Was Forscher an ihre Institution bindet, von Heike Schmoll
ZEITGESCHEHEN Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.01.2008, Nr. 11, S. 10
Was Forscher an ihre Institution bindet Die Freiräume privat geförderter Forschungseinrichtungen und Verbünde sind groß / Von Heike Schmoll
Bei der Exzellenzinitiative waren nicht nur Fakultäten erfolgreich, sondern auch von Stiftungen geförderte Forschungsbereiche. Dazu zählen die beiden größten Einrichtungen der Hertie-Stiftung an Universitäten, das Hertie-Institut für klinische Hirnforschung in Tübingen und die Hertie School of Governance in Berlin. Es wurden ein Exzellenzcluster, also ein herausragender Forschungsschwerpunkt, und eine Graduiertenschule bewilligt.
Die Hertie School of Governance gründet nun eine "Berlin Graduate School of Social Sciences", die sich mit der Frage beschäftigt, wie moderne Gesellschaften Randgruppen eingliedern und wie angesichts einer größeren Vielfalt in der Bevölkerung - auch an unterschiedlichsten Staatsbürgerschaften - demokratische Verantwortlichkeit erreicht werden kann. Die Arbeit ist auf fünf Jahre angelegt und wird jedes Jahr mit einer Million Euro gefördert. An der Hertie School, die sich aus der langen Reihe der Bewerber ihre Studenten aussuchen kann, studieren etwa 40 Prozent Deutsche; die Übrigen kommen aus Osteuropa, Zentralasien und den Vereinigten Staaten. Bei einigen Kandidaten genügt nach Auskunft der Leitung die schriftliche Bewerbung, in der das besondere Interesse dargelegt ist; nur in Zweifelsfällen werden persönliche Aufnahmegespräche geführt. Die Hertie School of Governance steht im Wettbewerb mit Einrichtungen in den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich (Sciences Po) sowie den Fachbereichen in Erfurt, Potsdam und Konstanz.
An der Hertie School herrschen Studien- und Lehrbedingungen, welche die Angehörigen staatlicher Hochschulen neidisch machen könnten. Ein Professor hat etwa acht Studenten zu betreuen, hinzu kommen Tutorien für bestimmte Kurse sowie ein Mentor für jeden Studenten, der neben dem Professor als Ratgeber für alle Lebens- und Studienfragen zur Verfügung steht. Außerdem gibt es eine ausgeklügelte Unterstützung für ausländische Studenten, vom Antrag auf eine Aufenthaltserlaubnis über die Abholung vom Flughafen bis zur Wohnungsvermittlung. Staatliche Hochschulen, die auf internationale Zusammenarbeit Wert legen, bauen erst allmählich entsprechende Hilfen auf - dazu zählt etwa die Universität Konstanz mit ihrer Campusstruktur.
Die Professoren werden leistungsabhängig bezahlt, haben große Freiräume für die Lehre. Honorartöpfe für Gastdozenten aus dem In- und Ausland sind ausreichend vorhanden. In Forschungsfragen arbeiten alle Lehrenden zusammen, denn sie wollen, nach eigener Aussage, das Auseinanderfallen von Geist und Macht überwinden. Durch die Betreuung der einzelnen Studenten gelingt im Ansatz, was an amerikanischen Spitzenuniversitäten zu den wichtigsten Erfolgsgaranten zählt: die Identifikation mit der Hochschule, die weit über den Abschluss hinausreicht und meist in einem tatkräftigen Alumni-Wesen mündet.
Das von der Stiftung geförderte "Interdisciplinary Center for Integrative Neuroscience" in Tübingen war das einzige Projekt, das die Eberhard-Karls-Universität in der Exzellenzinitiative überhaupt errungen hat. Für die kommenden fünf Jahre werden dem Zentrum insgesamt 6,5 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Es wird aus Arbeitsgruppen sechs verschiedener Fakultäten der Universität, allen Abteilungen des Max-Planck-Instituts für Biokybernetik sowie des Fraunhofer-Instituts IPA in Stuttgart bestehen. Erforscht werden sollen die Gehirnfunktionen und die Beeinträchtigung durch Gehirnerkrankungen. Außerdem sollen hirnorientierte Anwendungen in der Technik entwickelt werden. Das Tübinger neurowissenschaftliche Zentrum zählt mit Mailand, London, München und Paris zu den fünf Spitzeneinrichtungen in Europa.
Thomas Gasser, der das Zentrum leitet, berichtet von den Schwierigkeiten, Naturwissenschaftler (Biologen und Physiker) mit Ärzten zusammenzubringen. Denn die Naturwissenschaftler hätten den Eindruck, die Ärzte sahnten ihre Forschungsergebnisse ab und verdienten daran, während unter den Ärzten die Anschauung verbreitet sei, Naturwissenschaftler hätten ihr Hobby zum Beruf gemacht und wüssten kaum, was harte Arbeit sei. Gasser bringt ein Viertel seiner Tätigkeit bei der Krankenversorgung zu, etwa die Hälfte wendet er für Forschung im weitesten Sinne auf, wozu auch die Forschungsverwaltung der übrigen Gruppen gehört, und ein weiteres Viertel widmet er der Verwaltung.
Was den Hochschulen nicht gelingt, versucht das Zentrum für klinische Hirnforschung in Tübingen schon seit langem. Während sich die Verhandlungen über die Berufung auch von Spitzenforschern an staatliche Hochschulen im Hin und Her zwischen Ministerium und Hochschulleitung häufig über Wochen und Monate hinziehen, werden sie hier in wenigen Wochen zum Erfolg geführt. Nur so ist es möglich, die begabtesten Nachwuchskräfte, die sich überall auf der Welt bewerben, wirklich zu gewinnen. Allerdings kann auch die leistungsbezogene Bezahlung am Tübinger Forschungszentrum kein Chefarztgehalt wettmachen. Doch viele verzichten eher auf eine entsprechende Stelle im Krankenhaus und ziehen die guten Forschungsbedingungen vor. Hochschulreformer können sich an den privaten Einrichtungen anschauen, was Forscher an ihre Arbeit bindet. Es ist keineswegs nur das Gehalt.
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