Jürgen Habermas - Verpasste Chance für Frankfurt

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Einleitung

Im Rahmen des Lehrforschungsprojekts „Soziologie in Frankfurt“, bearbeite ich die Fragestellung, ob es an der Universität Frankfurt aufgrund von politischen oder persönlichen Problemen mit Jürgen Habermas zu einer verpaßten Chance gekommen ist oder nicht. Die Philosophie und auch die Soziologie sind in Frankfurt geschichtlich eng mit dem Begriff der Frankfurter Schule und mit dem Namen Jürgen Habermas verbunden. Habermas begann seine akademische Laufbahn in Frankfurt und nahm sie in Frankfurt wieder auf, um auch heute noch zu den einflußreichsten intellektuellen Stimmen der Bundesrepublik zu gehören. Dennoch gab es im Laufe der Jahre immer wieder Wendepunkte, an denen sich die Wege der Universität und die von Jürgen Habermas trennten.

Die Werke des bis heute einflussreichen Philosophen und Soziologen wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und lösten disziplinübergreifende Kontroversen in Philosophie, Wissenschaftstheorie, Soziologie und Politologie aus. In Deutschland wurde Habermas, nachdem er bereits durch den Positivismusstreit und sein Werk „Erkenntnis und Interesse“ allgemein bekannt geworden war, nach der Veröffent¬lichung der „Theorie des kommunikativen Handelns“ zu einem der meistdiskutierten deutschen Philosophen der Gegenwart. Seit den 1980er Jahren erschien eine Reihe von Einführungen in sein Leben und Werk. Habermas publizierte zudem regelmäßig in zahlreichen deutschen Feuilletons, wie dem der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Süddeutschen Zeitung oder der Zeit.

Seit Anfang der 80er Jahre vernetzt sich Habermas stark international. John Rawls, Charles Taylor, Richard Rorty und Seyla Benhabib sind WeggefährtInnen. Internationale Anerkennung erfährt Habermas durch Auszeichnungen, wie den Kyoto Preis 2004. Auffällig ist, dass Habermas seine bekannten und einflussreichen Werke bemerkens¬wert oft nicht in den Jahren in Frankfurt verfasst hatte, sondern großteils in den Jahren dazwischen. Er konnte gerade in seiner Anfangszeit an der Universität Frankfurt nie richtig Fuß fassen. Habermas’ Zeit an der Frankfurter Universität ist durch Ambivalenz gekennzeichnet: zum einen nahm man in euphorisch auf und lehnte ihn gleichzeitig aber auch ab.

Welche Gründe dies gehabt haben kann und auf welche institutionellen, personellen und strukturellen Probleme er in Frankfurt immer wieder gestoßen ist, soll im Folgenden erarbeitet werden. Habermas’ Verortung in Frankfurt lässt sich in drei Phasen einteilen. Diese drei Teile stellen die Kapitel dieser Hausarbeit dar, wobei der Schwerpunkt in den ersten beiden Teilen zu sehen ist. Die erste Phase und somit der erste Teil bezieht sich auf die Jahre von 1956 bis 1959, seine zweite Phase in Frankfurt erstreckt sich über einen Zeitraum von 1964 bis 1971 und die dritte Phase beginnt 1983 und endet mit seiner Emeritierung 1994.

Erste Phase 1956 - 1959

Die erste Phase wird bestimmt durch das Verhältnis von Habermas zum damaligen Institutsleiter der Frankfurter Universität und Mitbegründer der „kritischen Theorie“ Max Horkheimer. Jürgen Habermas kam als Assistent Adornos und Mitarbeiter des Instituts für Sozialforschung 1954 nach Frankfurt. Nachdem mit Ludwig v. Friedeburg ein junger, professioneller und für Gesellschaftskritik offener Empiriker, ein Jahr zuvor ans Institut gekommen war, wurde der ausdrückliche Wunsch nach einem Soziologen, der theoretische Soziologie lehren konnte von Adorno gegenüber Horkheimer dem Leiter des Instituts, geäußert.

Sein erstes Projekt war das theoretische Vorwort der empirischen Studie „Student und Politik“. Auf Grund dieser Studie, kam es zu einem Konflikt mit Max Horkheimer, dessen Gründe im Briefwechsel Horkheimer Adorno ausführlich dargestellt werden und dazu führten das die Einwände Horkheimers dieser Studie betreffend das Erscheinen verzögerten und letztendlich nicht in der Reihe der „Frankfurter Beiträge zur Soziologie“, nicht einmal im gleichen Verlag erschienen sind. Horkheimer war es daran gelegen als Institutsleiter stellvertretend für das Institut nicht in Verbindung mit dieser Studie gebracht zu werden. Horkheimer schrieb am 27. September 1958 einen Brief an Adorno, der eine schwerwiegende Kritik an Habermas enthielt und unter anderem dazu führte das dieser nicht in Frankfurt habilitieren konnte.

Für Horkheimer ist er „ein begabter, unablässig auf geistige Überlegenheit sich verweisender Mensch“. Er „ trägt bei aller Gescheitheit Scheuklappen, es gebricht ihm an bon sens und an geistigem Takt“. Unverständlich sei es, dass Habermas, „der so viel von Empirie redet, heute zu Schriften sich bekennt, die auf der Ansicht beruhen, die Bourgoisie sei unfähig, noch lange die herrschende Klasse der Gesellschaft zu bleiben „, und die proletarische Revolution in den Industrieländern noch für Möglich hielten. In der Sicht von Horkheimer hat diese Revolutionstheorie den Sozialismus in einem Land nur die Verwandtschaft zum Nationalsozialismus geführt. Nicht die Revolution ist zu verteidigen sondern vielmehr die Reste der bürgerlichen Zivilisation und die europäische Zivilgesellschaft. Wenn Habermas´ Denken den Geist des Frankfurter Instituts bestimmen sollte, dann „erziehen wir keine freien Geister, keine Menschen, die zu eigenem Urteil fähig sind, sondern Anhänger, die auf Schriften schwören, heute auf die, morgen vielleicht auf jene“. Abschließend schlug Horkheimer dann vor, sich von Habermas zu trennen, weil er zwar eine glänzende Karriere vor sich habe, dem Institut aber großen Schaden bringen würde. „Lassen Sie uns zur Aufhebung der bestehenden Lage schreiten und ihn in Güte dazu bewegen, seine Philosophie irgendwo anders aufzuheben und zu verwirklichen“.

Habermas, der mit seinem Werk „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ keine Chance sah in Frankfurt zu habilitieren, trotz intensiver Bemühungen Seitens Adornos und Helmut Beckers Max Horkheimer zu überreden, das Habilitationsgesuch anzuerkennen, kündigte und machte sich auf die Suche nach einer neuen Habilitationsmöglichkeit. Seine Versuche mit dem Strukturwandel der Öffentlichkeit an anderen Universitäten habilitiert zu werden scheiterten jedoch zunächst, so dass sich Habermas gezwungen sah, seine journalistische Tätigkeit wieder auf zu nehmen. Durch einen Zufall machte Spiros Simitis Habermas auf den bis dato für ihn unbekannten Wolfgang Abendroth von der Universität Marburg aufmerksam, welcher ihn daraufhin kurzfristig habilitierte.

Bereits 1961, noch vor Abschluss seines Habilitationsverfahrens, wurde Habermas nach Vermittlung von Gadamer außerordentlicher Professor an der Universität Heidelberg, wo er bis 1964 lehrte. In dieser Zeit entstanden zahlreiche Aufsätze welche sich mit dem Positivismusstreit in der Soziologie auseinandersetzten und eines seiner einflussreichsten Werke: „Erkenntnis und Interesse“.

Zweite Phase 1964 - 1971

1964 ging Habermas ein zweites Mal nach Frankfurt, wo er als Nachfolger Horkheimers den Lehrstuhl für Soziologie und Philosophie an der Universität übernahm. Bereits 1971 verlies er Frankfurt wieder, diesmal in Richtung Starnberg um mit Carl Friedrich von Weizsäcker das Max-Planck-Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt zu leiten. Wie sich die Situation für Habermas und seine Arbeit in Frankfurt in diesen sieben Jahren dargestellt hat und welche Ereignisse und Entwicklungen in diesen Jahren maßgeblich dazu beigetragen haben, dass er Frankfurt wieder verliest, stellt den zweiten Punkt dieser Arbeit dar.

Habermas beteiligte sich früh an den Debatten um eine Hochschulreform und sollte im weiteren Verlauf eine exponierende Rolle spielen. Bereits in den 50iger Jahren war Habermas für demokratische Reformen des Bildungswesens und der Hochschulen eingetreten und wurde so als Vertreter der Linken zu einem geistigen Anreger der Studentenbewegung 1967/68.


Einen weiteren Wendepunkt in der soziologischen und philosophischen Geschichte der Universität Frankfurt bildete der Tod Theodor W. Adornos im Jahre 1969 und eine damit verbundene erkennbar gewordene Zäsur. Aus dem zum früheren Horkheimer- Kreis Gehörenden Personen lebte noch Erich Fromm, dessen Entfremdung zu Horkheimer und dessen Kreis nie wirklich aufgehört hatte. Richard Löwenthal lebte seit den 50iger Jahren in den USA und arbeitete ab 1956 als Professor an der Universität von Berkeley. Der Bruch mit Adorno und Horkheimer erfolgte aber bereits in den frühen 50iger Jahren als es zu einem Streit über von Löwenthal gegenüber dem Institut geltend gemachten Pensionsansprüchen ging. Herbert Marcuse war von Horkheimer nie wirklich als geistigen weiterführer der Tradition anerkannt, so kam es auch zu dem Ausspruch Horkheimers „Marcuses Ruhm beruhe auf Gedanken, die gröber und simpler als Adorno und meine Gedanken sind“ . Horkheimer selber lebte seit seiner Emeritierung 1959 in Montagnola bei Lugano, stand aber seiner Vergangenheit seit dem her eher distanziert gegenüber.

Innerhalb von 2 Jahren verließen auch die „Jüngeren“ Soziologen und Adorno Schüler die Frankfurter Szene. Friedeburg wurde 1969 hessischer Kultusminister und nahm auf administrativer Ebene den Kampf für die Bildungsreform auf. Oskar Negt wurde 1970 Soziologie- Professor in Hannover.

Jürgen Habermas nahm 1971 einen Ruf als Direktor am Max- Planck- Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich- technischen Welt in Starnberg bei München an und „hoffte, dort seine Konzeption interdisziplinärer Theorie- Arbeit realisieren zu können, für die er am Institut für Sozialforschung, dessen Mitdirektion ihm angeboten worden war, keine Chance sah“.

Er schrieb in einem Brief im April 1971 an Horkheimer, in dem er zwei Faktoren für seine Entscheidung das Institut zu Verlassen deutlich machte. “Ich brauche Ihnen nicht darzustellen, wie sehr sich die Szene hier nach Adornos Tod verändert hat. Ich habe zwei Motive, nach Starnberg zu gehen. Auf der einen Seite habe ich dort großzügige Möglichkeiten, zu forschen. Ich kann 15 wissenschaftliche Stellen besetzen, und kann in einem verhältnismäßig weiten finanziellen Spielraum frei über die Wahl der Projekte entscheiden. Hier in Frankfurt hingegen hat niemals die realistische Möglichkiet bestanden, mit den Mitarbeitern in das Institut für Sozialforschung einzutreten, mit denen ich zusammenarbeiten möchte. Der andere Grund ergibt sich aus dem Umstand, dass der künftige sozialwissenschaftliche Fachbereich mit der Aufgabe belastet sein wird, die Grundausbildung der Lehrer, der Juristen und der Ökonomen zu übernehmen. Würde ich hierbleiben, müsste ich meine volle Arbeitskraft diesen ja durchaus dringlichen Aufgaben widmen.“

Auch eine Reihe von Zeitzeugen berichten in Interviews über die damalige Situation von Habermas am Institut.

Als die Fachbereichgliederung anstelle der Fakultäten anstand, so berichtet Kocyba, hatten eine Reihe von Studenten und Assistenten die Vorstellung, dass die Philosophie die Soziologie brauche und umgekehrt und es natürlich schien, dass man die Fakultäten zu einem Fachbereich zusammenschließen sollte. Habermas selber schien sich zu Anfang nicht eindeutig für ein pro oder contra der Zusammenlegung entscheiden zu können, als man dann aber feststellte, dass der Fachbereich unter anderem aus der Ausbildung von Lehrern bestehen würde, war es für ihn keine Alternative mehr und er sprach sich im weiteren Verlauf gegen die Zusammenführung aus. Man sprach Habermas eine Art politischen Elitismus nie ganz ab, der unter Umständen daher rührte, dass die Lehrerausbildung schon zum damaligen Zeitpunkt stark boomte und es eine Vielzahl von Stellen zu vergeben gab, so dass zum Teil auch Oberstudienräte zu Hochschulprofessoren umgewandelt wurden. Zum anderen war die Furcht davor, dass die Philosophie von der Soziologie majorisiert werden könnte.

Allerdings wurde sein Weggang zu dieser Zeit auch mitunter sehr kritisch Betrachtet, hat sich Habermas doch maßgeblich in Gremien und als Redensführer an einer neuen Verfassung der Hochschulgesetze beteiligt und kurz nach dem diese dann verabschiedet wurden und zwei getrennte Fachbereiche für Soziologie und Philosophie entstanden verlässt er die Universität Frankfurt

Dritte Phase 1983 - 1994

Die dritte Phase beginnt 1983 mit der Professur für Philosophie mit dem Schwerpunkt Sozial- und Geschichtsphilosophie. Habermas beteiligt sich zu dieser Zeit maßgeblich an den intellektuellen Diskussionen im Positivismusstreit und an den Debatten über Systemtheorie, Postmoderne, zivilen Ungehorsam und Autoritarismus. Er veröffentlicht die Werke "Moralbewusstsein und kommunikatives Handeln" (1983), "Die neue Unübersichtlichkeit" und "Diskurs der Moderne" (1985). Zu dem kommen diverse Auszeichnungen, wie der Geschwister-Scholl-Preis und die Wilhelm-Leuschner-Medaille (1985) sowie der Sonnig-Preis (1987). Zwei Jahre vor seiner Emeritierung verfasst er die Studie „Faktizität und Geltung“ in der er eine normative Theorie des Rechtstaates entwirft

Kurzbiographie

Zeittafel:


·18.Juni 1929: wurde Jürgen Habermas als zweites von drei Kindern in Düsseldorf geboren. Lebte in Gummersbach( Nordrhein-Westfalen) und besuchte das Gymnasium, welches er 1949 mit dem Abitur abschloss.

·1949-1954: Studium der Philosophie, Geschichte, Psychologie, Germanistik und Ökonomie an der Universität in Göttingen (1949-50), sowie an den Universitäten in Zürich (1950-51) und Bonn (1951-1954).

·1954: Doktor der Philosophie an der Universität Bonn; betreut von Erich Rothacker und Oskar Becker; Dissertation: "Das Absolute und die Geschichte. Eine Untersuchung zu Schellings Weltalterphilosophie."

·1954-1956: Berufliche Tätigkeit als freier Journalist. Hochzeit mit Ute Wesselhoeft.

·1956-1959: Auf Einladung von Theodor W. Adorno, wird er Forschungsassistent am Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main.

·1959-1961: Zwei-jähriges Habilitations-Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft an der Universität Marburg.

·1961:Habilitation für Philosophie an der Universität Marburg bei Wolfgang Abendroth; Titel der Habilitationsschrift: "Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft". Sein ursprünglicher Betreuer der Habilitation, Max Horkheimer, verweigerte die Annahme der Arbeit. Habermas arbeitet an einer Untersuchung des Instituts für Sozialforschung über die politische Bewusstseinslage der westdeutschen Studentenschaft mit. Er verfasst die Einleitung zu der daraus entstehenden Studie "Student und Politik", in der er erstmals den Gedanken einer zwanglosen Willensbildung als Kern des demokratischen Rechtsstaates skizziert.

·1961-1964: Außerordentlicher Professor der Philosophie an den Universitäten Heidelberg und Baden-Württemberg.

·1964-1971: Professor der "Philosophie" sowie der "Soziologie" an der Universität Frankfurt am Main; kündigte 1971 unter anderem wegen eines Streites mit der Studentenbewegung.

·1968: Veröffentlichung der Studie "Erkenntnis und Interesse", die Habermas über den deutschsprachigen Raum hinaus bekannt macht.

·1971-1981:Zusammenarbeit mit Carl Friedrich Freiherrn von Weizsäcker, damaliger Direktor des neu gegründeten Max- Planck-Instituts zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt in Starnberg, Bayern.

·1975-1982: Honorarprofessor am Fachbereich "Philosophie" der Universität Frankfurt am Main.

·1980-1982: Direktor des Max-Planck-Instituts für Sozialwissenschaften in München.

·1983-1994: Professor der Philosophie an der Universität Frankfurt am Main

·seit 1983:Als auswärtiges Wissenschaftliches Mitglied des Max-Planck-Instituts für Psychologische Forschung in München. Daneben absolvierte Habermas zahlreiche Gastprofessuren und Forschungsaufenthalte in den USA und Europa. Fortlaufendes politisches Engagement, vor allem in der Studentenbewegung der 1960er-Jahre und gegen den Balkan-Krieg in Jugoslawien 1989.

·seit 1994: Seit seiner Pensionierung 1994 lebt er in Starnberg, Bayern.

Habermas Werke

Auswahl der wichtigsten Werke:

Bilder

Bilder von Jürgen Habermas