Humboldt und die Exzellenz

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FORSCHUNG UND LEHRE Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.11.2007, Nr. 264, S. 41

Humboldt und die Exzellenz: Protokoll einer Enttäuschung

Die Humboldt-Universität zu Berlin hat es nicht geschafft. Der Titel "Eliteuniversität" wurde ihr versagt. Weshalb? Und wie reagiert sie darauf?

Gegen Mittag des 19. Oktobers war es endlich heraus. Von den acht noch am Exzellenzwettbewerb beteiligten deutschen Universitäten wurden sechs für ihr wegweisendes Zukunftskonzept mit einer Auszeichnung belohnt. Sie werden sich fortan mit dem ebenso schmeichelhaften wie irreführenden Titel "Eliteuniversität" präsentieren und dürfen in den kommenden fünf Jahren bis zu 100 Millionen Euro in exzellente Forschungsverbände, internationale Kooperationen und vor allem in den in Deutschland bisher völlig unüblichen Ausbau ihrer akademischen Marke investieren. Aus bereits Vorbildlichem soll Besseres werden.

Doch elitär wird nun nicht die einstige Reformuniversität aus Preußen ihren Weg bestreiten. Die Freie Universität in Dahlem (FU) hat das Rennen, zumindest in Bezug auf die symbolisch wirksame dritte Wettbewerbssäule, alleine gemacht. Und während auf dem westlichsten Campus der Stadt schon an der Umsetzung des Zukunftskonzepts gearbeitet wird, verkündet der unterlegene Präsident der Humboldt-Universität, Christoph Markschies, einen selbstbewussten Notfallplan. Erstaunlicherweise gehorcht der einer einfachen Arithmetik. Die herausragenden Zielsetzungen aus dem insgesamt erfolglosen Zukunftspapier sollen jetzt mit wesentlich mehr Zeit und mit Hilfe anderer Ressourcen umgesetzt werden. So ist der B-Plan in Wirklichkeit ein von der Logik des Wettbewerbs befreiter A-Plan.

Man fragt sich sogleich: Hat die Universität denn gar nichts gelernt aus ihrer Niederlage? Und warum hat sich ihr durch hochschulpolitisches Engagement bislang noch wenig hervorgetretener Präsident darauf verstiegen, das Zukunftskonzept künftig aus eigener Kraft zu stemmen? Eine Antwort könnte zum Beispiel lauten: weil sich die Niederlage strenggenommen überhaupt nicht durch das ökonomische, sondern ausschließlich durch das symbolische Kapital des Exzellenzwettbewerbs definiert - durch den nicht erlangten Elitestatus. Den kann man sich nachträglich zwar nicht mehr besorgen. Universitäre Exzellenz hingegen schon.

Die Sache mit den Gewinnern und den Verlierern ist also vertrackter als zunächst angenommen. Die Humboldt-Universität hat zum Beispiel allein vier Graduiertenschulen alleine oder in Kooperation mit anderen Berliner Universitäten erfolgreich durch den Wettbewerb gebracht und ist unter anderem an dem prestigereichen Forschungsverbund NeuroCure beteiligt, in dem Universitätsmediziner der Charité die Therapiemöglichkeiten neurologischer Erkrankungen erforschen. Durch das bereits zum jetzigen Zeitpunkt ausgebaute interdisziplinäre Engagement der Humboldt-Universität und nicht zuletzt durch die in der ersten und zweiten Wettbewerbskategorie gewonnenen Graduiertenschulen und Exzellenzcluster konnten üppige Mittel eingefahren werden, die Humboldts Erben langfristig auch zu Gewinnern machen; zu Profiteuren eines Wettbewerbs, der in seinen Einzelteilen viel weniger pathetisch ist, als die ambitionierten Schlagworte "Exzellenz" und "Elite" suggerieren.

So ist es weder unrealistisch noch borniert, wenn die Humboldt-Strategen ihre Zukunftsvisionen nun nicht in die Schredder werfen, sondern ihre besten Ideen schon mal für den nächsten Schlagabtausch im akademischen Staffellauf bereithalten. "Wir werden langfristig nicht mehr hinter unsere Ansprüche zurückgehen. Und dazu gehört sicherlich auch der systematische Aufbau eines modernen Hochschulmanagements", sagt Tile von Damm, Koordinator des Zukunftsantrags "Translating Humboldt into the 21st Century". Der umfasste 200 Seiten und enthält im Grunde all das, was die anderen Exzellenz-Kandidaten auch versprochen haben: Profilbildung, Internationalität, Interdisziplinarität, Nachwuchs- und Frauenförderung, interner Wettbewerb. Im Bereich der "Visionen" geht es den Universitäten nicht anders als den Firmen mit den ihren und der Reklame: Man kommt immer auf dieselben klassischen Sprüche zurück.

Das bot sich im Rahmen des Exzellenzwettbewerbs auch insofern an, als mancher internationale Juror dieses Wettbewerbs nur bescheidene Kenntnisse des deutschen Hochschulsystems verriet. Mit den weltweit standardisierten Zielformeln hingegen sind die Funktionäre aller Länder vertraut.

Tile von Damm ist sich sicher, dass sein Job noch lange nicht beendet ist. Besonders das Kernstück des Humboldt-Papiers, das gemeinsam mit der Charité getragene "Interdisziplinäre Forschungsinstitut Lebenswissenschaften", soll die Ideale der Berliner Universitätsgründung von 1810, die Verbindung von Forschung und Lehre, an die Rahmenbedingungen einer globalisierten und zukunftsorientierten Hochschulpolitik anpassen. Das Institut soll Forschungen zur Entscheidungstheorie, zur Evolutionsbiologie, zu Gesundheitsfragen und zu großflächig formulierten Themen wie "Stabilität, Plastizität und Anpassung" oder "Synchronisierung und Lebensrhythmen" eine organisatorische Struktur geben.

Schaut man näher nach, ist allerdings hier wie bei anderen interdisziplinären Großprojektionen ganz offen, wie die entscheidungstheoretischen Kenntnisse eines politischen Ideengeschichtlers einen theoretischen Biologen informieren sollen oder wie ein Kunsthistoriker mit Forschergrupen zu regenerativen Therapien sich austauschen soll. Auf dem Papier knüpfen sich Vernetzungen leicht, aber ob sie dann in Wirklichkeit auch halten? So liest es sich jedenfalls: "Auf der Ebene Organismus/Population/Gesellschaft könnten Projekte fragen, wie Individuen miteinander interagieren, um synchronisiertes Verhalten zu erzeugen. Modellsysteme hierfür reichen von den Paargesängen der Insekten (Sonderforschungsbereich 618) bis zu ökonomischen Transaktionen." Man kann nur wünschen, dass in diese Art von Analogiebildung weder Exzellenz- noch andere Gelder jemals gesteckt werden.

Mit anderen Worten: Wer den Zukunftsantrag der Humboldt-Universität, aber auch ihrer Exzellenzkonkurrenten liest, bewegt sich über weite Strecken in Texten, die über die Wirklichkeit von Forschung und Lehre so viel berichten wie Reklame über die Ware. Der Sinn großer Strukturbildungen wie "Cluster" und "Integrierende Institute" bleibt im Dunkeln. Das gilt bislang auch für den neuerlichen Vorschlag von Berlins Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner, in Berlin eine "Super-Uni" zu etablieren. Spitzenkräfte aller Berliner Universitäten und Forschungszentren mit eigener Forschungssteuerung, eigenen Elitestudenten und eigenem Promotionsrecht sollen in Zukunft unter einem Dach vereint werden. Die frisch geadelte FU unter ihrem Präsidenten Dieter Lenzen hat dieses Angebot, noch ganz unter dem Eindruck des eigenen Erfolgs stehend, schon abgelehnt. Vor dem Exzellenz-Entscheid war man da offener: Die Bereitschaft, Undurchdachtes gut zu finden, korreliert eben stark mit taktischen Erwägungen.

Noch kennen Tile von Damm und das kleine Strategie-Team um HU-Präsident Markschies die Gründe für das Scheitern ihres Antrags nicht. "Wir befinden uns in einer seltsamen Zwischenphase, in der viel gemunkelt wird und in der es unterschiedlichen Leuten unterschiedlich geht", sagt von Damm. Denn im Grunde habe man hier nicht nur mit einem Sieg gerechnet. Man habe an ihn geglaubt. Das zweihundert Seiten starke Zukunftskonzept liegt in einer Ecke der schmucklosen Wettbewerbszentrale. Die Hauptaufgabe der nächsten Wochen wird die Auswertung eines anderen Dokuments sein - die des im Moment noch unveröffentlichten Gutachtens.

Enttäuschung und Frustration werden dann immer wieder eine Rolle spielen. Besonders, weil ein bereits jetzt als sicher geltendes Faktum nicht recht ins Bild passen will. Die Jury hat dem Zukunftskonzept der Humboldt-Universität ein gutes Zeugnis ausgestellt. Für den Umstand, dass die Hochschule trotzdem nicht den Zuschlag bekommen hat, kommt folglich nur eine Erklärung in Frage: Man hat der Universitätsführung die Umsetzung ihres eigenen Zukunftskonzepts wohl nicht zugetraut. Sicherlich hatte der erst im Januar 2006 unter widrigen Bedingungen inthronisierte HU-Präsident weniger Zeit als die Konkurrenz, seinen Antrag auf ein tragfähiges Fundament zu stellen. Doch eilt dem Kirchenhistoriker Markschies auch nicht der Ruf eines gewitzten Hochschulstrategen voraus. Ist die Niederlage der Humboldt-Universität am Ende also ein Managementproblem?

Auf die Beantwortung dieser Frage will sich hier niemand festnageln lassen. Auch nicht einer der emphatischsten Anhänger der modernen Hochschulvermarktung im Zeichen der Elite. Dirk Radzinski ist der Gründer von "Humboldt Innovation", einer seit 2005 existierenden Agentur, die der Universität unter anderem Industrieaufträge wie Messungen, Analysen oder Recherchen zuspielt und damit die Schnittstelle zur Wirtschaft besetzt. Radzinskis Zukunftsanliegen ist der Ausbau der Marke "Humboldt".

Den Schaden, den das Projekt durch die Niederlage im Exzellenzwettbewerb genommen hat, hält Radzinski für irreparabel. Ein über das Humboldt-Emblem aufgezogenes Kommunikationskonzept nach dem Vorbild der amerikanischen Ivy-League-Universität - wie es im Humboldt-Shop mit dem Verkauf von Merchandisingartikeln übrigens schon seit Jahren umgesetzt wird -, hätte man in Verbindung mit dem Etikett "Elite" ausweiten können. Die Chance ist nun an den Hochschulreformern vorbeigezogen. "Unfassbar", urteilt Radzinski, "ich würde das gleiche Geld, das uns die Exzellenzinitiative einbringen sollte, ausgeben, wenn wir dafür den Elitestatus bekämen." So ist auch hier die Niederlage im deutschen Hochschulwettrüsten eine Frage der Interpretation. Die Schlacht um das Image und in seiner Folge die besten - oder für Imagekonstruktionen anfälligsten - Studenten hat gerade erst begonnen.

KATHARINA TEUTSCH


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