Mannheims Studenten in der Galaxis der Frankfurter Soziologie
Als Arbeit zur Geschichte der Institutionalisierung der Forschung und Lehre an der Universität Frankfurt und zur Geschichte des Soziologischen Seminars von Karl Mannheim, möchte ich in dieser Arbeit der Frage nachgehen, wie sich das Verstaendnis der Professionalisierung des eigenen Faches im, von Karl Mannheim mit Norbert Elias und den Promovenden entwickelten Programm des Seminars fuer Soziologie, entwickelt hat.
Der Kreis um Karl Mannheim und Norbert Elias
Was Norbert Elias zur Soziologie trieb, war einerseits sein interdisziplinäres Interesse – er hat Philosophie, Germanistik, Medizin und Psychologie studiert und sein erkenntnistheoretisches Interesse, das der Titel seiner nicht veroeffentlichen philosophischen Habilitationschrift „Idee und Individuum. Eine kritische Untersuchung zum Begriff der Geschichte“ erkennen lässt. Der am 22. Juni 1897 in Breslau als einziges Kind wohlhabender deutsch-jüdischer Eltern geborene Elias wurde nach der Habilitation für zwei Jahre zwischen 1923/24 und 1925/26 zunächst Kaufmann, „ da das väterliche Vermögen in der Inflationszeit zum großen Teil verloren gegangen war“(Lebenslauf von Elias, Uni-Archiv). Obwohl er sich im Sommersemester 1919 in Heidelberg Seminare außer seinem schon während des Militärdienstes in Breslau begonnen Medizinstudium anhörte, vor allem aber die Professoren Rickert, Drisch und Jaspers, ging er erst nach seiner kaufmännischen Tätigkeit in einer Bresauer Eisenwarenfabrik nach Heidelberg, um über zwei grosse Arbeiten zu forschen: Zum einen über die soziologische Geschichte des menschlichen Bewusstseins und zum anderen über die Entstehung der modernen Naturwissenschaften. Beide Arbeiten sind aufgrund mangelnder finanzieller Unterstützung durch „die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft“ unveröffentlicht geblieben. Während seines zweiten Studien- und Forschungsaufenthalt in Heidelberg beginnt das Arbeitsverhältnis zwischen Norbert Elias und dem Privatdozenten Karl Mannheim an.
Schon vor Beginn seiner Lehrtätigkeit an der Universität Frankfurt stellte der als Nachfolger von Franz Oppenheimer berufene Karl Mannheim in einem Brief an den Kurator Rietzler finanzielle Forderungen fuer den Aufbau seines soziologischen Seminars. Norbert Elias bekam eine Assistentestelle als ausserplanmässiger Assistent. Die planmaessige Assistentenstelle bekam Gottfried Salomon-Delatour, Norbert Elias war jedoch der Assistent, der von Karl Mannheim vorgeschlagen wurde um die zahlreichen Doktorarbeiten zu betreuen und Mannheim in den Einfuehrungs-, Doktoranden-, und Fortgeschrittenen Seminaren zu unterstützen. Die Sommerferien verbrachte Elias in Paris um Material für seine Habilitationsarbeit „Der hoefische Mensch“ im Fach Soziologie zu sammeln.
1. Mai 1930 ausserplanmaessiger Assistent am soziologischen Seminar der Universität Frankfurt am Main gegen die übliche ausserplanmässige Assistentenvergütung von 315 RM und Beschaeftigungszeit bis Ende April 1932; Aufgaben: Studienberatung und Mitarbeit an den Einfühungskursen
4. April 1932 auf Antrag vom Direktor des Soziologischen Seminars Karl Mannheim wird die Beschäftigungszeit als ausserplanmässiger Assistent bis zum 30. April 1934 verlängert; Aufgaben: Studienberatung, Mitarbeit an den Einführungskursen, Verwaltungsaufgaben, Ausbau und Instandhaltung der Bibliothek und Leitung der bibliographischen Arbeitsgemeinschaft
13. Juni 1932 Elias schreibt einen Brief an Nina Rubinstein, in der er sagt, dass er und Mannnheim einig sind, dass Rubinstein in ihrer Arbeit sich nur auf die französische Emigration beschränken kann. Dieser Brief wurde offensichtlich kurz nachdem Karl Mannheim Frankfurt verlassen hat, geschrieben. „ Ich habe im Augenblick eine ganz klare Vorstellung davon, und zwar im Zusammnenhang mit meiner eigenen Arbeit, wie ihre Arbeit in dem Sinne, den Sie vorgeschlagen haben, zu machen ist.“ Als Mannheim noch in Frankfurt war, hat ihm Norbert Elias vorgelesen, was Nina Rubinstein geschrieben hat und beide waren mit der Beschränkung der Fragestellung auf die französische Emigration einvertanden. „ Ich will versuchen, so gut als es eben in einem Briefe geht, die eigentliche Fragestellung der französischen Emigration anzudeuten“. Norbert Elias typisiert die geschichtliche Bewegung und den Konflikt zwischen den zwei sich gegenüber für moralisch überlegen haltenden Schichten. Die Schicht derjenigen, die „nicht durch Arbeit [ihr] Brot“ verdienen muessen und die derjenigen, die durch eine Berufsarbeit ein Einkommen verdienen. Beide Haltungen, die berufsethische und die adlige, sind als geistige Existenzbedingungen der jeweiligen Schichten zu verstehen, die „gleich echt und gleichermassen gesellschaftlich erzwungen“ sind. Die aus ihrer gesellschaftlichen Situation entstandene adlige Haltung findet sich in der Emigration einer fremden Welt gegenüber, an deren Verfassung sie sich anpassen muss, meistens ungeschickt, bis sie als Existenzbedingung schliesslich zerbricht. Diesen Entwicklungsprozess zu zeigen ist die Aufgabe der Dissertationsarbeit von Nina Rubinstein, zumindest nach Auffassung von Elias. „ Den ganzen Prozess zu zeigen, in dem langsam etwa ein russischer Emigrant in seinem Verhalten aus seiner Überlieferung, aus den bürgerlichen Motivierungen und Idealen herausgeschleudert wird, hinein in eine Welt, die er weder verstehen, noch lieben kann, das wäre die Aufgabe einer Arbeit über die russische Emigration gewesen“.
18. Februar 1933 Antrag fuer Zulassung zur Habilitation für das Fach der Soziologie mit der Arbeit „Der höfische Mensch“, ein Beitrag zur Soziologie des Hofes, der höfischen Gesellschaft und des absoluten Königtums
7. März 1933 Der Oberpräsident der Provinz Hessen/Nassau erhebt kein Bedenken gegen die Zulassung von Norbert Elias als Privatdozent der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Frankfurt a.M. Mit dem Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeantentums vom 7. April 1933 wird seine Probevorlesung und die Verleihung der venia verhindert und kommt nie zustande.
30. Juni 1933 wird Norbert Elias aus Universitätsdiensten ausgeschrieben.
Mannheims Studenten und ihre Dissertationsprojekte
Die einzige Zusammenarbeit zwischen dem IfS und dem Seminar von Karl Mannheim gab es anhand der Promotion von Wilhelm Carle. Die Allianz zwischen Max Horkheimer und Karl Mannheim als Begutachter der Arbeit "Weltanschaung ung Presse" stellt eine unglueckliche Kooperation dar, obwohl sich Horkheimer dem Gutachten von Mannheimangeschlossen hatte. In seiner Dissertationarbeit „Weltanschauung und Presse“ versucht Wilhelm Carle eine wissenssoziologische Untersuchung an zehn Tageszeitungen durchzuführen, in denen sich zwei unterschiedliche Erreignisse wiederspiegeln: ein politischer Mord und einen Schülerprozess, der die Öffentlichkeit moralisch erschüttert. Aber „ die Notwendigkeit einer soziologischen Untersuchung der Presse hatte Max Weber bereits 1910 auf dem Deutschen Soziologentag in Frankfzrt a.M. ausführlich begründet. “, leider eine Untersuchung nicht fortgeführt. In seiner Arbeit bezieht sich Wilhelm Carle auf Untersuchungen, die die deutsche Presse thematisieren, die am Anfang des 20. Jahrhundert und um die 30er erschienen sind, wie z. B. Karl Büchners „Die deutsche Tagespresse und die Kritik“ von 1915, F. Dieudonnes „ Die Kölnische Zeitung und ihre Wandlungen im Wandel der Zeiten“ von 1903, Otto Groths „Die Zeitung. Ein System der Zeitungskunde“ von 1929/30, die ein Beweis für das wissenschaftliche Interesse an diesem Thema ist.
Wilhelm Carles Arbeit stellt die Frage nach dem Verhältnis zwischen Presse und Leserschichten, ein Thema, das auch Heinz Marr im „Klasse und Partei in der modernen Demokratie“ von 1925 aufgreift, wenn man von den Titel seines Werks ausgeht, und bei dem nach 1933 manche von den Mannheims Studenten promovieren. In seiner Dissertation beschäftigt sich Carle nicht nur mit den inhaltsanalyse der Tageszeitungen und aktuelle Untersuchungen der Presse, sondern bezieht sich auch auf Arbeiten von Karl Mannheim und seinen Vorläufer auf dem Lehrstuhl in Frankfurt Franz Oppenheimer.
In der Einleitung beschreibt Carle die methodische Arbeitsschritte seiner Arbeit: „ Methodisch wollen wir dabei in der Weise vorgehen, dass wir zuert die Weltanschauungstypen charakterisieren. Sodann soll aufgrund der Textanalyse versucht werden, die Denkstile der Zeitungen den Weltanschauungstypen zuzuordnen, um sie dann mit den jeweiligen Leserschichten zu konfrontieren.“(10) Die Weltanschuungstypen, die er argumentativ konstruiert, lässt er „als nützliche Fiktion“ und als methodische Hilfsmittel gelten ,um sich eine Übersicht in die verschiedenen Meinungen in der Presse zu schaffen. Da „ Die Kulturwissenschaften [ ] gegenüber der Naturwissenschaft, der zur rationalen Ordnung der Gattungsbegriff zur Verfügung steht, dadurch im Nachteil sind, dass sie sich erst einen Gattungsbegriff, die Idee, einen idealtypischen Begriff erarbeiten müssen“, befaast er sich zunaechst mit den fuenf Weilanschauungstypen.(11).Im weiteren Schritt der Arbeit stellt er im Kontext der „Beziehungen zwischen Partei, Presse und „Oeffentlicher Meinung“(51) den Zusammenhang zwischen der konservativ-aristokratischen, katholosch-klerikalen, liberal-demokratischen, völkisch-nationalistischen und marxistisch-sozialistischen Prinzipien und den jeweiligen Parteipresse her. Anhand von statistischen Angaben der Abonenten schätzt Wilhelm Carle die soziale Herkunft der Leserkreise der Zeitungen, um den Einfluss der Tagespresse auf die öffentliche Meinung einsehen zu können. In dem soziologischen Fazit am Ende seiner Arbeit macht Wilhelm Carle wie an Anfang seiner Arbeit eine Bemerkung, dass man weitere soziologische Untersuchungen der Presse braucht, um typische Charakteristiken der deutschen Presse auszeichnen zu können. „ Es bedarf keiner besonderer Betonung, daß eine derartige Untersuchung in toto nur durch eine systematische Kollektivarbeit geleistet werden könnte, für die bis heute so gut wie alle Ansätze fehlen“(9)
Wilhelm Carle sieht die Arbeit des Wissenssoziologen „an der Grenze zwischen Nationalökonomie und Philosophie stehend (und sich auf beide stützend)“(8) Deswegen befasst er sich mit einem politischen und einem moralischen öffentlichen Erreignis, die aber widerspüchliche Meinungen hervorrufen und in den Stellungsanahmen der Tagespresse zum Ausdruck kommen. Bei den Einführungsanmerkungen zu seiner Arebit fasst Wilhelm Carle die Schwierigkeiten der soziologischen Forschung so zusammen“ Während beispielsweise dem Naturwissenschaftler die äußere Bedingungenseiner Arbeit dadurch erleichtert sind, daß er es mit direkt wäg und –meßbaren Untersuchungsgegenständen zu tun hat, besitzt der Wissenssoziologe weder eine so genau umschriebene „Materie“, noch so bestimmte Maßstäbe, mit denen er an seine Aufgabe herantreten kann, Methoden und Maßstäbe müssen im wesentlichen noch erarbeitet werden.“(8)
An Nina Rubinstein schreibt Karl Mannheim einen einen Brief, ohne Datum nach seiner Zwangsbeurlaubung, wie sie ihre Promotion mit der Arbeit "Die franzoesische Emigration nach 1789" zu Ende fuehren kann. Wie wurde diese Arbeit entwickelt? Themen?
13. Juni 1932 Brief von Norbert Elias an Nina Rubinstein, der kurz nachdem Karl Mannheim Frankfurt verlassen hat, geschrieben wurde.
Margarete Freudenthal schrieb ihre Arbeit " Gestaltwandel der staedtischen buergerlichen und proletarischen Hauswirtschaft unter besonderer Beruecksichtigeung des Typenwandels der Frau und der Familie von 1760 bis zur Gegenwart" im Seminar von Mannheim, promovierte aber bei Marr. Das Gutachten von ...? über? Thesen?
Welche Gruende dazu gefuehrt haben, dass sich diese Studenten aktiv der Soziologie zugewendet haben, in der Form, in der sie Karl Mannheim vertritt?
Anhang:Norbert Elias als Gastprofessor in Frankfurt
- SS 1977 Während der Gastprofessur in Bochum hält Norbert Elias an der Universität Frankfurt a. M. Vorlesungen über „Soziologie-Marxismus-Psychoanalyse im Lichte der Zivilisationstheorie“, Kolloquium und Vorlesung, Mo abends n.V. und Di 14-15.30 Uhr.
- 1954- Elias schreibt an Max Horkheimer wegen der Entschädigungsverfahren. Horkheimer hat nie beantwortet. Adorno hat sich mit der Sache beschaeftigt und auch sein Gutachten gegeben.
- 1977-1978 Während seiner Gastprofessur in Frankfurt wollte Elias nicht nur Vorlesungen halten, sondern auch ein Seminar anbieten, hatte aber keinen Assistent. Nach Frankfurt wurde er vermutlich von Eike Hennig eingeladen.
- 1978 Das Gebäude, in dem das Kolloqium von Elias stattfand, wurde geschlossen und er hat sich an Ludwig von Friedeburg gewendet, ob er einen Raum im IfS für seine Veranstaltung bekommen könnte. Friedeburg lehnt seine Anfrage ab, mit dem Grund, dass das Institut keinen staendigen Hausmeister hat, der Montags so spät abends die Tür zuschliessen könnte.
- 19-20 Mai 1978 Elias hält einen Vortrag „Ist eine nicht-utopische Humanisierung von Menschen möglich?“ auf den 5. Römmerberggeschpräche „Humanisierung und Utopie“, auf die Foucault und Bergmann eingeladen waren, aber nicht teilgenommen haben. „Die Frankfurter“ Ludwig von Friedeburg hielt einen Vortrag über „Was ist utopisch an humaner Schule?“. Iring Fletscher über „Die Gefahr der Fantasielösigkeit und das Argument des Utopismus“, Rudolf Wiethölter über „Radikale Vereinfachung-zur grossen Koalition in humanen Utopien“
- 23.10.1989- In einem Brief an Nina Rubinstein schreibt Elias "Ich errinere mich noch gut daran, dass wir manchmal ueber Ihre Arbeit miteinander sprachen." Und weiter" Und was Sie erleben ist das normale Verfahren der Frankfurter Universitaet, eine Art von Wierdergutmachung." ueber ihre spaetere Promotion.
Links
Nachlass Norbert Elias [1]
Nachlass Nina Rubinstein [2]
Interview mit Toni Oelsner [3]