Urkunden

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Definition

Eine Urkunde ist ein in bestimmten Formen abgefasstes, beglaubigtes und daher verbindliches Schriftstück, das ein Rechtsgeschäft dokumentiert. (Goetz, Proseminar, 135)

Zum Verständnis mittelalterlicher Urkunden ist es wichtig zu wissen,

  • dass ein mittelalterliches Rechtsgeschäft nicht unbedingt einer Urkunde bedurfte, um rechtskräftig zu sein - es konnte und wurde auch mündlich, unter Zeugen und in Durchführung ritualisierter, symbolischer Rechtshandlungen vollzogen
  • dass viele mittelalterliche Urkunden derartig vollzogene Rechtsgeschäfte erst nachträglich bestätigten (dazu siehe auch unten: notitia vs. carta), ohne dass die eigene Rechtsgültigkeit und Beweiskraft darunter litten.
  • dass die hohe Zahl überlieferter Urkunden auf eine hohe Wertschätzung und auf die Beweiskraft solcher Verschriftlichung von Rechtsgeschäften hinweist.


Aussagekraft

Urkunden geben nicht immer geltendes Recht wider, sondern unter Umständen auch nur Rechtsansprüche des Empfängers.
Sie können...

  • bereits vorhandene Rechtsansprüche untermauern
  • längst gewährte (u. evtl. beurkundete) Rechte bestätigen


Der den Urkunden (im Laufe des Mittelalters immer stärker) zukommende Beweischarakter führt zu einer ganzen Reihe mittelalterlicher Urkundenfälschungen.

  • Achtung: Gefälschte Urkunden können aber auch ein „echtes“ Rechtsgeschäft bestätigen/beweisen wollen. Besondere Bedeutung kommt daher der Quellenkritik zu, die so zu einer eigenen historischen Hilfswissenschaft geworden ist, der Diplomatik.
  • Einzelurkunden sind nur in Ausnahmefällen historisch aussagekräftig, erst größere, abgegrenzte Bestände (Urkundenserien) stellen solide Materialgrundlage für rechts-, verfassungs-, gesellschafts- oder wirtschaftshistorische Erkenntnisse dar.


Überlieferung

  • entweder als Original oder als Abschrift/Kopie erhalten
  • Rechtskraft besitzen auch beglaubigte Abschriften (Vidimus = vollständiger Text/Transsumpt = Wiedergabe des Inhalts in einer neuen Urkunde)
  • Überlieferung als Einzelstücke (v.a. bei Originalen) oder in Sammlungen/Zusammenstellungen (meist als Abschriften):


  • Register: Urkundenausgang eines bestimmten Ausstellers (meist nicht als ``echte Kopie´´, sondern als Sammlung der Konzeptfassungen). Wichtig, insbesondere für die Frühzeit, sind die Papstregister; kgl. Register existieren erst ab dem 13. Jh. (Westeuropa) oder 14. Jh. (Deutschland).
  • Kopiare (Kopialbücher, Chartulare): Urkundeneingang eines bestimmten Empfängers, also von versch. Ausstellern. Mittelalterliche Kopiare werden fast ausschließlich von kirchlichen Empfängern geführt; die meisten ``Privaturkunden´´ (s.u.) sind nur so überliefert.


Edition

Drei typische Formen der Urkundenedition:

  • nach dem Ausstellerprinzip (so v.a. bei Königs- und Papsturkunden)
  • nach dem Empfängerprinzip
  • meist gemischt, indem Ausgang u. Eingang einer Institution zusammen ediert werden


Fast alle Editionen sind strikt schematisch organisiert, so z.B. in der MGH:

  • Benennung nach Aussteller u. laufender Nummer [D LJ 4 = Diplom Ludwigs des Jüngeren Nr. 4]
  • sogen. Kopfregest mit Angabe von Aussteller, Empfänger, Ausstellungsort und -datum [in moderner Form] sowie kurzer Zusammenfassung des Rechtsinhalts
  • Angaben zur Überlieferung von Handschriften und evtl. frühen Drucken
  • Bemerkungen zur Urkundenkritik (Echtheit, Kanzleimäßigkeit, Notare)
  • Text, evtl. mit Variantenapparat und Sachkommentar [s. auch Kritische Edition]


Klassifizierung

Unterscheidung nach dem Verhältnis zum Rechtsakt:

  • Beweisurkunde (notitia): schriftliche Fixierung einer bereits erfolgten Rechtshandlung
  • Verfügungsurkunde oder dispositive Urkunde (carta): setzt als solche erst Recht
Probleme: Unterschied ist 1. äußerlich nicht erkennbar und hatte wohl 2. im Mittelalter auch keinerlei Einfluß auf die Beweiskraft der Urkunde. Hier geht es also eher um das das Verständnis des Rechtsprinzips als um eine praktische und praktikable Einteilung.


Unterscheidung nach dem Zweck:

  • feierliches Diplom mit meist dispositivem Charakter (z.B. Verleihung von Privilegien, Schenkung von Besitz)
  • schlichteres Mandat mit administrativem Inhalt (z.B. Anordnungen, Verfügungen)
Problem: Auch hier sind die Grenzen fließend, die Unterscheidung nicht praktikabel.


Unterscheidung nach dem Aussteller [ist praktikabler, traditionell in folg. Dreiteilung]:

  • Königsurkunden: in der Regel Diplome in feierlicher Form, mit Verzierungen von erster und letzter Zeile, mit starken Ober- und Unterlängen in der Schrift, Signatur durch ``Monogramm´´ des Königs; für Details siehe Form und Aufbau einer Königsurkunde
  • Papsturkunden: abgefaßt in kanzleitypischer Schrift; Stil wirkt vorbildhaft für andere Kanzleien; weitere Unterteilung möglich in:
    • Privilegien entsprechen Diplomen und besitzen Anspruch auf dauerhafte Gültigkeit (sogen. in perpetuum-Formel); Signatur bis Mitte 11. Jh. mit eigenhändiger Unterschrift des Papstes, danach durch die ``Rota´´ (radförmige Zeichnung)
    • Briefe (litterae) entsprechen Mandaten, können seit 12. Jh. aber auch Rechtsverleihungen beurkunden; werden bald zur häufigsten päpstl. Urkundenform; Rota, Monogramm oder Unterschrift fehlen
    • Bullen (genannt nach dem Bleisiegel), seit Mitte 13. Jh. verwendet, v.a. für Dekrete oder Exkommunikationen; in der Form zwischen Privileg und Brief
    • Breven sind schmale Pergamentstreifen; seit Ende 14. Jh. gebraucht; kurzer Text mit rotem Wachssiegel (``Fischerringsiegel´´)
  • ``Privaturkunden´´: irreführender Begriff, der alle übrigen Urkunden meint; diese besitzen natürlich auch amtlichen (und nicht ``privaten´´) Charakter; stammen v.a. von Bischöfen, Äbten/Äbtissinnen und Pröpsten, von Herzögen und Grafen, von Grundbesitzern aller Art, im späteren Mittelalter auch von Städten und anerkannten Notaren (sogen. Notariatsinstrumente)