Ein hoher, aber schmaler Leuchtturm

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FORSCHUNG UND LEHRE Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.01.2008, Nr. 18, S. 35

Ein hoher, aber schmaler Leuchtturm

Die geforderte Rückbindung von Max-Planck-Instituten an die Universitäten würde das deutsche Wissenschaftssystem nicht stärken, sondern schwächen.

Von Peter Gruss

Selten zuvor hat es in der Bundesrepublik Deutschland eine derartige Aufbruchstimmung in den Universitäten gegeben. Dies ist vor allem der Exzellenzinitiative zu verdanken, die auf Dauer eine Profilierung des deutschen Hochschulsystems befördern und die jahrzehntelange Nivellierung der deutschen Universitäten beenden soll. Gemeinsam mit dem Pakt für Forschung und Innovation hat die Exzellenzinitiative gezeigt, dass Deutschland in der Forschungs- und Bildungspolitik, allen Unkenrufen zum Trotz, zu durchgreifenden Reformen imstande ist. Dabei wird die Tiefe der Reform allerdings davon abhängen, inwieweit es gelingt, die Exzellenzinitiative zu verstetigen. Und: Es bleibt abzuwarten, ob Deutschland sich mit neun Exzellenzuniversitäten nicht schlicht überfordert.

Außerdem befindet sich das deutsche Hochschulwesen wegen des Bologna-Prozesses in einem tiefgreifenden Wandlungsprozess. An die Stelle der bisherigen Diplom- und Magisterstudiengänge treten Bachelor- und Masterstudiengänge. Die bislang durchaus erfolgreich verlaufende Umstellung erfordert viel an Kraft und Mut. Aber sie setzt natürlich auch Ängste frei; denn der Bologna-Prozess bindet mehr Ressourcen in der Lehre als zuvor angenommen. Durch den stärkeren Praxisbezug des Universitätsstudiums und die formale Gleichwertigkeit der Abschlüsse kommt es zu einer deutlichen Annäherung des Fachhochschul- und Universitätsstudiums, weswegen einige Fachhochschulen nun recht vehement das Promotionsrecht fordern.

Max-Planck zu schleifen lohnt nicht

Vor diesem Hintergrund ist ein jüngst auf diesen Seiten (F.A.Z. vom 9. Januar) erschienener Beitrag von neun Naturwissenschaftlern, darunter der Nobelpreisträger Günter Blobel, zu lesen. Dankenswerterweise widmen sich die Autoren der hochaktuellen Frage, wie und ob sich die deutsche Grundlagenforschung neu orientieren soll. Nicht überzeugend ist hingegen das Ergebnis, das sich im Wesentlichen auf die Forderung reduziert, man möge doch die 78 Institute der Max-Planck-Gesellschaft als "universitäre Sondereinrichtungen mit eigenem Budget" in das Universitätssystem integrieren.

Den Vorteil dieses regelmäßig im Abstand von Jahren immer wieder vorgebrachten Vorschlags vermag ich nicht zu erkennen. Denn, warum sollte man eine weltweit geachtete und renommierte Forschungsorganisation wie die Max-Planck-Gesellschaft - im "Times Higher Education Ranking" unter allen Forschungsorganisationen weltweit auf Platz 1 - zerschlagen, wenn deutsche Universitäten in internationalen Rankings nicht unter den ersten fünfzig zu finden sind? Muss der Bogen nicht viel weiter gespannt werden, was bedeutet, sich den Ursachen für die Defizite zu stellen, die in Deutschland mitunter eine leistungsstarke wie effiziente Grundlagenforschung noch verhindern? Denn es ist ja keineswegs eine Schwäche der Grundlagenforschung im Allgemeinen, wohl aber eine Schwäche des deutschen Universitätssystems, die vor allem in einer chronischen Unterfinanzierung und wenig effektiven Strukturen begründet ist.

Hier gilt es anzusetzen. Einige Reformen können die Universitäten selbst durchführen, und viele sind mit dem Schwung der Exzellenzinitiative bereits dabei. Für anderes braucht es politische Richtungsentscheidungen und den Willen der Länder, Forschung und Wissenschaft auch im Budget einen höheren Stellenwert einzuräumen.

Den hohen, aber schmalen "Leuchtturm Max Planck" zu schleifen hilft jedenfalls nicht. Das zeigen allein schon zwei Zahlen: Während an deutschen Universitäten rund 12000 W3-Professoren tätig sind, sind es an Max-Planck-Instituten gut 260. Auch finanziell gesehen würde sich für die Universitäten eine Eingliederung der Max-Planck-Institute nicht lohnen, verfügt die Max-Planck-Gesellschaft doch gerade einmal über einen Haushalt von rund einer Milliarde Euro, was dem Etat zweier großer Universitäten mit Kliniken entspricht.

Eine Neuorientierung der Grundlagenforschung muss anders aussehen. Sie setzt mehr Freiheit, Veränderungswillen, Pioniergeist und Wettbewerbsmentalität, vor allem aber flexiblere äußere Rahmenbedingungen voraus. Hier bahnt sich derzeit mit Initiativen verschiedener politischer Akteure eine höchst positive Entwicklung an, hin zu mehr Forschungsfreiheit in Deutschland, hin zu besseren rechtlichen und administrativen Rahmenbedingungen für die Wissenschaft. Eine erfolgversprechende Neuorientierung wird sich die besonderen Stärken des deutschen Wissenschaftssystems sinnvollerweise zu eigen machen und die Vielfalt der Akteure berücksichtigen, die in einer guten und anregenden Balance von Wettbewerb und Kooperation ihre Stärken ausspielen.

2900 Stunden für die Universität

Anders als oft vermutet, leistet sich Deutschland mit den außeruniversitären Forschungseinrichtungen zwar eine besonders effiziente, aber eben keine besonders teuere Grundlagenforschung. Vielmehr liegen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE) in Deutschland mit 45 Prozent für den außeruniversitären Sektor im OECD-Durchschnitt nur im Mittelfeld: Während in Deutschland im Jahr 2004 rund 9 Milliarden Euro öffentliche Mittel allein für die Forschung in die Hochschulen flossen (und noch mehr für die Lehre), erhielt die Max-Planck-Gesellschaft die schon zitierte eine Milliarde. International ist dies nicht sehr beeindruckend: Allein die im Vergleich zu Harvard "kleine" Stanford University hat ein Jahresbudget von rund 1,7 Milliarden Euro.

Das angesehene Wissenschaftsmagazin "Nature" resümierte im Juni 2007 in einem Artikel über die deutsche Forschungslandschaft: "Deutschland steht, was die Ausgaben für Forschung und Entwicklung angeht, weltweit auf Platz vier, und wenn man seine wissenschaftliche Leistung betrachtet, scheint dies Geld gut angelegt zu sein. Aber viel dieser wissenschaftlichen Leistung kommt aus den Instituten der Max-Planck-Gesellschaft." Es gibt also keinen Grund, sich zu verstecken. Aber auch keinen, Veränderungen gerade dort anzusetzen, wo man uns international besondere Stärken attestiert.

Wo aber dann muss die Veränderung ansetzen? Sie muss mehr Freiheit, aber auch mehr Willen zur Veränderung, mehr Pioniergeist und aktive Strategiearbeit schaffen. Was verstehe ich darunter? Forschung läuft anders als in Hochschulen, das beginnt schon in der Berufungspolitik. Gemäß dem Harnack-Prinzip sucht die Max-Planck-Gesellschaft international nach besonders fähigen Köpfen. Das künftige Forschungsgebiet ist dabei nur locker abgesteckt. Ist die Max-Planck-Gesellschaft auf ihrer weltweiten Suche nach der passenden Wissenschaftlerin, dem passenden Wissenschaftler nicht überzeugt, kann die geplante Abteilung nicht entstehen, was den Weg für neue Ideen freimacht.

Als es beispielsweise nicht gelang, herausragende Persönlichkeiten für das MPI für Geschichte zu gewinnen, wurde das Institut geschlossen. Die Ressourcen fließen nun in das neugegründete Institut für die Erforschung multiethnischer und multireligiöser Gesellschaften - ein Thema, das jetzt aktueller denn je ist. Ähnlich verhält es sich nach der Emeritierung eines Wissenschaftlers, dessen Abteilung dann geschlossen wird. So rückt an die Stelle der Virusforschung vielleicht die Entwicklungsbiologie, an die Stelle der Kernphysik die Astroteilchenphysik. Nicht zuletzt durch eine wissenschaftliche Vorausschau werden neue, gesellschaftlich relevante Forschungsfelder identifiziert, wie das gerade gegründete Max-Planck-Institut für die Biologie des Alterns zeigt. Ein derartig hohes Maß an Freiheit, bei gleichzeitiger Dichte an Exzellenz, kann eine Universität nicht leisten, schon weil sie andere Aufgaben besitzt und die Breite der Ausbildung sicherstellen muss. Wer also die Integration der Max-Planck-Institute in die Universität fordert, hat das System "Max Planck" nicht verstanden und läuft bei dem berechtigten Wunsch nach Neuorientierung in die falsche Richtung.

In der breiten Öffentlichkeit ist vielleicht zu wenig bekannt, dass die Kooperation zwischen Universitäten auf der einen und Max-Planck-Instituten auf der anderen Seite seit langem hervorragend funktioniert. So ist die Max-Planck-Gesellschaft an rund siebzig Prozent der Exzellenzcluster und an der Hälfte der Graduiertenschulen der Exzellenzinitiative beteiligt. Mehr als achtzig Prozent der MPG-Direktoren sind Professoren an Universitäten, rund 2900 Semesterwochenstunden werden von Max-Planck-Wissenschaftlern gehalten. Dabei betreuen Wissenschaftler in Max-Planck-Instituten - vor allem in den 49 International Max Planck Research Schools - derzeit rund viertausend Doktoranden und damit vergleichbar viele wie ansonsten nur die wenigen großen deutschen Universitäten.

Neue Pilotprojekte wie beispielsweise das in Mainz geplante Graduate Center entwickeln die Gedanken der Exzellenzinitiative weiter und sollen neue Strukturen der Zusammenarbeit erproben. Dabei geht es der Max-Planck-Gesellschaft nicht darum, das Promotionsrecht für außeruniversitäre Einrichtungen zu erhalten. Weder ist das Graduate Center einfach eine "außeruniversitäre Einrichtung", noch verliert die Universität die Kontrolle über das Promotionsverfahren, denn ohne ihre Zustimmung und Mitwirkung kann das Graduate Center nicht handeln. Ziel des Mainzer Graduate Centers ist es, im Bereich der Chemie ein weltweit bedeutendes Zentrum auszubauen und damit die universitäre Forschung auch an Orten jenseits der "Exzellenzstandorte" zu stärken. Ist es nicht genau das, was die Autoren in der F.A.Z. gefordert haben?

Peter Gruss ist Biologe und seit 2002 Präsident der Max-Planck-Gesellschaft.


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