Biographie Siegfried Kracauer

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Kindheitheit und Jugend

Siegfried Kracauer wurde am 8. Februar 1889 als einziger Sohn des Tuchhändlers Adolf Kracauer und seiner Frau Rosette in Frankfurt am Main geboren.Die Familie zählte zur jüdischen Mittelschicht und hatte ein scheinbar weltliches Verhältnis zum Judentum (weder stark traditionsbewußt noch assimiliert). Kracauer besuchte von 1898-1904 das „Philanthrophin“ der Frankfurter Israelitischen Gemeinde, eine Reformschule in der besonders die Ausbildung der Vernunft und die praktische Weltorientierung gefördert werden sollte. Kracauer litt an einem Sprachfehler, dem Stottern. 1907 machte er das Abitur und anschließend folgte das Studium der Architektur bis 1911, in Darmstadt, Berlin und München. In Berlin nutzte er die Gelegenheit neben dem technischen Studium auch Seminare von Georg Simmel zu besuchen. Aus der anfänglich eher reservierten Bekanntschaft zu Simmel entwickelte sich bis zum Sommer 1914 eine intensivere intellektuelle Beziehung (Kracauer schickte regelmäßig seine Arbeiten zur Begutachtung an Simmel). 1912-1913 arbeitete er erst in einem Architekturbüro in München und promovierte 1914 in Berlin („Die Entwicklung der Schmiedekunst in Berlin, Potsdam und einigen Städten der Mark vom 17.Jh. bis zum Beginn des 19. Jh.“)

Der 1. Weltkrieg

Im August 1914 kam es zum Ausbruch des 1. Weltkrieges, zu dem er sich, ergriffen von uneingeschränkter Vaterlandsliebe und der Hoffnung auf eine nahezu kathartische Wirkung des Krieges, freiwillig meldete, jedoch ausgemustert wurde. Seine Sichtweise änderte sich allerdings im Laufe des Krieges, vor allem durch den Tod seines Freundes (vor Verdun) und der Arbeit in einer Sanitätskolonne. 1917 kam die Einberufung, den Strapazen der Ausbildung war er jedoch nicht gewachsen und wurde bereits 2 Monate später als „Arbeitsverwendungsfähig“ (in der Heimat) geschrieben. und arbeitete (das letzte Mal!) als Architekt im Stadtbauamt Osnabrück. 1918 kam der plötzliche Tod seines Vaters, der ihn tief traf. Im selben Jahr verstarb auch Georg Simmel. Der Schüler Karcauer wirkte ganz im Sinn seines Lehrers weiter. Noch 1919 verfasste Kracauer eine ausführliche Monographie: „Georg Simmel. Ein Beitrag zur Deutung des geistigen Lebens unserer Zeit“. Betroffen von der Arbeitslosigkeit der Nachkriegszeit kehrte er in seine Heimatstadt zurück und arbeitete, zunächst ohne feste Anstellung, für die „Frankfurter Zeitung“ (FZ). Durch seine eigene prekäre berufliche Situation und des intensiven Studiums der zeitgenössischen Literatur wuchs eine tief pessimistische Sicht der Gegenwartssituation in ihm. Gegen Ende des Krieges machte er Bekanntschaft mit Theodor Wiesengrund (Adorno); ihre gegenwartskritische Einstellung verband die beiden. Auch zu Leo Löwenthal nahm Kracauer bereits 1919 Kontakt auf.

Weltsicht und Wandel

Sein Weltbild zu dieser Zeit konstruierte sich aus Georg Sinmels Relativismus und seiner Lebensphilosophie einerseits und Max Webers scharfe Trennung zwischen Wertrelativismus und wissenschaftlichem Objektivitätsideal andererseits. Im Mittelpunkt seiner Weltsicht stand der Prozess der Entzauberung der Welt und der Beziehungen zwischen den Menschen (die Wissenschaften würden diesem Geschehen nur Vorschub leisten aber könnten keinen Ausweg aus der Krise weisen). Genau hier vollzog sich, hervorgerufen durch gesellschaftliche, intellektuelle und persönliche Veränderungen, wie der Festanstellung bei der FZ 1921, der Festigung der innen- und außenpolitischen, wirtschaftlichen und sozialen Situation in Deutschland, seine konfliktreiche Beziehung zu Theodor Wiesengrund (Adorno), die Bekanntschaft mit seiner zukünftigen Frau Elisabeth Ehrenreich (damals Bibliothekarin im Institut für Sozialforschung), das intensive Studium der Schriften Karl Marx, des französischen Materialismus und Georg Lukács und den anschließenden Austausch darüber mit Ernst Bloch; ein Wandel in Kracauers Ansichten: der Kulturpessimismus weicht um einer sozialkritischen Haltung Platz zu machen. Die Themen widmen sich fortan Aspekten des Alltagslebens, aus den Bereichen Kino & Film, Sport & Revue, Straßen & Stehbars, also quasi alles, was wir unter dem heutigen Begriff der Populärkultur verstehen. 1924 übernahm er, als verantwortlicher Redakteur für die FZ, die Kritik des sich damals immer mehr durchsetzenden Films. Am 26.1.1926 erschien seine Buchbesprechung zu Martin Bubers und Ernst Rosenzweigs Übersetzungsschrift „Die Bibel auf Deutsch“. Kracauer beurteilt diese jedoch als alles andere als gelungen und löste einige Wirbel, bis hin zu einer Erwiderung der Übersetzer aus.

Ginster. Von ihm selbst geschrieben

Am 8.4.1928 im 2.Morgenblatt erschien der erste Teilabdruck (16 weitere bis zum 27.4. sollten folgen) von „Ginster. Von ihm selbst geschrieben“, ohne Autorennachweis, denn Kracauer wollte seinen Namen nicht hergeben. Gedacht war diese Reihe als eine Art Werbung, jedoch wurde es erst 8 Monate später im Berliner S. Fischer Verlag herausgebracht. Joseph Roth dazu in der FZ: „In den Kriegsbüchern, die bis jetzt in deutscher Sprache erschienen sind ist der Krieg etwas ‚Außergewöhnliches’. Zum ersten Male, in ‚Ginster’, ist er etwas ungeheuer Gewöhnliches! Außergewöhnlich ist nur Ginster. Der Krieg aber ist die Fortsetzung des Friedens. Nichts anderes! Das hebt dieses Buch aus der Reihe aller Kriegsbücher! (...) Zum ersten Male in der deutschen Kriegsliteratur wird der ‚Drückeberger’ geschildert (...) Zum ersten Male wagt ‚Ginster’ überhaupt nicht aus dem Schützengraben kommen zu wollen. (...) Ginster ist nämlich auch ein ‚Friedens’gegner. Ginster allein ist der Feind jener menschlichen Gesellschaft, die ‚Vaterländer’ kennt, also auch den ‚Krieg’. (...) Weder die ‚Generale’ noch die ‚Pazifisten’ werden dieses Buch verstehen.“

Die Angestellten. Aus dem neuesten Deutschland

Im Dezember 1929 – Januar 1930 wurde die im Reportage Stil verfasste Studie über die Lage der Angestellten, „Die Angestellten . Aus dem neuesten Deutschland“ in 12 Teilen in der FZ veröffentlicht und fand starke Resonanz bei den Lesern (Buchausgabe 1930). Er betrat Neuland mit seiner ‚Soziologie der Angestellten’. Hintergrund war die seit der Jahrhundertwende rapide angestiegene Zahl der abhängig Beschäftigten in Handel und Industrie (ca. 3,5 Millionen zu Beginn seiner Recherche). Ausgangspunkt waren zwei ideologische/parteipolitische Extreme: die Konservativen ordneten die Gruppe der Angestellten der bürgerlichen Mittelschicht zu, während die Linken sie in der Gruppe des Proletariats, wenigstens objektiv, wiederzufinden glaubten. Die Folge war eine Unkenntnis der Betroffenen selbst von ihrer wahren ökonomischen und sozialen Lage. Kracauer: „Die Masse der Angestellten unterscheidet sich vom Arbeiter–Proletariat darin, daß sie geistig obdachlos ist.“ Seine Untersuchung fand ein breites Echo in der Öffentlichkeit, so gut wie alle wussten sie zu kritisieren, bis auf die Tatsache, dass hier die Aufmerksamkeit auf ein lange vernachlässigtes Thema gelenkt wurde.

Berlin

1930 folgte dann die Hochzeit mit seiner langjährigen Lebensgefährtin Elisabeth Ehrenreich und kurz darauf, im April, wechselte er aus der Frankfurter Zentralredaktion in die Berliner Redaktion der FZ, wo er die Leitung des Feuilletons übernahm. Dieser Wechsel stand im Zusammenhang mit einer großen personellen und politischen Neuausrichtung der Zeitung. Bereits 1931 begann die allmähliche Distanzierung der Frankfurter Zeitungsleitung vom unliebsamen, weil politische überaus kritischen Mitarbeiter Kracauer. Es folgten Gehaltskürzungen, Publikationseinschränkungen und sogar die Empfehlung sich nach einem Nebenerwerb umzusehen. Nachdem der Widerstand immer stärker geworden war, entschloss er sich seine Berliner Position aufzugeben und wurde noch während des Reichstagsbrandes (am 27.2.1933) per Telegramm vom Verlagschef in einen „Arbeitsurlaub“ nach Paris geschickt. Mit einem Schreiben vom 25.8.1933 erhielt er dann die endgültige Entlassung aus dem Redaktions- und Mitarbeiterverbund der FZ. Kracauer dazu am 17.1.1934 aus unveröffentlichten Typosskript: (Die Zeitung habe ihm gekündigt, weil sie offenbar seine linke) Einstellung sowohl (sein) Judentum als eine zu große Belastung auf ihrem ferneren Lebensweg (empfinden).

Georg

„Georg“, die Fortsetzung von „Ginster“ und bereits im Anschluß an diesen begonnen, eine Beschreibung und vor allem Abrechnung der Vorgänge in der FZ als auch mit denen in der Gesellschaft. Das Buch war zwar bereits 1933 fertig geschrieben doch fand sich kein Verlag es zu verlegen. Trotz der Unterstützung von Thomas Mann, der bereits einen Verleger in den Niederlanden gefunden hatte, gelang es Kracauer nicht, sein Buch noch zu Lebzeiten zu veröffentlichen. (Die Erstpublikation erschien erst 1973!)