Gesellschaftstheorie
Entsprechend dem Wunsch „an der Erziehung der jungen Generation in Deutschland mitzuwirken und, entgegen dem Zug der verwalteten Welt, wie Adorno sie taufte, den autonomen Gedanken in unseren Studenten zu entfalten, unbekümmert um das statistische Ausmaß seiner Möglichkeiten“<bibref f="sozfra.bib">Kraushaar:2008d</bibref> schafften Horkheimer und Adorno in den 1960er Jahren durch Publikationen und der Nähe zu den Studenten dieses Verlangen zu verwirklichen. Hierbei scheint insbesondere Max Horkheimers und Theodor W. Adornos Kritische Theorie, vorzugsweise die Dialektik der Aufklärungaus dem Jahre 1947, sowie die negative Dialektik von Adorno 1966, als Nährstoff für die Gedanken und schließlich kämpferischen Okkupationen der Hochschüler gedient zu haben. Ob die tatsächlich eingetroffenen Ereignisse in einem solchen Ausmaß von Horkheimer und Adorno beabsichtigt waren, lässt sich im Nachhinein nicht wahrheitsgemäß überprüfen, mit Sicherheit lässt sich die Forderung im oben angeführten Zitat jedoch als eine Art psychologischer und instrumenteller Versuch ausmachen. Aber auch Herbert Marcuses Werke wie Triebstruktur und Gesellschaft (1955), Der eindimensionale Mensch (1964), der Essay zur Repressiven Toleranz (1965) und Schriften zu Autorität und Familie in Zusammenarbeit mit Fromm und Horkheimer gehören zu den wichtigsten Büchern der Kritischen Theorie. "Vor allem der im californischen Exil lebende Herbert Marcuse, (....)wurde schon früh ein theoretischer Stichwortgeber für die antiautoritäre Linke"<bibref f="sozfra.bib">Schildt:2008</bibref>
Erstmals wird die Bezeichnung Kritische Theorie in der 1937 veröffentlichten Schrift Traditionelle und Kritische Theorie Horkheimers verwendet, wobei sie fokussiert auf die Kontroverse zwischen den bestehenden und den möglichen Verhältnissen innerhalb einer Gesellschaft verweist, die man als Objekt eben dieser selbst kreiert. In hohem Maße basierend auf die Essaysammlung Dialektik der Aufklärung, wurden die kritischen Denkmodelle, Auffassungen, Begrifflichkeiten und Ideen von der antiautoritären Protestbewegung aufgegriffen und für ihre eigene Propaganda verwendet.<bibref f="sozfra.bib">Kraushaar:2008c</bibref> Die jungen Akademiker testeten, verifizierten oder verwarfen die aufgestellten Thesen der Theoretiker, zu denen auch Fromm, Marcuse und zahlreiche weitere Gelehrte gezählt werden. Die erstaunliche Kurzlebigkeit der aufgegriffenen Theoreme sollte charakteristisch für die Beschäftigung mit ihnen und der uneigenen Theoriebildung der Studentenbewegung sein.<bibref f="sozfra.bib">Kraushaar:2008b</bibref>
Hans-Jürgen Krahl, einer der besten Schüler Adornos und zugleich Studentenaktivist, galt als ein theoretischer Hauptverfechter der 68er-Bewegung. Er ging davon aus, „dass der Monopolkapitalismus die kapitalistische Zirkulationssphäre beseitigt hatte.“<bibref f="sozfra.bib">Kraushaar:2008d</bibref> Bezug nahm er mit dieser These auf Horkheimers Aufsatz Autoritärer Staat, den dieser 1940 verfasste. Durch die Beseitigung der Zirkulationssphäre wandelte sich die Konstellation der gesellschaftlichen Bedingungen. Liberalkapitalistische Grundvoraussetzungen seien durch die deliberalen Austauschbedingungen ungleicher Tauschpartner in der Marktwirtschaft nicht mehr gegeben und verloren als Legitimationsgrundlage des modernen Rechtsstaates ihre Aufgabe. Die Regierenden behalten durch ihre Staatsintervention die Oberhand und verhindern durch die Steuerung des Kapitals Revolutionen. Gleichwohl ist jederzeit eine Diktatur möglich. Diese Aufhebung des liberalen Kapitalismus, wie Marx ihn propagierte, sei nicht mehr gegeben. Krahl versucht durch diese verstärkt kapitalismuskritische Weiterführung Horkheimers Gedanken, eine Umwälzung des bestehenden Monopolkapitalismus mit Hilfe eines theoretischen Grundgerüstes einer möglichen Revolution zu entfachen. Zugleich erfüllt das revolutionäre Handeln alle drei Eigenschaften der Kritischen Theorie: „sozialpsychologisch ist es antiautoritär und nonkonformistisch, politisch ist es die systematisch begründete, voluntaristische, bestimmte Negation bestehender Herrschaftsverhältnisse, philosophisch ist es erkenntniskritisch-praktisch an der Konstitution einer neuen Gegenstands- und Erfahrungswelt orientiert.“<bibref f="sozfra.bib">Kraushaar:2008d</bibref>
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