Einführung des Diplomstudiengangs Soziologie in Frankfurt

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von Klaus Lichtblau

(1) Der Diplomstudiengang Soziologie wurde in Frankfurt im Unterschied zur FU Berlin 1954 zunächst ausschließlich in der Philosophischen Fakultät eingerichtet; faktischer Träger dieses für die BRD völlig neuen berufsorientierten Studiengangs war aber das IfS, das zu diesem Zeitpunkt zugleich den Status eines "Soziologischen Seminars" hatte: letzteres wurde aufgrund des von Herrn v. Friedeburg im Rahmen seiner Berufungsverhandlungen geäußerten Wunsches im WS 1966/67 aus dem IfS ausgegliedert und auch räumlich vom IfS getrennt in der Myliusstraße 30 untergebracht; damit wurde das IfS allerdings in zunehmenden Maße von der Lehre abgekoppelt und verstand sich bald als reines Forschungsinstitut - ein Zustand, an dem sich übrigens zu seinem eigenen Schaden bis heute nichts mehr geändert hat (Frage: Wie entwickelt sich die Forschung? Antwort: Durch die Rekrutierung eines entsprechenden wissenschaftlichen Nachwuches, der selbst bereits in seinem Studium die Möglichkeit zur Teilnahme an Forschungsprojekten eingeräumt bekommen hat). Zur Einrichtung eines Soziologischen Instituts ist es im Unterschied zu anderen deutschen Universitäten dieser Zeit bis zur Gründung des Fachbereichs Gesellschaftswissenschaften übrigens deshalb nie gekommen, weil sich in Frankfurt die Wiso-Fakultät und die Philosophische Fakultät förmlich darauf geeinigt hatten, daß keine der beiden Fakultäten ein solches Institut mit Alleinvertretungsanspruch für die soziologische Forschung und Lehre gründen darf (Quelle: Alex Demirovic, Der nonkonformistische Intellektuelle, F/M 1999, S. 392ff., 406ff. und 425ff.).

(2) Mitte der 1960er Jahre wurde dann offensichtlich eine gemeinsame Diplomprüfungsordnung zwischen der Philosophischen Fakultät und der Wiso-Fakultät vereinbart, an der sowohl die IfS-Soziologen als auch die Wiso-Soziologen beteiligt waren und die bis zum Zeitpunkt der Auflösung der Fakultäten sowie der Gründung der Fachbereiche im Jahr 1971 Bestand hatte (Quelle: Rüegg-Interview).

(3) Im Laufe der 1970er Jahre trat dann eine neue Studien-und Prüfungsordnung in Kraft, an der nicht nur die Soziologie, sondern auch die Politikwissenschaft als maßgebliche Fächer gleichberechtigt beteiligt waren. Seitdem existiert in Frankfurt kein reiner Diplom-Studiengang für Soziologie mehr, sondern nur noch ein integrierter Diplomstudiengang Sozialwissenschaften mit entsprechendem Professionalisierungsminus beider Fächer, der heute allerdings im Auslaufen begriffen ist, weil sich die Politikwissenschaftler seit dem WS 2007/08 an diesem Studiengang nicht mehr beteiligen und die Soziologen voraussichtlich ab dem WS 2008/09 ebenfalls einen BA-Studiengang Soziologie haben werden. Ein Studienbeginn in dem alten Studiengang wird dann auch in Frankfurt für die angehenden Soziolog(inn)en nicht mehr möglich sein. Herr Oevermann hat in dem Interview, das wir mit ihm geführt haben, übrigens die bemerkenswerte These aufgestellt, daß die Einrichtung dieses gemeinsamen Diplomstudiengangs ein großer Fehler war, weil dieser einseitig die Vertreter(innen) der Politikwissenschaft an unserem Fachbereich begünstigt und die seit diesem Zeitpunkt in Frankfurt tätigen Soziolog(inn)en bei der Ausbildung einer entsprechenden disziplinären Identität und Professionalität behindert habe. Die Quittung dafür hätten wir inzwischen bekommen: nicht nur seien die Politikwisssenschaftler heute die eigentlichen Strippenzieher an unserem Fachbereich, sondern sie hätten sich als "opportunistischer Haufen" bei nächstbester Gelegenheit von diesem gemeinsamen Diplomstudiengang wieder verabschiedet, weil sie sich von den neuen BA- und MA- Studiengängen mehr Chancen für die Entwicklung ihrs Faches versprechen. Diejenigen Kolleg(inn)en der Institute I und III, die sich immer gegen eine disziplinäre Ausdifferenzierung der beiden Fächer gestemmt und bis zuletzt den unhaltbar gewordenen Diplomstudiengang verteidigt haben, haben also implizit der Frankfurter Soziologie sehr geschadet und sich aus vermeintlich "politischen" Loyalitätsverpflichtungen gegenüber ihren Kolleg(inn)en des Instituts II gewissermaßen als Steigbügelhalter der politikwissenschaftlichen Machtergreifung an unserem Fachbereich betätigt (und tun dies auch heute noch, wie man bei der letzten Dekanatswahl an unserem Fachbereich im vergangenen Jahr erfahren durfte). Die Zeche müssen allerdings diejenigen Soziolog(inn)en bezahlen, die nicht bereits jetzt oder demnächst in den wohlverdienten Ruhestand gehen, sondern auch noch 2010 ff. an der Universität Frankfurt in Amt und Würden sind und den inzwischen eingetretenen Schaden wieder reparieren können. Merke: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben ...

Übrigens: Die Intervention in laufende Berufungsverfahren hat an unserem Fachbereich bereits eine lange Tradition und betrifft in der Vergangenheit nicht nur das Verhältnis der beiden Fächer Politikwissenschaft und Soziologie, wie dies heute zu unseren Ungunsten überwiegend der Fall ist, sondern auch das Verhältnis der jeweiligen professoralen Mehrheitsfraktion zur entsprechenden Minderheitsfraktion. So soll sich die "Gruppe 75", die damals als "bürgerliche" Fraktion am Fachbereich notorisch in der Minderheit war und der auch die Professoren Czempiel, Hondrich und Oevermann angehörten, bei Berufungsverfahren ebenfalls durch entsprechende Minderheitsvoten und Interventionen im Senat, Präsidium und Hessischen Wissenschaftsministerium unrühmlich, dafür umso erfolgreicher hervorgetan haben.