren, zufälligen, aber nichtsdestotrotz unhintergehbaren Instanz aus, die als Grund aller Erkenntnis auszuzeichnen ist. In der eher individualistischen Tradition sind das die einzelnen Subjekte, während die Wissenssoziologie hinter den Individuen für die Erkenntnis noch fundamentalere Gruppeninteressen vermutet. Die sich  ergebenden unterschiedlichen Perspektiven und Meinungen werden dann – zumindest in Adornos Lesart – mehr oder weniger gleichberechtigt behandelt und wissenschaftliche Objektivität lässt sich – wenn überhaupt – nur durch das gewinnen, was Mannheim als „freischwebende Intelligenz“ bezeichnet, also durch ein Verfahren, bei dem aus diesen verschieden Perspektiven objektive Wahrheit „destilliert“ werden soll. Adornos Argument gegen eine solche Auffassung besteht nun darin aufzuzeigen, dass gerade diese vermeintlich unmittelbaren Instanzen ihrerseits vermittelt sind, nämlich durch das gesellschaftliche Ganze und alles andere als unverbunden nebeneinander stehen, also gerade nicht zufällig sind:
 
   
 
   
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„In Wahrheit haben die divergenten Perspektiven ihr Gesetz in der Struktur des
  gesellschaftlichen Prozesses als eines vorgeordneten Ganzen. Durch dessen Erkenntnis
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gesellschaftlichen Prozesses als eines vorgeordneten Ganzen. Durch dessen Erkenntnis
  verlieren sie ihre Unverbindlichkeit.“  
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verlieren sie ihre Unverbindlichkeit.“  
  
Das für Mannheim Bedingte, nämlich die Objektivität, wird so für Adorno zum Bedingenden, objektive Wahrheit wird als solche rehabilitiert.
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Das für Mannheim Bedingte, nämlich die Objektivität, wird so für Adorno zum Bedingenden, objektive Wahrheit wird als solche rehabilitiert und die Erkenntnissubjekte können nicht mehr als alleinige Grundlage von Erkenntnis fungieren.  
Und vom Wahrheitsbegriff ausgehend lässt sich auch Adornos Kritik an Mannheims „totalen Ideologiebegriff“ verstehen. Will die Wissenssoziologie Philosophiekritik betreiben oder das Denken überhaupt untersuchen, dann wird sie immer deshalb scheitern, da sie niemals tatsächlich auf den Wahrheitsgehalt der fokussierten Vorstellungen schaut, sondern stets nur Zuordnungen betreibt – so Adornos Interpretation. Sie interessiert sich nur, ganz formal, für die Seins- und Interessensgebundenheit des jeweiligen Denkens. Und wenn sie den Wahrheitsbegriff verabschiedet, da kann sich natürlich auch keine Ideologiekritik betreiben, wie sie Adorno von einer kritischen Theorie fordert:
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Vom Wahrheitsbegriff ausgehend lässt sich auch Adornos Kritik an Mannheims „totalen Ideologiebegriff“ verstehen. Will die Wissenssoziologie Philosophiekritik betreiben oder das Denken überhaupt untersuchen, dann wird sie immer deshalb scheitern, da sie niemals tatsächlich auf den Wahrheitsgehalt der fokussierten Vorstellungen schaut, sondern stets nur Zuordnungen betreibt – so Adornos Interpretation. Sie interessiert sich nur, ganz formal, für die Seins- und Interessensgebundenheit des jeweiligen Denkens. Und wenn sie den Wahrheitsbegriff verabschiedet, da kann sich natürlich auch keine Ideologiekritik betreiben, wie sie Adorno von einer kritischen Theorie fordert:
 
    
 
    
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    Unwahrheit dessen, worauf er geht; von gesellschaftlich notwendigem Schein kann einzig
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Unwahrheit dessen, worauf er geht; von gesellschaftlich notwendigem Schein kann einzig
    im Hinblick auf das gesprochen werden, was kein Schein wäre und was freilich im Schein
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seinen Index hat.“  
 
    
 
    
 
Der totale Ideologiebegriff ordnet also nur Denkweisen den jeweiligen Seinszusammenhängen zu und ist somit für eine Kritik an Ideologien unbrauchbar. Adorno spricht sogar von einem apologetischen Zug der Wissenssoziologie.
 
Der totale Ideologiebegriff ordnet also nur Denkweisen den jeweiligen Seinszusammenhängen zu und ist somit für eine Kritik an Ideologien unbrauchbar. Adorno spricht sogar von einem apologetischen Zug der Wissenssoziologie.

Version vom 9. Mai 2007, 12:25 Uhr

Adornos Anmerkungen zur Wissenssoziologie Karl Mannheims in der „Negative[n] Dialektik“

Auch in seinem philosophischen Spätwerk, der „Negativen Dialektik“, befasst sich Adorno an einigen Stellen mit der Wissenssoziologie Karl Mannheims, auch wenn seine Reflexionen hier, im Gegensatz zu dezidierten und ausführlichen Auseinandersetzungen an anderer Stelle, eher den Charakter kritischer Randbemerkungen haben. Seine Kritik kreist in erster Linie um die Themen des Relativismus – unter den er auch Mannheims Wissenssoziologie subsumiert – und um den ebenfalls von Mannheim eingeführten „totalen Ideologiebegriff“. Adornos Kritik am Relativismus lässt sich dabei grob wie folgt rekonstruieren: Relativistische Erkenntnistheorien gehen von einer unmittelbaren, zufälligen, aber nichtsdestotrotz unhintergehbaren Instanz aus, die als Grund aller Erkenntnis auszuzeichnen ist. In der eher individualistischen Tradition sind das die einzelnen Subjekte, während die Wissenssoziologie hinter den Individuen für die Erkenntnis noch fundamentalere Gruppeninteressen vermutet. Die sich ergebenden unterschiedlichen Perspektiven und Meinungen werden dann – zumindest in Adornos Lesart – mehr oder weniger gleichberechtigt behandelt und wissenschaftliche Objektivität lässt sich – wenn überhaupt – nur durch das gewinnen, was Mannheim als „freischwebende Intelligenz“ bezeichnet, also durch ein Verfahren, bei dem aus diesen verschieden Perspektiven objektive Wahrheit „destilliert“ werden soll. Adornos Argument gegen eine solche Auffassung besteht nun darin aufzuzeigen, dass gerade diese vermeintlich unmittelbaren Instanzen ihrerseits vermittelt sind, nämlich durch das gesellschaftliche Ganze und alles andere als unverbunden nebeneinander stehen, also gerade nicht zufällig sind:

„In Wahrheit haben die divergenten Perspektiven ihr Gesetz in der Struktur des gesellschaftlichen Prozesses als eines vorgeordneten Ganzen. Durch dessen Erkenntnis verlieren sie ihre Unverbindlichkeit.“

Das für Mannheim Bedingte, nämlich die Objektivität, wird so für Adorno zum Bedingenden, objektive Wahrheit wird als solche rehabilitiert und die Erkenntnissubjekte können nicht mehr als alleinige Grundlage von Erkenntnis fungieren. Vom Wahrheitsbegriff ausgehend lässt sich auch Adornos Kritik an Mannheims „totalen Ideologiebegriff“ verstehen. Will die Wissenssoziologie Philosophiekritik betreiben oder das Denken überhaupt untersuchen, dann wird sie immer deshalb scheitern, da sie niemals tatsächlich auf den Wahrheitsgehalt der fokussierten Vorstellungen schaut, sondern stets nur Zuordnungen betreibt – so Adornos Interpretation. Sie interessiert sich nur, ganz formal, für die Seins- und Interessensgebundenheit des jeweiligen Denkens. Und wenn sie den Wahrheitsbegriff verabschiedet, da kann sich natürlich auch keine Ideologiekritik betreiben, wie sie Adorno von einer kritischen Theorie fordert:

„Denn der Begriff der Ideologie ist sinnvoll nur im Verhältnis zur Wahrheit oder Unwahrheit dessen, worauf er geht; von gesellschaftlich notwendigem Schein kann einzig im Hinblick auf das gesprochen werden, was kein Schein wäre und was freilich im Schein seinen Index hat.“

Der totale Ideologiebegriff ordnet also nur Denkweisen den jeweiligen Seinszusammenhängen zu und ist somit für eine Kritik an Ideologien unbrauchbar. Adorno spricht sogar von einem apologetischen Zug der Wissenssoziologie.