Kurze Einführung zur Entstehung des narrativen Interviews

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Kontext der Entstehung des Narrativen Interviews

In den 1970ern entstand mit Hans Paul Bahrdt die Vorstellung, die Erzählung sei der bedeutendste Typus „der Reflexion und der Aktualisierung von Identität“. Bahrdt argumentierte, dass gerade da, wo es um Alltägliches gehe, Anhaltspunkte für „Bewußtseinsbestände, die den ‚Mutterboden‛ für politische Orientierung abgeben“, zu finden sind (Bude 1985: 327). Fritz Schütze entwickelte, angeregt durch William Labov und Joshua Walezky (1973), das narrative Interview, ebenfalls in den 1970er Jahren. Im Rahmen der Gemeindeforschung und Analyse von kommunalen Machtstrukturen – Gemeindezusammenlegung und deren Namensgebung – stellten Gemeindepolitiker Ereignisverknüpfungen, welche sich aus der Zusammenlegung heraus ergaben dar (http://www.bildungsforschung.org/Archiv/2005-02/interview?set_language=de; Bude 1985: 327). In den darauf folgenden Jahren entwickelte er es im Rahmen der Biografieforschung weiter und plädierte dafür, unabhängig von dem Schwerpunkt der Forschung, zur Narration der gesamten Lebensgeschichte aufzufordern (Rosenthal 2005: 137 f.) – „Nun kann man aber nicht davon ausgehen, daß für die soziologische Theorienbildung all das irrelevant ist, was mit individuellem Lebensschicksal zu tun hat“ (Schütze 1983: 283 f.). Er exponierte so eine Methode zur „Hervorlockung, Speicherung und Analyse autobiographischer Primärdaten“ (Schütze 1981: 67), welche von Gabriele Rosenthal auf der Analyseebene weiterentwickelt wurde (Fischer-Rosenthal / Rosenthal 1997; Rosenthal 2005). Heinz Bude sieht in der Weiterentwicklung des „soziologischen Narrativismus“ und der Suche nach einer erklärenden Theorie dieser Kommunikationsform im narrativen Interview eine „Fundamentalisierung des Artikulationsform der Erzählung“ (Bude 1985: 328 – 329).



Das Verfahren des Narrativen Interviews

Zum Begriff des Narrativen Interviews

narrativ - narrativus, erzählend, oder narrativus, a, um (narro), zum Erzählen geeignet, erzählender Art (Georges 2002: 1092 (36.775 f.)) Narratives Interview: „Der Begriff des „narrativen Interviews“ wird in der sozialwissenschaftlichen Diskussion heute – entgegen Schütze, der schon »amtliche« Biografienarrationen und durch Interviewstimuli wie z.B. Berufsbiografie als defekte narrative Interviews bezeichnet (Schütze 1984: 89) – inflationär angewandt.“ D.h., schon wenn nur in einzelne Teile eines Leitfadeninterviews zur Erzählung aufgefordert wird, charakterisiert man dieses als narrativ (Fischer- Rosenthal / Rosenthal 1997: 139 FN: 24).


Methodologische Grundlagen

Der methodologischer Bezugsrahmen des narrativen Interviews ist vor allem durch die phänomenologische Soziologie (Alfred Schütz) sowie die Soziologie der Chicago School, insbesondere durch den Symbolischen Interaktionismus und die Ethnomethodologie geprägt (Schütze 1977, Apitzsch / Inowlocki 2000).


Phasen des Narrativen Interviews bei der Datenerhebung

Das narrative Interview beginnt mit einer autobiografisch orientierten Erzählaufforderung, woraufhin der erste Hauptteil, die autobiografische Anfangserzählung, erfolgt. Diese sollte, wenn sie verständlich und auf die tatsächliche Biografie bezogen ist, nicht vom Forschenden unterbrochen werden (Schütze 1983: 285). Erst nach Beendigung dieser Phase werden im zweiten Hauptteil vom Erzählenden angesprochene Themen aufgegriffen und narrativ hinterfragt (Schütze 1983: 285; Rosenthal 2005: 147 f .) – „Rückgriff-Frage-Strategie“ (Bude 1985: 328). Im dritten Hauptteil werden dann Fragen zu externen – also vom Biografieträger nicht erwähnten – Themenbereichen, die für den Forscher von Interesse sind, angesprochen (Fischer-Rosenthal / Rosenthal 1997: 147; Rosenthal 2005: 148). Auf allen Ebenen des narrativen Interviews sollten Fragen gestellt werden die zur Narration geeignet sind, wohingegen Fragen wie: „Wieso…“, „Warum…“, „Weshalb…“ etc. vermieden werden sollten, da diese eher zu Argumentationen führen (Rosenthal 2005: 149). Im Rahmen der systematischen sozialwissenschaftlichen Forschung werden so Datenskripte erzeugt, welche möglichst zusammenhängend „lebensgeschichtliche Erfahrungsaufschichtungen des Biographieträgers“ faksimilieren (Schütze 1983: 285).

Ferner ist es wichtig, dem Interviewten zu vermitteln, dass es bei der Narration darum geht, wie er das zu Erzählende selbst erlebt hat und nicht um eine „sachlich-nüchterne Version des eigenen Lebens“ (Schütze 1984: 91). Im Unterschied zum Leitfadeninterview bzw. standardisierten Interviews mit einem vorformulierten Fragenkatalog geht es beim narrativen Interview (auch offenes Interview) darum, dem Interviewten eine aktive Rolle im Gespräch zukommen zu lassen. Der Verlauf des Gesprächs orientiert sich an den Aussagen und Äußerungen des Erzählenden, wodurch dieser die Substanz des Forschungsprozesses bildet. So wird das Interview nicht als Instrument der Informationsabfrage verstanden, sondern ermöglicht dem Befragten, durch den interaktiven Prozess seine eigenen Perspektiven zu entfalten (Rosenthal 2005: 126 f.; Schütze 1984: 79 f.).



Zugzwänge des Erzählens und Kognitive Figuren im Narrativen Interview

Aufgrund der Tatsache, dass es sich bei dem narrativen Interview um eine Stegreiferzählung handelt, bei welcher der Erzählende zunächst ehemals Erlebtes und Erfahrungen Revue passieren lässt und diese analog wiedergibt, treten bestimmte Zugzwänge in Kraft (Schütze 1984: 79). Diese lassen sich nach Schütze in drei Formen unterscheiden: Gestalltschließungszwang, Detaillierungszwang und Kondensierungszwang. Beginnt der Erzählende eine Narration, wird von ihm erwartet, dass diese auch zu Ende geführt wird - Gestalltschließungszwang. Ferner wird erwartet, dass die Erzählung so detailreich ist, dass sie vom Zuhörer auch nachvollzogen werden kann – Detaillierungszwang. Dennoch nicht so umfangreich, dass dadurch die Sinnhaftigkeit gefährdet wäre – Kondensierungszwang. Auch steht dem Erzähler und de Interviewten nicht und Interviewer nicht unbegrenzt Zeit zur Verfügung (Rosenthal 2005: 141 f.). So werden die biografischen Lebensphasen nicht nur durch Inhalte, sondern auch dadurch wiedergegeben, wie sie der Biografieträger darstellt (Schütze 1984: 78-83; Rosenthal 2005: 141 f.). Des weitern führen diese „Zwänge des Erzählens“ dazu, dass der Interviewte in einem Erzählfluss mehr erzählt oder mehr preis gibt, als er zunächst bereit gewesen war (Rosenthal 2005: 141).

Neben diesen drei Zugzwängen entstehen im narrativen Interview Stukturierungs- bzw. Ordnungsprinzipien. Diese kognitiven Figuren, die bei der narrativen Vergegenwärtigung eigener Erfahrungen zum Tragen kommen, sind die grundsätzlichsten Darstellungsraster, welche die Zusammenhänge und Synthesen in der aktuellen Narration erzeugen (Schütze 1984: 80). Erste Anzeichen einer Strukturierung lassen sich durch „formale Rahmenschaltelemente und qualifizierende Markierer wie »/eh/ na, und dann ()«“ erkennen (Schütze 1984: 79). Diese Ordnungsprinzipien dienen der Systematisierung des Erinnerungs- und Erzählstroms, müssen jedoch für alle sich „möglicherweise […] entwickelnden Erzählkomplikationen“ flexibel sein (Schütze 1984: 80). Im Einzelnen unterscheidet Schütze vier kognitive Figuren (Schütze 1984: 81, 84 – 108): (1) „Biographie- und Ereignisträger nebst der zwischen ihnen bestehenden bzw. sich verändernden sozialen Beziehung“ – Hier beginnt die autobiografische Narration mit der Selbsteinführung des Biografieträgers in einer „expositional beschreibenden Darstellung“ (Schütze 1984: 84). Des Weiteren werde Ereignisträger, d.h. „soziale Einheit[en]“ welche von biografischer Wichtigkeit sind, eingeführt. Dies können neben Personen auch Sachen (erstes Auto, eigenes Haus etc.) oder „kollektive soziale Einheiten“ sein. Der Biografieträger kann sich durch sie bestätigt, gelenkt, behindert, beschnitten usw. „oder mit neuen Aktivitätspotenzialen versehen fühlen“ (Schütze 1984: 84 f.). Ferner müsse darüber hinaus soziale Beziehungen, insofern sie für die Sinnhaftigkeit der Erzählung elementar sind, charakterisiert und dargestellt werden (Schütze 1984: 85). Die Charakterisierung solcher Beziehungen muss jedoch nicht mit der Einführung einhergehen. Sie kann unterbleiben oder erst dann dargestellt werden, wenn sie im zeitlichen Ablauf der Biografie Gewicht bekommt. (2) „Ereignis- und Erfahrungsverkettung“ – Die autobiografische Narration ist immer eine „Abfolge von Zustandsänderungen des Biographieträgers“. Diese Ereignisketten sind immer Verknüpfungen von Einzelereignissen, welche in einer systematischen Beziehung stehen (Schütze 1984: 88). Eine einzelne Erzählkette bildet damit den Zusammenhang von Einzelerlebnissen im „Rahmen ausgedehnter Prozessabläufe“ (Schütze 1984: 92). (3) Situationen, Lebensmilieus - und soziale Welten als Bedingungs- und Orientierungsrahmen sozialer Prozesse – Der autobiografische Erzähler muss für jede Änderung eines Zustandes und anderer Ereignisträger, welche für die Narration von Bedeutung sind, „den jeweils spezifisch erfahrbaren und intentional adressierbarn sozialen Rahmen angeben“, aufgrund welchem die Änderung sichtbar und de facto möglich wird. Die Beschreibung dieser sozialen Rahmen geschieht meist durch konkrete situative Beschreibungen (Schütze 1984: 98 f.). (4) „Gesamtgestalt der Lebensgeschichte“ – In der Gesamtgestalt der biografischen Narration werden durch Erzählpräambeln Hinweise auf, für den Biografieträger, wichtige Punkte seiner lebensgeschichtlichen Erfahrung gegeben. Hierdurch werden auf „eine oder mehrere Erzähllinien“ hingewiesen, welche in der darauf folgenden Erzählung beibehalten werden sollen. In den Abschnitten vor dem Ende der protagonistischen Erzählung und zwischen einem anfänglichen und abschließendem Teilelement, „wird das Gesamtergebnis der lebensgeschichtlichen Darstellung“ gespeichert und beurteilt und möglicherweise werden darüber hinaus die verschiedenen Erzähllinien gegeneinander abgewogen (Schütze 1984: 102). Diese Darstellung des Gesamtergebnisses der lebensgeschichtlichen Darstellung bezeichnet Schütze als „autobiographische Thematisierung“ (Schütze 1984: 103).

Zum einen sind somit kognitive Figuren fundamentale und (empirisch) nachweisbare Gestaltungsprinzipien, zum anderen nimmt Schütze an, dass sie die aktuelle und faktische Organisation des Lebens(-laufs) und die Orientierung des Biografieträgers prägen (Schütze 1984: 81, 83).


Prozessstrukturen des Lebenslaufs in der Analyse des narrativen Interviews

Die im Rahmen des narrativen Interviews gewonnen Datentexte werden in der Analyse zunächst formal untersucht, sie werden nicht entfernt sondern nach Textsorten bestimmt (Narration, Bericht, Argumentation). Im zweiten Schritt der Analyse, der „strukturelle[n] inhaltliche[n] Beschreibung“, werden Prozessstrukturen herausgearbeitet.

Unter Prozessstrukturen versteht Schütze „festgefügte institutionell bestimmte Lebenssituationen; Höhepunktssituationen; Ereignisverstickungen […]; dramatische Wendepunkte […]; sowie geplante und durchgeführte biographische Handlungsabläufe“, also zeitlich begrenzte Lebensabschnitte (Schütze 1983: 286). Aus dem in der Analyse gebildeten „Prozeßmodell des Lebenslaufs“ (Schütze 1983: 288) lassen sich vier Verhaltensarten in oder gegenüber biografischen Ereignissen erkennen. (1) Ein „Biographische Handlungsschemata“ kann vom Biografieträger gewollt, d.h. geplant sein. Hier stellt die erfolgreiche Erfüllung oder der erfolglose Versuch den Erfahrungsablauf des Biografieträgers dar. (2) „Institutionelle Ablaufmuster der Lebensgeschichte“ sind gesellschaftlich oder organisatorisch Erwartungen, welche erfüllt, obgleich rechtzeitig, frühzeitig oder verzögert, oder nicht erfüllt werden. In dieser Erfüllung oder Nichterfüllung liegt für den Biografieträger die Erfahrung. (3) „Verlaufskurven“ bilden für den Träger der Lebensgeschichte übermächtige überwältigende Ereignisse (Schütze 1984: 92). Diese Verlaufskurven spiele für Schütze eine zentrale Rolle (Schütze 1983: 288). Die „sozialstrukturellen und äußerlich-schicksalhaften Bedingungen“ in Verlaufskurven lassen sich in der Form von Fall- und Steigkurven kategorisieren. Diese negativen und positiven Kurven schränken entweder die Möglichkeiten des Biografieträgers ein („Prozess des Erleidens“(Schütze 1983: 288; 1981: 89 f.)), oder erweitern die Möglichkeiten der „Handlungsaktivitäten und Identitätsentfaltungen“, bzw. –entwicklung (Schütze 1983: 288).

In seinem Text von 1984 (In seinem Text von 1984 spricht Schütze davon, dass der Biografieträger bei Verlaufskurven generell nur noch „>>konditionell<<“ reagieren kann (Schütze 1984: 92), was seiner Auffassung in dem Text von 1983, wie dargelegt, widerspricht. Dies ist wohl darauf zurückzuführen, dass Schütze den Begriff der Verlaufskurven nur noch negativ besetzt und bei „positiven Verlaufskurven“ jetzt von Wandlungsprozessen spricht. Zur besseren Unterscheidung folge ich der anfänglichen Unterscheidung zwischen Fall- und Steig- bzw. positiven und negativen Verlaufskurven.) spricht Schütze von einer generellen Einschränkung aufgrund der überwältigenden Übermächtigkeit der Verlaufskurven, auf welche der Biografieträger nur noch reagieren kann. Zunächst mag Schütze damit Recht haben, dass Verlaufskurven, wie er sie darstellt, etwas Äußeres sind, worauf der Biografieträger keinerlei Einfluss hat, da sie durch Umstände generiert werden, die außerhalb seiner Handlungsmöglichkeiten liegen. Bei positiven Verlaufskurven spricht er jedoch in seinem Text von 1983 (Schütze 1983) dem Biografieträger eine Erweiterung seiner Handlungsmöglichkeiten zu, d.h. dadurch, dass der Biografieträger Handlungsmöglichkeiten hat, muss dieser nichtmehr nur reagieren, sondern kann durch Handlungen aktiv auf die Verlaufskurve einwirken. Ich bin jedoch der Meinung, dass der Biografieträger auch in negativen Verlaufskurven nicht nur, wie Schütze meint, reagieren kann. Wenn der Biografieträger z.B. kurz davor steht seinen Arbeitsplatz zu verlieren, d.h. die Entscheidung der Kündigung schon gefallen ist – sich somit in einer negativen Verlaufskurve befindet – und sich zwischen zwei schlechter bezahlten Anstellungen entscheiden kann, hat er hierauf durch seine Entscheidung Einfluss. D.h. er hat eine Handlungsmöglichkeit, sogar eine erweiterte, denn er könnte ja auch keine der Stellen annehmen, was für ihn weiter bedeuten würde, er fällt in die Abhängigkeit von anderen, bzw. in die des Sozialstaates, auf deren Handlungen er dann keinen Einfluss mehr nehmen kann. Somit kommt ihm hier durch seine Entscheidungsmöglichkeit auch eine aktive Rolle in einer weiter negativ verlaufenden Verlaufskurve – da er zu einem späteren Zeitpunkt eine schlechtere Anstellung antritt oder in die eben erwähnte Abhängigkeit gerät – zu. Bleibt man bei der von Schütze gemachten Aussagen, dass der Biografieträger auf Fallkurven nur noch reagieren kann, muss man jedoch in Betracht ziehen, dass Verlaufskurven zwar zeitlich begrenzt verlaufen, jedoch durchaus parallel. D.h. das Verlieren der Arbeitsstelle, als negative Verlaufskurve, geschieht gleichzeitig, also parallel, mit der Erwartung der neuen, wenn auch schlechter bezahlten, Anstellung als positive Verlaufskurve.

In seinem Text von 1984 spricht Schütze davon, dass der Biografieträger bei Verlaufskurven generell nur noch „>>konditionell<<“ reagieren kann (Schütze 1984: 92), was seiner Auffassung in dem Text von 1983, wie dargelegt, widerspricht. Dies ist wohl darauf zurückzuführen, dass Schütze den Begriff der Verlaufskurven nur noch negativ besetzt und bei „positiven Verlaufskurven“ jetzt von Wandlungsprozessen spricht. Zur besseren Unterscheidung folge ich der anfänglichen Unterscheidung zwischen Fall- und Steig- bzw. positiven und negativen Verlaufskurven.

(4) „Wandlungsprozesse“ haben „ihren Ursprung in der »Innenwelt« des Biographieträgers“. Dieser erfährt diese, im Gegensatz zu Handlungsschemata, jedoch überraschend und „als systematische Veränderung seiner Erlebnis- und Handlungsmöglichkeiten“ (Schütze 1984: 92).

In der weiteren Analyse findet eine Abstraktion dieser Prozessstrukturen statt, um sie mit den von dem Biografieträger dargestellten Lebensphasen in Beziehung zu setzten. Hierauf folgt der Schritt der „Wissensanalyse“, welcher den Übergang zwischen den einzelnen Prozessstrukturen untersucht. Ferner wird die Einzelfallanalyse im Abschnitt des „kontrastive[n] Vergleichs“ aus der Singularität entbunden um mit Hilfe des minimalen oder maximalen Vergleichs (siehe hierfür: Schütze 1983: 287 f .) mögliche Elementarkategorien zu entwickeln, welche dann im letzten Analyseschritt, der „Konstruktion eines theoretischen Modells“, aufeinander bezogen werden (Schütze 1983: 286-288).


Kritik am Modell des Narrativen Interviews nach Heinz Bude

In seinem Text versucht Heinz Bude den Sozialforscher als „Narrationsanimateur“ zu entlarven (Apitzsch 2003: 97; Bude 1985). Zunächst kritisiert er den formalen Teil des narrativen Interviews. Er ist der Meinung, dass sowohl Interviewer, als auch Interviewter unnatürlich Rollen einnehmen müssen um dem Modell gerecht zu werden. Auf der einen Seite muss der Biografieträger vom Alltagssprecher zum bloßen Erzähler werden (Bude 1985: 331). Schon in diesem Punkt würde ich Bude widersprechen. Auch im Alltagsleben kommt es zu erzählgenerierenden Situationen. Diese mögen zwar nicht über einen so langen Zeitraum aufrecht gehalten werden wie dies im narrativen Interview der Fall ist, dennoch ist dem Erzählenden die Situation nicht so fremd, dass man hier von der Einnahme einer unnatürlichen Rolle sprechen kann. Auf der anderen Seite vertritt Bude die These, dass auch der Interviewer eine unnatürliche Rolle einnehmen muss. Diese begründet er jedoch mit Argumenten, welche eher darauf schließen lassen, dass der Interviewer eventuelle mit seiner Rolle überfordert sein könnte, da er im narrativen Interview auf relativ viele Dinge achten und vor allem genau zuhören muss. Dies mag zunächst einen solchen Anschein erwecken, Rosenthal erkennt dieses Problem auch, schafft aber mit ihrem Vorschlag, sich ein zweites Mal zu treffen einfache Abhilfe (Rosenthal 2005: 147). Des Weiteren ist es dem Forschenden auch möglich technische Hilfsmittel, wie Diktiergerät etc. zu verwenden, was seine Arbeit erleichtert. Ferner kritisiert Bude, dass der soziologische Narrativismus das Problem der Fiktion übersieht, d.h. der Informant kein Interesse daran haben muss eine „kalkulierte Darstellung“ vorzubereiten und diese auch nicht während der Erzählung generiert (Bude 1985: 330). Hierfür führt er zwei Thesen von Karlheinz Stierle (1973) – „Man könnte sich Vorstellen, daß die autobiographische Stegreiferzählung die Erfindung einer plausiblen Geschichte in Ansehung der Mannigfaltigkeit der lebensgeschichtlichen Ereignisse darstellt.“ (Bude 1985: 332) – und Wilhelm Schap (1953) – „ […] man könnte der Auffassung sein, bei der autobiographischen Stegreiferzählung handelt es sich um eine Rekomposition einer Geschichte aus den vorgebildeten Geschichten in der wir allemal „verstrickt“ sind und in denen wir uns selbst verstehen.“ (Bude 1985: 332) an. Diese Thesen versucht Bude an der Erfahrung mit dem neurotischen Erzähler zu belegen. „Der ‚neurotische Erzähler‛ erzählt sich selbst und den anderen etwas vor.“ Hier geht Bude jedoch immer nur vom Idealfall aus. Er mag damit Recht haben, dass die Möglichkeit des neurotischen Erzählens besteht, dennoch ist nicht davon auszugehen, dass jede autobiografische Narration auf diese Weise verfälscht wird, da eben nicht immer von dem Idealbild des neurotischen Erzählers auszugehen ist. Des Weiteren ist dieser „Verfälschung“ auch die Erfahrung eines Interviewers entgegen zu setzten. Entspricht die „fiktive Erzählung“ nicht dem Idealfall ist der erfahrene Forscher in der Lage Fiktion und autobiografische Narration zu trennen und im Notfall das Interview zu unterbrechen, bzw. ganz zu beenden. Wohl aber in der sequenzanalytischen Auswertung wird er feststellen, dass es sich um eine Konstruktion handelt. Den nächsten Kritikpunkt den Bude auf nimmt, ist der, dass es Erfahrungen gibt, aus denen sich keine „‚schöne Geschichte‛“ generieren lässt (Bude 1985: 334). Ich bin der Meinung, dass es beim narrativen Interview doch genau auf diesen Punkt ankommt. Der Biografieträger soll doch gerade aus seiner subjektiven Sicht Dinge wiedergeben. D.h. schafft er es nicht Ereignisse – Bilder, Wünsche etc. – in (eigene) Worte zu fassen, lässt dies in der Analyse Rückschlüsse, wie immer diese Aussehen mögen, auf die betreffende Situation zu. Selbiges gilt auch für historisch aufgeladene Begriffe wie „Deutscher, Aufsteiger, SPD-Mitglied“ (Bude 1985: 334). Hier geht es nicht darum zu erfahren, welchen „Geschichtshorizont“ der Erzählende hat, sonder darum, was er selbst mit den Begriffen verbindet.