Die Geschichte des Vereins für Sozialpolitik 1872-1932 (Dr.Franz Boese)
"Geschichte des Vereins für Sozialpolitik 1872-1932" von Dr. Franz Boese
Chronologische Darstellung der Ereignisse, schlichte Schilderung des Geschehens im Verein über 60 Jahre
Der Verein sah seine Aufgabe darin, einerseits die Politik des Laissez-faire in der Sozialpolitik, wie sie die deutschen Manchesterliberalen betrieben, zu bekämpfen, andererseits aber auch gegen die sozialrevolutionären Ideen des aufkommenden Sozialismus zu agieren. Die Gründer des Vereins wurden bald als Kathedersozialisten bezeichnet, weil sie, wie Schmoller es formulierte, „auf der Grundlage der bestehenden Ordnung die unteren Klassen soweit heben, bilden und versöhnen, dass sie in Harmonie und Frieden sich in den Organismus einfügen".
Die Gründung 1872
Die Eisenacher Tagung von 1872
Intention für die Gründung war die Tatsache, dass sich durch die Industrialisierung eine soziale Alternative zu den radikalen sozialistischen Ideen entwickelt hatte und man bemüht war, diese sozialen Gedanken weiter zu entwickeln (jährliche Versammlungen zu Lösung der sozialen Frage). Gäste waren u.a. Roscher, Engel, Hildebrandt, Conrad, Knapp, Bretano, Schmoller und Mithoff. Gesprächsthemen waren die Lebensbedingungen, unter denen die Arbeiter heute leben sowie der wirtschaftliche und sittliche Fortschritt.
Die Eisenacher Tagung von 1873
Es bildeten sich ein linker und ein rechter Flügel, dazwischen ein vermittelndes Zentrum.
Rechter Flügel: Vertreter von wirtschaftspolitisch liberalen Auffassungen (gegen zuviel Reformen) Linker Flügel Entschlossene Reformer (Hoffnungen der vollständigen Umformung des wirtschaftspolitischen Denkens.
Am 13. Oktober 1873 wurden die vom Ausschuss vorgeschlagenen Statuten angenommen und der Verein offiziell begründet.
Rudolf von Gneist wird Vorsitzender Erwin Nasse stellvertretender Vorsitzender
Die Zeit von 1874 bis 1879
Es entbrennen Diskussionen über den Schwerpunkt der Vereinstätigkeit
Adolf Wagner (Ökonom) wollte die Inangriffnahme einer grundsätzlichen sozialen Reform. Gneist, Schmoller (Ökonom) und Brentano (Juraprofessor) dagegen schwebte vor, den Verein zu einem nationalökonomischen Seitenstück des Juristentages zu machen, also vor allem die Tätigkeit der Verwaltung auf wirtschaftlich-sozialem Gebiet zu beeinflussen. Bretano wollte aus der Sozialpolitik im engeren Sinne eine Politik zugunsten der Hebung der Arbeiterklasse machen.
Bretano: linker Flügel Adolf Wagner: rechter Flügel Schmoller, Gneist und Nasse: Zentrum
Die Zeit von 1880-1890 (Frankfurter Tagungen)
In der Zeit 1880-1890 war die Agrarpolitik für die Vereinstätigkeit das beherrschende Thema um die bäuerlichen Zustände in Deutschland zu diskutieren. Die Verhältnisse bei den deutschen Sparkassen, die Fragen der landwirtschaftlichen Genossenschaft, Wucher auf dem Lande, die Invalidenversicherung und die Hausindustrie waren ebenfalls Gesprächsthema.
Die Epoche von 1890 bis 1905
Themen: "Das bäuerliche Erbrecht", die "Auswandererfrage", "Die Eisenbahnverstaatlichung", "Die Börsenreform", "Die Währungsfrage", "Die Erbschaftssteuer"
Die Zeit von 1906 bis 1914
Themen: "Die Reform der preußischen Verwaltung", "die sozialen Fragen der Kolonien", "Die Reform der Sozialversicherung" eventuell unter Hinzunahme der "Arbeitslosenversicherung". Außerdem wurde eine "Untersuchung über die Wirkung der Getreidezölle" angestellt.
Die Kriegszeit
Der Krieg legte die Arbeiten des Vereins keineswegs völlig still, engte sie aber ein. Es wurde versucht, sich an die österreichischen Mitglieder anzunähern und die Bindungen zu stärken, was aus Verkehrs- und Zensurgründen beschwerlich war.
Das große Thema der Zeit war die "Zollannäherung Deutschlands und Österreichs"
Die Erörterung über die Neuordnung der deutschen Finanzwirtschaft
Der Verein kam zu der Schlussfolgerung, dass Finanzfragen das zentrale Thema für die kommende Zeit sein werden würden:
1. Die Abbürdung der Kriegsschuld durch eine einmalige große Vermögensabgabe 2. Die Erhöhung der direkten Steuern 3. Erhöhung der Verbrauchssteuern 4. Ersparnisse in der Verwaltung 5. Die Wirkung des Kreiges auf die sozialen Zustände der Bevölkerung in Deutschland 6. Die Hauptfragen der Ernährungspolitik 7, Die sozialen Bewegungen in den Ostgebieten, in Belgien und auf dem Balkan
Die Zeit von 1919 bis 1932
Nach dem militärischen Zusammenbruch Deutschlands wurde der Verein vor eine völlig veränderte Lage für seine Fortsetzung seiner Tätigkeit gestellt. Das Versammlungsverbot wurde zwar aufgehoben, aber über Termine für Tagungen gab es Unstimmigkeiten, die Verkehrsverhältnisse waren schlecht. Redner hatten oft keine Zeit für Vorträge.
Themen wie: "Die Frage des Anschlusses von Deutschland-Österreich" und das "Sozialisierungsproblem" rückten in den Mittelpunkt. Im Laufe der 20er Jahre kamen "Arbeitslosigkeit", "Das Kartellproblem", "Das Schlichtungswesen", "Soziale Werkspolitik" und "Die Inflation" hinzu.